Ausgabe 12/2024

Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 12/2024:

Arbeitsrecht

Baurecht

Familien- und Erbrecht

Mietrecht und WEG

Verbraucherrecht

Verkehrsrecht

Steuerrecht

Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht

Abschließende Hinweise

Zum Anfang



Arbeitsrecht

Ruhestand: Nicht abgebaute Zeitguthaben auf Lebensarbeitszeitkonten: keine Relevanz für Versorgungsbezüge

| Maßgeblich für die Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit ist die im Bescheid über die Bewilligung von Teilzeitbeschäftigung festgesetzte Teilzeitquote. Verrichtet der Beamte über die Teilzeitquote hinaus Dienst, um diese Zeit auf einem Lebensarbeitszeitkonto etwa zur Ermöglichung der Altersteilzeit anzusparen, führt dies im Fall der Unmöglichkeit der Inanspruchnahme der „erdienten“ Freistellung grundsätzlich nicht zur versorgungsrechtlichen Berücksichtigung. Dies gilt jedenfalls, wenn die Unmöglichkeit darauf zurückgeht, dass sich der Beamte später freiwillig für ein anderes Vorruhestandsmodell entschieden hat. So hat es das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |

Postbeamter trat in den „Engagierten Ruhestand“ ein

Der Kläger stand zuletzt als Postoberamtsrat im Dienst der Deutschen Post AG. Aufgrund der geplanten Inanspruchnahme eines Altersteilzeitmodells wurde dem Kläger ab Januar 2017 bis Dezember 2019 eine Teilzeitbeschäftigung mit einer Arbeitszeit von 50% der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit bewilligt. Im Umfang der Arbeitszeit, die der Kläger über die festgesetzte Teilzeitquote hinaus Dienst leistete, erfolgte eine Gutschrift auf einem Lebensarbeitszeitkonto mit dem Ziel, das Zeitguthaben in einer Freistellungsphase am Ende der Altersteilzeit abzubauen. Zum Eintritt in die Freistellungsphase kam es jedoch nicht, weil der Kläger ab Januar 2020 mit der Bewilligung eines „Engagierten Ruhestands“ ein anderes Vorruhestandsmodell in Anspruch nahm.

Versorgungsbezüge: Teilzeitquote berücksichtigt

Anlässlich der Festsetzung der Versorgungsbezüge des Klägers berücksichtigte die Beklagte die Dienstzeit von Januar 2017 bis August 2019 ausgehend von der Teilzeitquote in den Teilzeitbewilligungsbescheiden nur zur Hälfte. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb ebenso wie Klage und Berufung ohne Erfolg.

So entschied das Bundesverwaltungsgericht

Das BVerwG hat auch die Revision des Klägers zurückgewiesen. Ausgangspunkt für die Festsetzung der Beamtenversorgung ist die durch Verwaltungsakte festgesetzte Teilzeitquote. Zeitguthaben auf Lebensarbeitszeitkonten, die vorrangig einer Freistellung dienen, werden dabei nicht berücksichtigt. Einen Anspruch auf Änderung der Teilzeitbewilligungsbescheide hat der Kläger nicht.

Das BVerwG hob hervor: Es ist nicht schlechthin unerträglich, den Kläger an diesen Bescheiden festzuhalten. Der Kläger hat in Kenntnis der versorgungsrechtlichen Folgen den Wechsel in den sog. „Engagierten Ruhestand“ beantragt. Damit hat er es selbst unmöglich gemacht, die „erdiente“ Freistellung entsprechend des Zeitguthabens auf dem Lebensarbeitszeitkonto in Anspruch zu nehmen.

Quelle | BVerwG, Urteil vom 2.5.2024, 2 C 13.23, PM 25/24

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Öffentlicher Dienst: Teilnahme an rechtsextremistischen Treffen allein genügt nicht für eine Kündigung

| Allein die Teilnahme an einem rechtsextremistischen Treffen rechtfertigt keine außerordentliche Kündigung. So sieht es das Arbeitsgericht (ArbG) Köln. |

Teilnahme am Treffen in der Villa Adlon

Die 64-jährige Arbeitnehmerin ist seit 2000 bei der Stadt Köln beschäftigt. Tariflich ist sie ordentlich nicht kündbar. Sie nahm am 25.11.2023 an einem Treffen in der Villa Adlon in Potsdam teil, über das bundesweit berichtet wurde. Daraufhin sprach der Arbeitgeber mehrere außerordentliche Kündigungen aus. Die Arbeitnehmerin habe gegen ihre Loyalitätspflicht ihm gegenüber verstoßen.

Keine gesteigerte Treuepflicht

Das ArbG entschied: Allein die Teilnahme am Treffen rechtfertige keine außerordentliche Kündigung. Die Arbeitnehmerin träfe aufgrund ihrer konkreten Tätigkeit nur eine einfache und keine gesteigerte politische Treuepflicht.

Das Maß an Loyalität und Treue zum öffentlichen Arbeitgeber sei von Stellung und Aufgabenkreis des Arbeitnehmers abhängig. Danach schulde ein Arbeitnehmer nur ein solches Maß an politischer Loyalität, das für die funktionsgerechte Verrichtung seiner Tätigkeit unabdingbar sei. Diese einfache Treuepflicht werde erst durch ein Verhalten verletzt, das in seinen konkreten Auswirkungen darauf gerichtet sei, verfassungsfeindliche Ziele aktiv zu fördern oder zu verwirklichen.

Allein die Teilnahme am Treffen rechtfertige nicht den Schluss, dass sich die Arbeitnehmerin in innerer Übereinstimmung mit dem Inhalt der Beiträge befunden habe. Ein Eintreten für verfassungsfeindliche Ziele, z. B. durch Wortbeiträge im Rahmen des Treffens, habe die Arbeitgeberin nicht behauptet.

Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 3.7.2024, 17 Ca 543/24, Abruf-Nr. 244355 unter www.iww.de

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Gleichbehandlungsgrundsatz: Klage einer Arbeitnehmerin auf höheres Arbeitsentgelt

| Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hat der Angestellten eines Unternehmens die von ihr unter Berufung auf das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz eingeklagte höhere Vergütung für die Jahre 2018 bis 2022 teilweise zugesprochen. |

Das war geschehen

In Teilen erfolgreich war die Klägerin, die im streitigen Zeitraum in hälftiger Teilzeit auf der dritten Führungsebene des Unternehmens tätig war, im Hinblick auf die Gehaltsbestandteile Grundgehalt, Company Bonus, „Pension One“-Kapitalbaustein sowie virtuelle Aktien nebst Dividendenäquivalente. Insgesamt wurden der Klägerin von den eingeklagten rund 420.000 Euro brutto ca. 130.000 Euro brutto für fünf Jahre zugesprochen. Das Arbeitsgericht (AG) hatte der Klage in erster Instanz noch in weiterem Umfang stattgegeben.

Hintergrund: Nach dem Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (hier: § 3 Abs. 1 EntgTranspG) ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten. Zudem ist dieses Verbot in § 7 EntgTranspG niedergelegt, wonach für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden darf als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts. Deshalb sind § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG entsprechend den Vorgaben europäischen Rechts unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) unionsrechtskonform auszulegen. Zudem gebietet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln.

Im Fall des LAG lag das individuelle Entgelt der Klägerin sowohl unterhalb des Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe als auch unterhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe der dritten Führungsebene. Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage primär die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Entgelt eines von ihr namentlich benannten männlichen Vergleichskollegen bzw. des weltweit bestbezahlten Kollegen der dritten Führungsebene, hilfsweise die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe.

Gehalt war vergleichsweise niedrig, …

Das LAG sah indes nur ein hinreichendes Indiz für eine geschlechtsbezogene Benachteiligung in Höhe der Differenz des männlichen zum weiblichen Medianentgelt. Im vorliegenden Fall stand fest, dass die Vergütung des zum Vergleich herangezogenen Kollegen oberhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe und die Vergütung der Klägerin zudem unterhalb des von der Beklagten konkret bezifferten Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe lag.

…aber geschlechtsbedingte Benachteiligung nicht nachzuweisen

Es bestand jedoch keine hinreichende Kausalitätsvermutung dahingehend, dass die volle Differenz des individuellen Gehalts der Klägerin zum Gehalt des namentlich benannten männlichen Kollegen bzw. dem Median der männlichen Vergleichsgruppe auf einer geschlechtsbedingten Benachteiligung beruhte.

Gleichbehandlungsgrundsatz auf Durchschnittswert gerichtet

Einen Anspruch auf Anpassung „nach ganz oben“ konnte die Klägerin nach Ansicht des LAG auch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei bei Differenzierungen innerhalb der begünstigten Gruppe auf den Durchschnittswert gerichtet. Vorliegend gelang es der Beklagten schließlich nicht, eine Rechtfertigung der danach verbleibenden Ungleichbehandlung, etwa anhand der Kriterien „Berufserfahrung“, „Betriebszugehörigkeit“ oder „Arbeitsqualität“, konkret darzulegen.

Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 1.10.2024, 2 Sa 14/24, PM vom 1.10.2024

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Baurecht

HOAI: Honorarkürzung, wenn nicht alle Teilleistungen erbracht wurden?

| Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig hat entschieden: Allein mit der Rüge, es seien nicht alle in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (hier: § 34 HOAI) aufgeführten Teilleistungen einer Leistungsphase erbracht worden, kann der Auftraggeber das Honorar des Architekten nicht wirksam mindern. Er könne vielmehr nur kürzen, wenn ein selbstständiger Arbeitserfolg nicht erbracht worden sei. |

Letztlich, so das OLG, sei zu berücksichtigen, dass die Leistungsphase nach dem gesetzlichen Leitbild die kleinste Abrechnungseinheit ist. Da nicht alle Leistungen einer Leistungsphase für ein funktionstaugliches Werk immer erbracht werden müssten, könne die volle Vergütung für eine Leistungsphase auch dann geschuldet sein, wenn nicht alle Teilleistungen, die einer Leistungsphase zuzuordnen sind, erbracht werden, weil der Werkerfolg sich nicht an den Teilleistungen der Leistungsphase, sondern dem Werkerfolg der Erbringung der Leistungsphase orientiere.

Eine Minderung des Honorars könne insofern nur vorgenommen werden, wenn ein selbstständiger Arbeitserfolg nicht erbracht werde.

Quelle | OLG Schleswig, Urteil vom 17.7.2024, 12 U 149/20, Abruf-Nr. 243796 unter www.iww.de

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Bundesverwaltungsgericht: Abwehrrechte einer Nachbargemeinde gegen die Genehmigung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs

| Eine Nachbargemeinde kann sich gegen die Genehmigung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs im beplanten Innenbereich nur mit Erfolg wenden, wenn das Vorhaben zu schädlichen Auswirkungen auf deren zentrale Versorgungsbereiche führt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden. |

Es ging um einen Sportfachmarkt

Die Klägerin, eine kreisfreie Stadt mit etwa 78.000 Einwohnern, wendet sich gegen eine der Nachbargemeinde von der Beklagten erteilte Genehmigung für den Neubau eines Sportfachmarkts mit einer Verkaufsfläche von mehr als 3.500 m². Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, den das Oberverwaltungsgericht (OVG) auf den Normenkontrollantrag der Klägerin für unwirksam erklärt hat. Der Markt ist inzwischen errichtet und seit März 2021 in Betrieb.

Baugenehmigung rechtswidrig

Widerspruch und Klage gegen die Baugenehmigung blieben erfolglos. Auf die Berufung der Klägerin hat das OVG die Baugenehmigung aufgehoben. Diese sei rechtswidrig, weil das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig sei. Der aktuelle Bebauungsplan sei unwirksam, die Vorgängerbebauungspläne ließen das Vorhaben nicht zu. Hierdurch werde die Klägerin in ihren Rechten aus der Baunutzungsverordnung (hier: § 11 Abs. 3 BauNVO) verletzt. Die Vorschrift begründe für die darin genannten Vorhaben auch im Interesse der Nachbargemeinden ein Planungserfordernis, sofern nicht ausnahmsweise eine Genehmigung nach dem Baugesetzbuch (hier: § 34 BauGB) erteilt werden könne. Eine Nachbargemeinde könne sich daher, wenn von dem Vorhaben unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf ihre zentralen Versorgungsbereiche ausgingen, gegen dessen Genehmigung wenden, solange es an einer wirksamen Planung fehle.

So sah es das Bundesverwaltungsgericht

Das BVerwG hat das Urteil aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) zurückgewiesen. § 11 Abs. 3 BauNVO dient nicht dem Schutz von Nachbargemeinden. Auch ein Rückgriff auf das für die Bauleitplanung geltende Gebot der interkommunalen Abstimmung (§ 2 Abs. 2 BauGB) scheidet aus.

Der Rechtsschutz bestimmt sich nach der maßgeblichen bauplanungsrechtlichen Zulassungsnorm. Beurteilt sich wie hier wegen des „Zurückfallens“ auf einen früheren Bebauungsplan die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO nach § 30 BauGB, richtet sich der in diesen Fällen durch das Grundgesetz (hier: Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) gebotene Rechtsschutz der Nachbargemeinde nach dem auch hier heranzuziehenden Maßstab des § 34 Abs. 3 BauGB. Schädliche Auswirkungen im Sinne dieser Vorschrift gehen von dem Sportfachmarkt auf zentrale Versorgungsbereiche der Klägerin nach den Feststellungen des OVG im Normenkontrollurteil nicht aus.

Quelle | BVerwG, Urteil vom 24.4.2024, 4 C 1.23, PM 21/24

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HOAI: Langlaufende Projekte: Kostenberechnung bleibt maßgeblich

| Bei langlaufenden Projekten fragt es sich immer wieder, ob bei Anwendung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) die anrechenbaren Kosten, die sich aus der Kostenberechnung zum Entwurf ergeben, nach oben angepasst werden dürfen, wenn sich das Projekt verlängert. Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig verneint dies. |

Oberlandesgericht sieht keine Möglichkeit für Kostenerhöhung

Das OLG: Eine Fortschreibung der anrechenbaren Kosten aufgrund von allgemeinen Baupreissteigerungen oder Ausschreibungsergebnissen ist grundsätzlich nicht möglich. Bei der Berechnung der anrechenbaren Kosten ist auf den Planungsstand abzustellen, der der jeweils maßgebenden Kostenermittlung zugrunde zu legen ist.

Lösung: Bürgerliches Gesetzbuch anwenden

Was über die HOAI nicht geregelt werden kann, funktioniert aber möglicherweise über das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Denn § 313 BGB kann ggf. als Anspruchsgrundlage bei Bauverzögerungen geeignet sein. Bei relevanten Terminverschiebungen kann u. U. davon ausgegangen werden, dass sich die Geschäftsgrundlage geändert hat. Diese geänderte Geschäftsgrundlage ist dann für die Honoraranpassung maßgeblich. Das Gleiche gilt für die Regelung nach § 642 BGB (Honoraranpassung wegen verzögerter Mitwirkung des Auftraggebers).

Quelle | OLG Schleswig, Urteil vom 17.7.2024, 12 U 149/20, Abruf-Nr. 243796 unter www.iww.de

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Familien- und Erbrecht

Testament: Auflösung der Ehe: Unwirksamkeit einer Erbeinsetzung

| Ist eine Erbeinsetzung in einem mit der Erblasserin mehrere Jahre vor ihrer Eheschließung geschlossenen Erbvertrag aufgrund der späteren Scheidung unwirksam geworden? Das musste der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt entscheiden. |

Das wurde testamentarisch geregelt

Die Erblasserin und ihr späterer Ehemann (E) schlossen am 29.5.1995, noch vor ihrer Heirat, einen als „Erbvertrag und Erwerbsrecht“ bezeichneten notariellen Vertrag. Sie setzten sich darin mit wechselseitiger Bindungswirkung gegenseitig zu Alleinerben ein.

Als Erben des Längstlebenden bestimmten sie S, den Sohn der Erblasserin und die beiden Kinder des E. Ferner vereinbarten sie, dass E ein von der Erblasserin zu Alleineigentum erworbenes Grundstück unter anderem dann zur Hälfte erwerben könne, sobald die zwischen ihnen bestehende Lebensgemeinschaft ende, eine etwa nachfolgende Ehe zwischen ihnen geschieden werde oder im Fall einer Eheschließung seit dem Zeitraum des Getrenntlebens mehr als drei Monate verstrichen seien. Am 16.12.99 schlossen die Erblasserin und E die Ehe, die durch Beschluss vom 11.1.21 rechtskräftig geschieden wurde. Im Zuge des Ehescheidungsverfahrens hatten die Erblasserin und der E über die Aufhebung des Erbvertrags verhandelt. Zu Lebzeiten der Erblasserin kam es jedoch nicht zur Unterzeichnung einer entsprechenden notariellen Urkunde.

Bundesgerichtshof: keine Erfolgsaussichten

Das Amtsgericht (AG) hat die für den Antrag des E auf Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbe erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Das Oberlandesgericht (OLG) hat die dagegen gerichtete Beschwerde des S zurückgewiesen. Zur Durchführung der vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung beantragte S die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe.

Der BGH hat diesen Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt und dies im Wesentlichen wie folgt begründet: E sei aufgrund des Erbvertrags vom 29.5.1995 Alleinerbe der Erblasserin geworden. Die Erblasserin und E hätten sich in dem Vertrag wirksam in der nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2276 Abs. 1 S. 1 BGB) erforderlichen Form der notariellen Beurkundung gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben eingesetzt. Die Auslegung des Erbvertrags durch das Beschwerdegericht, dass diesem keine Anhaltspunkte für einen übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien zu entnehmen sei, die Einsetzung des E als Alleinerbe solle entfallen, wenn die Erblasserin und er später heirateten und die Ehe in der Folge wieder geschieden würde, halte der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht stand.

Erbeinsetzung wirksam

Die Erbeinsetzung des E sei nicht gemäß § 2077 Abs. 1 oder Abs. 2 i. V. m. § 2279 BGB unwirksam. Die direkte Anwendung dieser Bestimmungen scheide aus, da zum Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen eine Ehe bzw. ein Verlöbnis nicht bestand. § 2077 Abs. 1 S. 1 BGB sei jedenfalls dann auch nicht analog anwendbar, wenn der Erblasser und der Bedachte im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung nicht verheiratet oder verlobt waren und auch kein hinreichender Bezug der Verfügung zu einer späteren Eheschließung vorliege. Auch eine spätere Eheschließung rechtfertige nicht grundsätzlich den Schluss auf einen auf den Wegfall der letztwilligen Verfügung im Scheidungsfall gerichteten Willen des Erblassers, der seinen nichtehelichen Lebensgefährten bedacht hat, jedenfalls dann nicht, wenn wie hier ein Bezug der Verfügung zur Eheschließung fehle.

Quelle | BGH, Urteil vom 22.5.2024, IV ZB 26/23, Abruf-Nr. 242153 unter www.iww.de

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Kindeswohlgefährdung: Schütteltrauma: Zurückführung eines Kindes in die Herkunftsfamilie

| Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig hat jetzt klargestellt, unter welchen Voraussetzungen ein Kind nach einer möglichen schweren Verletzung durch die Eltern zu diesen zurückgeführt werden kann. |

Prognose muss Wiederholungsgefahr sicher ausschließen

Das OLG: Wurden einem Kind durch einen Elternteil mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere gesundheitliche Schäden (hier in Gestalt eines sog. Schütteltraumas) zugefügt, ist im Einzelfall zu prüfen, ob prognostisch erneut mit ähnlich schwerwiegenden Schäden zu rechnen ist. Selbst schwere Verletzungen müssen einer Rückführung nicht generell entgegenstehen, wenn eine hohe Prognosesicherheit dahingehend besteht, dass es nicht erneut zu derartigen Schäden kommt. Wiegt der drohende Schaden für das Kindeswohl weniger schwer, steigen für die Rechtfertigung einer Fortsetzung der Trennung des Kindes von seinen Eltern die an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellenden Anforderungen.

Behandlungswilligkeit der Eltern

Für die Prognoseentscheidung ist auch von Bedeutung, ob das verbleibende Gefährdungsrisiko durch die äußeren Lebensbedingungen von Eltern und Kind etwa in einer geeigneten Einrichtung weiter minimiert, wenn nicht gar beseitigt werden kann. Dabei spielt auch die Bereitschaft der Eltern zur eigenen psychotherapeutischen Behandlung sowie zur umfassenden Kooperation im Rahmen stationärer und ambulanter Jugendhilfemaßnahmen eine Rolle.

Quelle | OLG Braunschweig, Beschluss vom 7.5.2024, 1 UF 18/24, Abruf-Nr. 243211 unter www.iww.de

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Eigentumsverhältnis: Ende einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft: „Wechselmodell“ für einen Hund?

| Das Landgericht (LG) Potsdam hat geklärt, was mit einem gemeinsam angeschafften Hund geschieht, wenn sich Partner trennen. |

Nichteheliche Lebensgemeinschaft hatte sich Hund angeschafft

Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft hatte sich eine Mischlingshündin angeschafft. Nach dem Ende der Beziehung forderte der Mann von seiner früheren Lebenspartnerin entweder die Herausgabe des Hundes oder hilfsweise eine geteilte Betreuung im zweiwöchigen Wechsel. Die Lebenspartnerin beantragte, ihr das Alleineigentum an dem Tier zu übertragen. Sie war bereit, hierfür einen Ausgleichsbetrag zu zahlen. Das Gericht gab der Frau recht. Es lehnte die Idee eines „Wechselmodells“ ab, um den Hund zu betreuen.

Landgericht: kein Wechselmodell bei Haustieren

Eine Regelung, ein Haustier gemeinsam zu betreuen, ist nur möglich, während eine Miteigentümergemeinschaft besteht. Sobald diese Gemeinschaft aufgelöst wird, muss das Eigentum einem der bisherigen Miteigentümer zugewiesen werden.

Es ist aber nicht praktikabel, das Tier zu verkaufen, wie es sonst üblich ist, wenn eine Miteigentümergemeinschaft aufgelöst wird. Das LG entschied daher, dass die Frau, die sich nach der Trennung hauptsächlich um die Hündin gekümmert hatte, das Alleineigentum zugesprochen bekommen sollte. Sie wurde verpflichtet, dem Mann einen Ausgleichsbetrag zu zahlen.

Fazit: Anders als bei Kindern kann die Betreuung eines gemeinsam angeschafften Hundes in einem „Wechselmodell“ nach dem Ende einer Lebenspartnerschaft also nicht vor Gericht durchgesetzt werden.

Quelle | LG Potsdam, Urteil vom 10.7.2024, 7 S 68/23

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Geschlechtsumwandlung: Frau-zu-Mann-Transsexueller kann rechtlicher Vater sein

| Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig hat die rechtliche Elternschaft eines Frau-zu-Mann-Transsexuellen bestätigt. Vater kann danach auch eine dem männlichen Geschlecht angehörige Person sein, wenn diese nicht leiblicher Elternteil ist. |

Das war geschehen

Der Antragsteller begehrte, als Vater eines Kindes eingetragen zu werden, das von seiner Ehefrau geboren wurde. Das Kind wurde mittels einer Samenspende gezeugt. Zum Zeitpunkt der Geburt hatte der Antragsteller eine gerichtlich bestätigte Geschlechtsänderung von weiblich zu männlich durchlaufen und war mit der Frau verheiratet. Das Standesamt verweigerte jedoch den Eintrag. Das Amtsgericht (AG) wies das Standesamt an, den Antragsteller als Vater einzutragen. Das Oberlandesgericht (OLG) hat die Beschwerde des Standesamts zurückgewiesen.

Vater eines Kindes ist der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist. Da die Frau das Kind geboren hat, ist sie die Mutter. Zum Zeitpunkt der Geburt war sie mit dem Antragsteller verheiratet, der rechtlich als Mann anzuerkennen war. Die Entscheidung, dass der Antragsteller einem anderen Geschlecht zugehörig ist, lässt das Rechtsverhältnis zwischen ihm und seinen Kindern unberührt. Der Wortlaut regelt das Rechtsverhältnis zu den leiblichen Kindern des Transsexuellen, die er bereits vor der Änderung seiner Geschlechtszugehörigkeit hatte. Da die rechtliche Eltern-Kind-Beziehung hier erst nach der Geschlechtsänderung des Antragstellers entstanden ist, greift das Transsexuellengesetz (hier: § 11 TSG) nicht.

Wird das Kind von der Ehefrau des jetzt männlichen Transsexuellen geboren, erfährt es keine Nachteile dadurch, dass dem Transsexuellen das männliche Geschlecht zugeordnet wird. Es hätte vielmehr Nachteile, wenn an das vormals weibliche Geschlecht angeknüpft würde. Denn nach § 11 TSG müsste der Antragsteller im Verhältnis zum Kind weiter als Frau behandelt werden. Allein aus unterhalts-, erb- und auch sorgerechtlichen Aspekten ist es für das Kind vorteilhaft, zwei Elternteile zu haben.

Transsexuellengesetz hier nicht anzuwenden

Das OLG: In diesen Fallkonstellationen ist es geboten, § 11 TSG nicht anzuwenden, um das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch beide Elternteile zu gewährleisten. Es muss eine Ungleichbehandlung mit Kindern verhindert werden, die in eine heterosexuelle Ehe geboren werden. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, was auch das Recht beinhaltet, dass die geschlechtliche Identität anerkannt wird, ist verletzt, wenn ein transsexueller Elternteil für ein nach der Entscheidung nach § 8 TSG geborenes Kind rechtlich nicht die geschlechtsbezogene Elternrolle zugewiesen bekommt, die seinem selbst empfundenen und ihm rechtlich zugewiesenen Geschlecht entspricht.

Quelle | OLG Schleswig, Beschluss vom 4.7.2024, 2 Wx 11/24, Abruf-Nr. 242938 unter www.iww.de

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Mietrecht und WEG

Bundesgerichtshof: Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts: Rückforderung überzahlter Miete

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen ein auf Rückerstattung überzahlter Miete gerichteter Anspruch des Wohnraummieters, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts – hier Arbeitslosengeld II (nun: Bürgergeld) – als Bedarf für seine Unterkunft bezieht, auf den Sozialleistungsträger übergeht. |

Das war geschehen

Der Kläger war vom 1.9.2018 bis Ende Juni 2020 Mieter einer Wohnung der Beklagten in Berlin. Der Kläger, der zuvor in einer Flüchtlingsunterkunft gelebt hatte, bezog bereits während dieser Zeit Leistungen nach Maßgabe des SGB II. Den neben einem Mitmieter auf ihn entfallenden Teil der Miete für den Monat September 2018 entrichtete der Kläger noch selbst; für die Folgemonate übernahm das zuständige Jobcenter die Zahlung der Miete.

Der Kläger hat unter anderem geltend gemacht, die Miete sei sittenwidrig überhöht; zudem sei sie von Mitte September 2019 bis in den März 2020 hinein wegen eines Wasserschadens in vollem Umfang gemindert gewesen.

So entschieden die Vorinstanzen

Mit der Klage hat der Kläger die Rückerstattung überzahlter Miete für den Zeitraum von September 2018 bis Juni 2020 an sich (und seinen Mitmieter) verlangt. Das Amtsgericht (AG) hat der Klage im Wesentlichen nämlich in Höhe von rund 11.000 Euro stattgegeben, weil die vereinbarte Grundmiete die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als das Doppelte überstiegen und die Beklagte bei den Vertragsverhandlungen die Unterlegenheit des Klägers ausgenutzt habe. Zudem sei die Wohnung wegen eines Wasserschadens zeitweise nicht nutzbar und die Miete deshalb in dieser Zeit vollständig gemindert gewesen.

Während des von der Beklagten angestrengten Berufungsverfahrens hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Jobcenter wiederholt vergeblich um die Rückübertragung übergegangener Ansprüche auf den Kläger gebeten.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht (LG) das amtsgerichtliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Nach Auffassung des LG stünden dem Kläger die von ihm erhobenen Bereicherungsansprüche auf Rückerstattung überzahlter Miete nicht zu, weil sie nach dem Sozialgesetzbuch (hier: § 33 Abs. 1 SGB II) auf den Sozialleistungsträger übergegangen seien. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Das sagte der Bundesgerichtshof

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass (etwaige) Ansprüche auf Rückerstattung überzahlter Miete gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II in Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Sozialleistungsträger übergegangen sind. Der gesetzliche Forderungsübergang nach dieser Vorschrift soll den Grundsatz des Nachrangs der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II sichern. Die Voraussetzungen des Forderungsübergangs waren hier erfüllt. Der Bereicherungsanspruch eines Mieters auf Rückerstattung überzahlter Miete gegen seinen Vermieter unter dem Gesichtspunkt der sog. ungerechtfertigten Bereicherung ist ein Anspruch gegen einen anderen, der nicht Leistungsträger ist. Die geltend gemachten Bereicherungsansprüche sind für die Zeit entstanden, in der das Jobcenter dem Kläger Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts gewährt hat. Bei rechtzeitiger Rückerstattung der überzahlten Miete durch die Vermieterin wären diese Sozialleistungen auch nicht erbracht worden; hätte die Beklagte die überzahlten Summen nämlich rechtzeitig zurückerstattet, hätte der Kläger sich diese Beträge zur Deckung seines Bedarfs anrechnen lassen müssen.

Dem gesetzlichen Anspruchsübergang steht es nicht entgegen, dass das Jobcenter die Bereicherungsansprüche gegen die Vermieterin weder selbst realisiert noch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Ansprüche zur gerichtlichen Geltendmachung auf den Kläger zurückzuübertragen. Dies betrifft ausschließlich den Verwaltungsvollzug, berührt jedoch nicht die Voraussetzungen des gesetzlichen Anspruchsübergangs auf den Leistungsträger.

Quelle | BGH, Urteil vom 5.6.2024, VIII ZR 150/23, PM 124/24

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WEG: Müllabwurfanlage kann nicht durch Mehrheitsbeschluss stillgelegt werden

| Die Stilllegung einer Müllabwurfanlage kann nicht durch einen Mehrheitsbeschluss erreicht werden. So entschied es das Amtsgericht (AG) Königsstein. |

Denn darin liege weder eine Gebrauchsregelung noch eine bauliche Veränderung im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes (hier: §§ 19 und 20 WEG). Es verstoße gegen ordnungsgemäße Verwaltung, wenn gemeinschaftliches Eigentum nur durch Mehrheitsbeschluss dem Gebrauch entzogen wird, also die Grenzen der bloßen Gebrauchsregelung oder baulichen Änderung überschritten werden. Der Fall sei eher vergleichbar mit einer Änderung der Teilungserklärung, so das AG. Eine solche bedürfe der Einstimmigkeit und Bewilligung aller Betroffenen.

Quelle | AG Königstein, Urteil vom 21.12.2023, 21 C 833/23 WEG, Abruf-Nr. 243731 unter www.iww.de

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Unklare Formulierung: Auslegung von Vermieter-AGB: im Zweifel Betriebskostenpauschale

| Bei unklaren Formulierungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Vermieters dazu, ob Betriebskosten als Pauschale oder als Vorauszahlung vereinbart sind, ist im Fall einer Nachforderung des Vermieters im Zweifel eine Pauschale anzunehmen. So hat es das Amtsgericht (AG) Düsseldorf entschieden. |

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 305c Abs. 2 BGB) gehen Zweifel bei der Auslegung von AGB zulasten des Verwenders. Diese Regelung bewirkt nicht nur, dass eine unklar formulierte Geschäftsbedingung im Zweifel unwirksam ist, sondern auch, dass bei in jedem Fall gegebener Wirksamkeit die dem Kunden günstigste Auslegung zum Tragen kommt. Was die günstige Auslegung ist, ergibt sich dabei aus der individuellen Situation des Kunden im jeweiligen Individualprozess.

Verlange der Vermieter eine Nachzahlung von Neben- und Betriebskosten, gehe diese Auslegung dahin, dass eine Pauschale vereinbart sei, so das AG.

Quelle | AG Düsseldorf, Urteil vom 6.5.2024, 37 C 285/23

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Verbraucherrecht

Kaufvertragsrücktritt: Fahrzeughändler kann sich nicht beliebig lange Lieferzeit vorbehalten

| Liefert der Fahrzeughändler ein bestelltes Fahrzeug nicht innerhalb einer angemessenen Frist, kann der Käufer vom Kaufvertrag zurücktreten. Danach kann sich der Verkäufer nicht über eine Klausel im Fahrzeugkaufvertrag von der Pflicht befreien, den PKW zumindest innerhalb einer angemessenen Frist zu liefern. So entschied es das Amtsgericht (AG) Hanau. |

Fahrzeughändler forderte Storno-Gebühren

In einem Kaufvertrag über ein noch herzustellendes Fahrzeug befand sich eine Klausel, nach der es wegen Lieferschwierigkeiten für Bestellungen keinen Liefertermin gebe. Nach mehrfachen Anfragen und einer Fristsetzung erklärte der Käufer knapp ein Jahr nach Kaufabschluss den Rücktritt von dem Vertrag. Hierfür forderte der Händler Schadenersatz in Form von „Storno-Gebühren“ von über 3.000 Euro, da er ausdrücklich keinen Liefertermin zugesagt habe.

AGB enthielten unzulässige Klausel

Das AG hat entschieden: Dem Händler stehen diese Stornierungskosten nicht zu. Denn die Regelung in dem Kaufvertrag sei eine vorformulierte Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB), über die sich der Händler letztlich in unzulässiger Weise die Gültigkeit des Vertrags habe vorbehalten wollen. Maßgeblich sei daher, ob der Käufer tatsächlich eine angemessene Zeit abgewartet habe, innerhalb derer der Händler das Fahrzeug liefern musste. Das sei unter Abwägung der Interessen beider Seiten jedenfalls nach 18 Monaten der Fall (der Kläger hatte im Prozess erneut den Rücktritt erklärt). Somit stünden dem Händler auch keine Ersatzansprüche zu.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle | AG Hanau, Urteil vom 31.1.2024, 39 C 111/23, PM vom 9.7.2024

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Mitverschulden: Grillpfanne zerkratzt Kochfeld: Anspruch auf Schadenersatz?

| Steht dem Erwerber einer Grillpfanne Schadenersatz zu, wenn sein Kochfeld durch die Pfanne zerkratzt wird? Das Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main hat dies wegen des Mitverschuldens des Erwerbers an der Entstehung der Kratzer abgelehnt. |

Gebrauchsanleitung enthielt Hinweis

Der Kläger bestellte bei der Beklagten im Rahmen eines Bonusprogramms eine gusseiserne Grillpfanne. Die Gebrauchsanweisung der Pfanne wies darauf hin, dass die Pfanne niemals über die Glasoberfläche des Kochfelds geschoben werden dürfe, da dieses sonst beschädigt werden könne. Stattdessen solle man die Pfanne immer „sanft“ anheben und abstellen.

Käufer begehrte Schadenersatz

Der Kläger behauptete vor Gericht, durch die „kleinen Pickel“ an der Unterseite der Pfanne sei sein Kochfeld stark zerkratzt worden. Er verlangte von der Beklagten deswegen Schadenersatz in Höhe von 1.800 Euro.

Amtsgericht wies Klage ab

Das AG hat die Klage abgewiesen. Ein Schadenersatzanspruch des Klägers entfalle, weil er das Entstehen der Kratzer mitverschuldet habe. Die tiefen Kratzer in der Glasoberfläche könnten nur dadurch entstanden sein, dass der Kläger die Pfanne auf dem Kochfeld geschoben oder gezogen habe.

Der Kläger habe also die ausdrückliche Warnung in der Gebrauchsanweisung missachtet. Er habe dadurch gegen die ihm obliegende „Sorgfaltspflicht in eigenen Angelegenheiten“ derart gravierend verstoßen, dass sein Mitverschulden sich „anspruchsvernichtend“ auswirke, ein etwaiger Anspruch auf Schadensersatz also entfalle.

Zudem treffe die Beklagte auch kein Verschulden. Sie sei als Verkäuferin nicht verpflichtet, die Grillpfanne vor dem Verkauf auf ihren Zustand zu überprüfen.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle | AG Frankfurt am Main, Urteil vom 23.5.2023, 31 C 3103/22 (78), PM 8/24

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Verkehrssicherungspflicht: Stolperfalle Treppenstufe: Schadenersatzklage gegen Restaurantbetreiber ohne Erfolg

| Ein Gastwirt hat zwar die Pflicht, seinen Gästen einen gefahrlosen Aufenthalt in seinem Restaurant zu ermöglichen. Ein Gast darf jedoch nicht erwarten, auch vor Gefahren geschützt zu werden, die für den aufmerksamen Benutzer ohne Weiteres erkennbar sind und auf die er sich einstellen kann. So entschied es das Landgericht (LG) Frankenthal in einem aktuellen Urteil. |

Frau stürzte auf dem Weg zur Restauranttoilette

Auf dem Weg zur Toilette hatte die Restaurantbesucherin eine Stufe nach unten übersehen, stürzte gegen eine Mauerkante und verletze sich am Brustkorb und an einem Bein. Die Frau wirft dem Restaurantbetreiber vor, auf die Stufe nicht ausreichend aufmerksam gemacht zu haben. Aufgrund der ähnlichen Farbgebung von Boden und Stufe und unzureichender Beleuchtung sei die Stufe auch trotz dort aufgebrachten roten Klebestreifens nicht rechtzeitig sichtbar gewesen. Außerdem würden der aus Ton gefertigte Wegweiser zu den Toiletten und das an beiden Seiten des Ganges angebrachte Geländer von der Stufe ablenken. Daher verlangte sie von dem Restaurant ein Schmerzensgeld von mindestens 7.500 Euro.

Verkehrssicherungspflicht eingehalten

Nach Ansicht des LG ist das Restaurant jedoch seiner Pflicht, Gefahren von seinen Besuchern fernzuhalten der sogenannten Verkehrssicherungspflicht ausreichend nachgekommen. Bei Gastwirten gelte zwar ein strenger Maßstab. Während der Geschäftszeiten sind die Räume des Restaurants frei von Gefahren zu halten. Sofern auch Alkohol ausgeschenkt wird, müsse auch mit unverständigem Verhalten der Gäste gerechnet werden. Überraschende und nicht ohne Weiteres erkennbare Stolperstellen in Gängen, an Treppen, Zu- oder Abgängen müssen vermieden oder klar gekennzeichnet sein.

Kein Schutz vor allen Gefahren möglich

Der Gast könne aber nicht vor jeglichen Gefahren geschützt werden. Ein Restaurantbesucher müsse immer auch die eigene Vorsicht walten lassen und sich auf erkennbare Gefahren einstellen. Nach Ansicht des LG wiesen sowohl der rote Streifen auf der Stufe als auch das beidseitig angebrachte Geländer eindeutig auf die Stufe hin. Ein aufmerksamer Restaurantbesucher hätte mit der Stufe rechnen und sich darauf einstellen können. Soweit die Frau auf ihre eingeschränkte Sicht aufgrund einer Atemschutzmaske verweist, führe dies nur zu einer von ihr zu erwartenden noch gesteigerten Vorsicht.

Quelle | LG Frankenthal (Pfalz), Urteil vom 7.5.2024, 7 O 264/23

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Krankenversicherung: Trotz Sonnenallergie bleibt UV-Schutz Eigenverantwortung

| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden: Die gesetzliche Krankenversicherung muss keine UV-Schutzkleidung finanzieren, selbst wenn diese wegen einer Sonnenallergie nötig ist. |

Frau klagte erfolglos spezielle UV-Schutzkleidung ein

Geklagt hatte eine 1983 geborene Frau, die im Sommer 2018 eine schwere Sonnenallergie mit erheblichen Entzündungen der Haut (med.: kutaner Lupus erythematodes) entwickelte. Aufgrund der hohen Lichtempfindlichkeit musste sie stationär im Krankenhaus behandelt werden. Dort wurde ihr empfohlen, spezielle Schutzkleidung, einen Hut und Sonnencreme mit mindestens Lichtschutzfaktor 50+ zu verwenden.

Infolgedessen beantragte sie finanzielle Unterstützung bei ihrer Krankenkasse für UV-Schutzkleidung. Die Kasse lehnte den Antrag ab und erklärte, dass UV-Schutzkleidung und Sonnenschutzmittel keine Hilfsmittel seien, sondern als Alltagsgegenstände gelten. Diese Produkte seien allgemein im Einzelhandel erhältlich und nicht speziell für die Bedürfnisse von kranken oder behinderten Menschen entwickelt worden. Sie dürften daher nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung bezuschusst werden.

Hiergegen wandte sie die Frau und argumentierte, dass ihre Erkrankung eine medizinische Notwendigkeit für das Tragen von UV-Schutzkleidung darstelle. Dies sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Landessozialgericht gab Krankenkasse recht

Das LSG bestätigte die Entscheidung der Krankenkasse und urteilte, dass kein Anspruch auf Kostenübernahme bestehe. UV-Schutzkleidung sei ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und daher nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren. Es hat sich auf höchstrichterliche Rechtsprechung bezogen, wonach Gegenstände, die für alle Menschen nützlich und nicht speziell für Kranke oder Behinderte entwickelt wurden, von der Kostenübernahme durch die Krankenversicherung ausgenommen sind. Auch wenn UV-Schutzkleidung für Menschen mit Sonnenallergie notwendig sei, werde sie ebenso von Gesunden verwendet und sei im Handel frei erhältlich. Auch die Tatsache, dass solche Kleidung für bestimmte Berufsgruppen, wie Straßenarbeiter und Gärtner, erforderlich sei, unterstreiche, dass es sich um allgemeine Gebrauchsgegenstände handele.

Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18.6.2024, L 16 KR 14/22, PM vom 1.7.2024

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Nachbarrecht: Kein Anspruch auf „Laubrente“

| Ein Grundstückseigentümer hat keinen Anspruch auf eine sogenannte Laubrente wegen erhöhtem Reinigungsaufwand für einen Pool unterhalb von zwei den Grenzabstand unterschreitenden Nachbareichen. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. |

Vorinstanz gab Nachbar Recht

Errichtet ein Grundstückseigentümer im Traufbereich zweier auf dem Nachbargrundstück vor 90 Jahren ohne Einhaltung des Grenzabstands gepflanzter Eichen einen offenen Pool, kann er keine Kostenbeteiligung des Nachbarn hinsichtlich des erhöhten Reinigungsaufwands verlangen. Das OLG hat auf die Berufung des in Anspruch genommenen Nachbarn hin die Klage auf monatliche Ausgleichsleistungen abgewiesen.

Die Parteien sind Nachbarn. Auf dem Grundstück der Beklagten befinden sich rund 1,7 bzw. 2,7 Meter von der Grundstücksgrenze entfernt zwei ca. 90 Jahre alte Eichen. Die Klägerin hatte ihr Anwesen 2016 gekauft und begehrt nunmehr von der Beklagten eine monatlich im Voraus zu leistende Laubrente in Höhe von 277,62 Euro unter Hinweis auf die herunterfallenden Eicheln und Eichenblätter.

Das Landgericht (LG) hatte den Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Höhe einer Beweisaufnahme vorbehalten. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hatte nach Einholen eines Sachverständigengutachtens vor dem OLG Erfolg.

So argumentierte das Oberlandesgericht

Die Voraussetzungen für den geltend gemachten nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch lägen nicht vor, entschied das OLG. Erforderlich sei, dass von einem Grundstück rechtswidrige aber zu duldende Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgingen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überstiegen.

Hier stelle sich gemäß den überzeugenden sachverständigen Ausführungen der Laub- und Fruchtabwurf bezogen auf den Garten, das Haus, die Wege, die Garage und den Reinigungsteich bereits nicht als wesentliche Beeinträchtigung dar. Die gärtnerische Nutzung des Grundstücks sei weiterhin möglich. Der etwas erhöhte Reinigungsaufwand der Rasen- und Terrassenfläche falle nicht wesentlich ins Gewicht; Verstopfungen der Dachrinnen ließen sich durch preiswerte Laubschutzgitter sicher vermeiden. Auch wenn die Eichen den Grenzabstand eingehalten hätten, wäre mit Einträgen auf dem klägerischen Grundstück zu rechnen.

Hinsichtlich des auf dem Grundstück vorhandenen Pools liege allerdings eine wesentliche Beeinträchtigung durch gesteigerten Reinigungsaufwand vor. Auch insoweit erleide die Klägerin jedoch keine Nachteile, „die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen“, entschied das OLG.

Laub im üblichen Rahmen

Im Rahmen der Zumutbarkeit seien alle Umstände zu berücksichtigen, die den Interessenkonflikt durch Maßnahmen des einen oder des anderen veranlasst oder verschärft haben. Die Grundstücke lägen hier in einem Bereich, der durch älteren und höheren Baumbestand geprägt sei. Dies habe die Klägerin gewusst, als sie auf ihrem Grundstück einen nicht überdachten und im Freien gelegenen Pool errichtet habe. „Dass mithin der Pool (…) durch Laub- und Fruchtabwurf der Bäume der Beklagten betroffen sein würde, war sicher zu erwarten“, untermauerte das OLG weiter. Gemäß den sachverständigen Angaben halte sich der Eintrag an Eicheln (17 kg p.a.), Laub (0,4 m³ p.a.) und Totholz (12 Hände p.a.) im üblichen Rahmen unabhängig vom Abstand der Eichen zur Grundstücksgrenze. Die Belastungen entsprächen der Lage des Grundstücks in einer stark durchgrünten Wohngegend mit vielen Laubbäumen. Wenn sich die Klägerin in Kenntnis dieser Gegebenheiten entschließe, einen offenen Pool im Traufbereich der Eichen zu errichten, müsse sie auch den damit verbundenen erhöhten Reinigungsaufwand entschädigungslos hinnehmen.

Das Urteil ist nicht anfechtbar.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 16.8.2024, 19 U 67/23, PM 52/24

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Verkehrsrecht

Keine gesetzliche Regelung: Auswirkungen der Motorradschutzkleidung auf das Schmerzensgeld

| Viele Motorradfahrer fahren im Stadtgebiet einer Großstadt mit Jogginghose, Sweatshirt und Sneakers und ohne Handschuhe, aber mit Helm: Ist dann bei einem Unfall das Schmerzensgeld wegen Mitverschuldens zu kürzen? Kommt es darauf an, ob die konkrete Verletzung durch Schutzkleidung vermieden oder wenigstens abgemildert worden wäre? Zu Beidem sagte das Landgericht (LG) Hamburg jetzt „nein“. |

Frage konnte offenbleiben

Das LG argumentiert: Dieser Anspruch des Klägers ist nicht aufgrund eines Mitverschuldens zu kürzen. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob die Schutzkleidung im konkreten Fall tatsächlich die für die Bemessung des Schmerzensgelds im Wesentlichen maßgebliche Verletzung des Klägers in Form einer Avulsionsfraktur verhindert hätte. Das erscheint zumindest fraglich, weil derartige Frakturen in der Regel durch eine Krafteinwirkung ausgelöst werden, die als solche aber eher nicht durch eine Schutzkleidung minimiert werden kann. Diese Frage kann jedoch dahin gestellt bleiben.

Keine gesetzlichen Vorgaben für Motorradschutzkleidung

Denn eine gesetzliche Regelung für das Tragen von Motorradschutzkleidung existierte zum Zeitpunkt des Unfalls nicht. Zumindest im Jahr 2022 gab es darüber hinaus auch noch kein allgemeines Verkehrsbewusstsein, zum eigenen Schutz als Motorradfahrer bestimmte Schutzkleidung zu tragen. Insoweit hat das LG auf die statistisch untermauerten Ausführungen in einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Celle für das Jahr 2021 verwiesen (Urteil vom 13.3.2024, 14 U 122/23). Für das hier maßgebliche Folgejahr 2022 ist nicht ersichtlich, dass es insoweit eine Veränderung des Verkehrsbewusstseins gegeben haben könnte, so das LG.

Quelle | LG Hamburg, 12.7.2024, 306 0 387/23, Abruf-Nr. 243597 unter www.iww.de

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Illegales Kraftfahrzeugrennen: Polizei stellt Motorrad zu Unrecht sicher

| Die Polizei durfte ein Motorrad nach dem Anhalten des Fahrers bei einer Verkehrskontrolle aufgrund seines vorangegangenen Verhaltens, das von ihr als verbotenes Kraftfahrzeugrennen bewertet wurde, nicht zur Gefahrenabwehr sicherstellen. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. |

Verbotenes Kraftfahrzeugrennen?

Im Februar 2022 wurden zwei Polizeibeamte eines Streifenwagens auf zwei Motorräder aufmerksam, die nach ihrer Einschätzung mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 bis 100 km/h auf einer vierspurigen Straße in Ludwigshafen fuhren, auf der eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erlaubt ist. Die Polizeibeamten folgten den beiden Motorradfahrern bis zu einer Ampel und forderten sie auf, sich in eine Seitenstraße zur Durchführung einer Verkehrskontrolle zu begeben. Während der andere Motorradfahrer flüchtete, folgte der Kläger den Anweisungen der Polizeibeamten. Diese belehrten den Kläger als Beschuldigten eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens, einer Straftat, und stellten das Fahrzeug doppelfunktional sicher, also sowohl im Rahmen der Strafverfolgung als auch zur Gefahrenabwehr. Außerdem wurde die Beschlagnahme des Führerscheins angeordnet. Das Strafverfahren gegen den Kläger wurde vom Amtsgericht (AG) Ludwigshafen im April 2023 wegen geringer Schuld eingestellt.

Kläger ging gegen Sicherstellung des Motorrads vor: mit Erfolg

Gegen die fortbestehende Sicherstellung des Motorrads zur Gefahrenabwehr erhob der Kläger nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchverfahrens Klage, die das Verwaltungsgericht (VG) Neustadt an der Weinstraße abwies. Auf die Berufung des Klägers änderte das OVG die Entscheidung des VG, hob den Sicherstellungsbescheid auf und verurteilte das beklagte Land, das sichergestellte Motorrad herauszugeben.

Die Voraussetzungen für eine präventive Sicherstellung des Motorrads des Klägers lägen nicht vor. Nach § 22 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes könne die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Gegenwärtig sei eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen habe oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorstehe. Hiervon ausgehend sei die zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Motorrads getroffene Gefahrenprognose der Polizeibeamten nicht gerechtfertigt gewesen.

„Straßenrennen“ war durch polizeiliche Kontrolle beendet

Selbst, wenn die Polizeibeamten das Verhalten des Klägers als strafbares Straßenrennen hätten bewerten dürfen, was dahingestellt bleiben könne, trage dieser Umstand nicht die Prognose einer gegenwärtigen Gefahr. Mit dem Anhalten des Klägers im Rahmen der anlassbezogenen Verkehrskontrolle sei das hier unterstellte strafbare illegale Kraftfahrzeugrennen des Klägers beendet gewesen. Die anschließende Sicherstellung sei demgemäß nicht zu dem Zweck erfolgt, das von den Beamten als Kraftfahrzeugrennen eingestufte Verhalten zu stoppen, sondern das Begehen künftiger Verkehrsstraftaten zu verhindern. Es hätten jedoch keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Kläger in allernächster Zeit nach der Verkehrskontrolle mit hoher Wahrscheinlichkeit mit seinem Motorrad an einem (weiteren) illegalen Straßenrennen teilgenommen oder sonstige Straftaten im Verkehr begangen hätte. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gebe, wonach ein von der Polizei ertappter „Verkehrssünder“ sich generell unbelehrbar zeige und von den ihm angedrohten Bußgeldern, Fahrverboten oder gar wie hier gegen ihn eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren unbeeindruckt bleibe. Vielmehr müsse im Regelfall davon ausgegangen werden, dass diese Mittel und Sanktionen den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer so nachhaltig beeindruckten, dass er von der umgehenden Begehung erneuter Verkehrsverstöße bzw. Straßenverkehrsdelikte absehe.

Einmaliges Vergehen rechtfertigte Sicherstellung nicht

Etwas anderes könne nur in Ausnahmefällen gelten, beispielsweise, wenn der Fahrzeugführer infolge von Alkohol- oder Drogenkonsum enthemmt sei. Auch ungewöhnlich viele Verkehrsverstöße in der Vergangenheit oder ein wiederholtes Fahren ohne Fahrerlaubnis könnten auf eine Unbelehrbarkeit hindeuten. Danach reiche ein strafbares Verhalten des Klägers im Februar 2022 für die Annahme, er werde in allernächster Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Straßenverkehrsdelikte begehen, nicht aus.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den sonstigen Umständen, insbesondere nicht aus der Motorisierung des Motorrads oder der Tatsache, dass gegen den Kläger zwar bereits im Jahr 2020 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines illegalen Straßenrennens geführt worden sei, dieses aber nicht zu einer entsprechenden strafgerichtlichen Verurteilung geführt habe.

Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.4.2024, 7 A 10988/23.OVG, PM 8/24

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Abschleppkosten: Kostenbescheid wegen Umsetzen von Elektro-Scooter ist rechtmäßig

| Das Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. hat die Klage einer Anbieterin von Elektro-Scootern gegen einen Kostenbescheid der Stadt Frankfurt abgewiesen, mit dem sie zur Erstattung der Kosten von Umsetzmaßnahmen herangezogen wurde. |

Gewerblicher Vermieter von Elektro-Scootern

Die Klägerin bietet bundesweit in ca. 20 Städten Elektro-Scooter zur Nutzung durch Privatpersonen an. Diese werden in den Stadtgebieten platziert und können über eine Smartphone-App angemietet sowie nach Beendigung der Fahrt abgestellt werden.

Im September 2023 stellte eine Hilfspolizeikraft der Stadt Frankfurt a. M. fest, dass ein von der Klägerin zur Vermietung bereitgestellter Elektro-Scooter auf dem Gehweg und hier auf einem taktilen Bodenleitsystem abgestellt war, das der Orientierung von blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen dient. Ein Bediensteter der Stadt Frankfurt setzte den Elektro-Scooter um. Hierfür stellte die Stadt Frankfurt der Klägerin 74 Euro in Rechnung.

74 Euro für das Umsetzen eines E-Scooters unverhältnismäßig?

Die Klägerin hat beim VG Klage gegen den Kostenbescheid erhoben, da sie der Auffassung ist, dass für die Kostenerhebung keine Rechtsgrundlage bestehe. Im Übrigen meint sie, dass die Höhe von 74 Euro unverhältnismäßig hoch sei, weil das Umsetzen um wenige Meter nicht länger als 30 Sekunden dauere. Zudem würden in anderen Städten geringere Gebühren fällig.

Stadt: 74 Euro = Mindestgebühr

Dem ist die beklagte Stadt Frankfurt entgegengetreten. Sie könne die Gebühren auf den allgemeinen Gebührentatbestand für Verwaltungstätigkeiten stützen, die eine Mindestgebühr von 74 Euro vorsehe. Die Elektro-Scooter könnten nicht ohne Weiteres umgesetzt werden, da diese einen starken Rollwiderstand aufweisen würden. Es stehe der Klägerin frei, durch eigene Beauftragte verkehrsordnungswidrige Zustände zu beheben.

Abstellen auf dem Gehweg verstößt gegen Rücksichtnahmegebot

Das VG hat die Klage abgewiesen. Es wies darauf hin, dass das Abstellen des Elektro-Scooters auf dem Gehweg jedenfalls gegen das allgemeine straßenverkehrsrechtliche Rücksichtnahmegebot verstoße. Die Klägerin erläuterte, dass sie mangels Daten keine Regressmöglichkeiten gegenüber den Nutzern habe. Als wesentlicher Gesichtspunkt wurde in der mündlichen Verhandlung weiter erörtert, auf welcher Grundlage die Klägerin die Elektro-Scooter im Stadtgebiet zur Verfügung stellt und ob es sich um Sondernutzung oder Gemeingebrauch handelt. Schließlich wurde diskutiert, welchen tatsächlichen Aufwand eine Umsetzung verursacht und welcher Verwaltungsaufwand in diesem Zusammenhang anfällt. Das VG hat angedeutet, dass hinsichtlich der Gebührenhöhe keine rechtlichen Zweifel bestehen dürften.

Quelle | VG Frankfurt a. M., Urteil vom 3.7.2024, 12 K 138/24.F, PM 13/24

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Steuerrecht

Ehrenamtliche Tätigkeit: Steuerliche Behandlung der Aufwandsentschädigung eines Freiberuflers

| Erhält ein ehrenamtlich tätiger Steuerpflichtiger für öffentliche Dienste aus einer öffentlichen Kasse eine Aufwandsentschädigung, kann er im Einzelfall nachweisen, dass ihm höhere, nicht durch die steuerfreie Pauschale gedeckte tatsächliche Aufwendungen im Zusammenhang mit der ehrenamtlichen Tätigkeit entstanden sind, die zu Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten geführt haben. Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) Thüringen ist aber Voraussetzung, dass diese Aufwendungen unmittelbar ausschließlich oder ganz überwiegend durch die ehrenamtliche Tätigkeit veranlasst sind. |

Als Nachweis genügt insoweit nicht der durch Belege untermauerte Vortrag anteiliger auf den Kläger entfallenden höheren Fixkosten einer Freiberuflerpraxis als „Sowieso-Kosten“. Denn diese Berechnung trägt Elemente in sich, die wirtschaftlich einem teilweisen Ausgleich eines Verdienstausfalls bzw. eines Zeitverlusts sehr nahekommen. Und solche Ersatzleistungen sind nach dem Einkommensteuergesetz (§ 3 Nr. 12 S. 2 EstG) ausdrücklich von der Steuerbefreiung ausgenommen.

Beachten Sie | Die Problematik betrifft alle Freiberufler und Gewerbetreibende, die neben ihrer freiberuflichen oder gewerblichen Tätigkeit eine ehrenamtliche Tätigkeit ausüben und dafür eine Aufwandsentschädigung erhalten. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Bundesfinanzhof (BFH) im Revisionsverfahren positionieren wird.

Quelle | FG Thüringen, Urteil vom 11.5.2023, 4 K 401/22, Rev. BFH, VIII R 29/23

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Außergewöhnliche Belastungen: Prozesskosten bei drohendem Verlust der Existenzgrundlage

| Prozesskosten sind grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar. Eine gesetzliche Ausnahme gilt nur, wenn es sich um Aufwendungen handelt, ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Über einen solchen Fall musste jüngst das Finanzgericht (FG) Niedersachsen entscheiden. |

Das war geschehen

Im Streitfall ging es um die Frage, ob Prozesskosten im Zusammenhang mit der drohenden Rückabwicklung der unentgeltlichen Übertragung eines Forstbetriebs als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden können.

Der Steuerpflichtige hatte 2015 u. a. einen Forstbetrieb gegen Altenteilleistungen übertragen bekommen. In der Folge beendete er seine Angestelltentätigkeit für den Betrieb und führte diesen als Selbstständiger fort. Im selben Jahr forderte die Übergeberin aber dann gerichtlich die Rückübertragung des Betriebs bzw. die Grundbuchberichtigung. Begründung: Sie sei bei der Übertragung demenzbedingt geschäftsunfähig gewesen. Hiergegen setzte sich der Steuerpflichtige vor den Zivilgerichten zur Wehr.

Die entstandenen Prozesskosten machte er als außergewöhnliche Belastungen geltend, was das Finanzamt ablehnte. Vor dem FG Niedersachsen war er dann erfolgreich.

Gefahr für die Existenzgrundlage

Der Steuerpflichtige hat seine lebensnotwendigen Bedürfnisse ganz überwiegend aus den Erträgen des von der Rückübertragung bedrohten Forstbetriebs bestritten. Aus der maßgeblichen Sicht des Jahres der Inanspruchnahme wären ihm bei einer Rückübertragung übrige Einkünfte unterhalb des Grundfreibetrags verblieben. Die Berührung des steuerlichen Existenzminimums erfüllt den Tatbestand der Gefahr für die Existenzgrundlage.

Verlust der Existenzgrundlage muss nicht dauerhaft sein

Dem drohenden Verlust der Existenzgrundlage steht auch nicht entgegen, dass der Steuerpflichtige bei einer Rückübertragung erneut eine Angestelltentätigkeit hätte aufnehmen können. Der Verlust der Existenzgrundlage erfordert keinen dauerhaften Verlust der materiellen Lebensgrundlage. Auch kann, so das FG, dem Steuerpflichten nicht entgegengehalten werden, im Notfall die Leistungen der sozialen Sicherungssysteme in Anspruch nehmen zu können.

Beachten Sie | Die Finanzverwaltung hat gegen die Entscheidung die Revision eingelegt. Somit können geeignete Fälle über einen Einspruch vorerst offengehalten werden.

Quelle | FG Niedersachsen, Urteil vom 15.5.2024, 9 K 28/23, Abruf-Nr. 243968 unter www.iww.de; Rev. BFH, VI R 22/24

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Sonderleistungen: Steuerfreie Corona-Sonderzahlung: Nun ist der Bundesfinanzhof gefragt

| Konnte ein Arbeitgeber Sonderleistungen, wie z. B. Urlaubsgeld worauf arbeitsrechtlich kein Anspruch bestand teilweise als steuerfreie Corona-Sonderzahlung nach § 3 Nr. 11a Einkommensteuergesetz auszahlen? Damit muss sich nun der Bundesfinanzhof (BFH) in einem Revisionsverfahren (VI R 25/24) befassen. Vorgelegt hat das Finanzgericht (FG) Niedersachsen. Es hat auf sein steuerzahlernachteiliges Urteil vom 24.7.2024 (9 K 196/22) die Revision zugelassen. |

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(Kein) Veräußerungsgeschäft: Doch keine Besteuerung teilentgeltlicher Grundstücksübertragungen?

| Wird ein Grundstück teilentgeltlich (z. B. im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge) innerhalb der zehnjährigen Veräußerungsfrist gemäß Einkommensteuergesetz (§ 23 EStG) übertragen, führt dies nach bisheriger Sichtweise hinsichtlich des entgeltlichen Teils zu einem steuerpflichtigen Veräußerungsgeschäft. Das Finanzgericht (FG) Niedersachsen meint aber, dass § 23 EStG bei einer teilentgeltlichen Übertragung unterhalb der historischen Anschaffungskosten nicht anzuwenden ist. |

Hintergrund: Private Veräußerungsgeschäfte mit Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt, unterliegen der Besteuerung im Sinne des § 23 EStG. Ausgenommen sind aber Wirtschaftsgüter, die

  • im Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. Alternative) oder
  • im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt wurden.

Bisherige Rechtslage: Trennungstheorie

Bei teilentgeltlicher Übertragung kann sich ein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft hinsichtlich des entgeltlichen Teils ergeben. Hier ist nach Ansicht des Bundesfinanzministeriums die Trennungstheorie anzuwenden.

Beispiel

Vater V ist Eigentümer eines unbebauten Grundstücks, das er zum 1.8.2018 für 100.000 Euro angeschafft hat. Er überträgt das Grundstück im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge zum 1.1.2024 auf seinen Sohn S, der das Grundstück bebauen will. Das Grundstück hat zum Übertragungszeitpunkt einen Verkehrswert von 180.000 Euro. Entsprechend muss S seine Schwester X. mit 90.000 Euro auszahlen.

V hat das Grundstück innerhalb des Zehnjahreszeitraums des § 23 EStG hinsichtlich des Gleichstellungsbetrags teilentgeltlich (zu ½) an S veräußert und erzielt in diesem Umfang einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn. Dieser beträgt 40.000 Euro (90.000 Euro Teilentgelt abzüglich der hälftigen Anschaffungskosten von 50.000 Euro). Der unentgeltlich übertragene Teil löst bei V keine Steuerpflicht aus. Allerdings gehen die Besteuerungsmerkmale (Anschaffung am 1.8.2018 zu 50.000 Euro) auf S als unentgeltlichen Rechtsnachfolger über.

Ansicht des Finanzgerichts Niedersachsen

Das FG Niedersachsen hat es in einem vergleichbaren Fall abgelehnt, die teilentgeltliche Übertragung der Besteuerung nach § 23 EStG zu unterwerfen. Das FG verweist hierzu u. a. auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach die gänzlich unentgeltliche Übertragung einer Immobilie im Wege der vorweggenommenen Erbfolge nicht den Tatbestand des § 23 EStG erfüllt und zwar selbst dann, wenn die auf diese Weise begünstigten Kinder die Immobilie alsbald weiterveräußern.

Das FG kommt zu dem Ergebnis, dass auch die teilentgeltliche Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge aus dem Tatbestand des § 23 EStG ausscheidet.

Bei einer teilentgeltlichen Grundstücksübertragung realisiert der Schenker keinen tatsächlichen Wertzuwachs. Ein nach § 23 EStG zu besteuernder Gewinn kann nicht entstehen, da der Ertragsteuer keine Vermögensverschiebungen im Privatvermögen unterliegen. Ein Wertzuwachs erfolgt nur beim Beschenkten, der damit den Regularien des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (unter Berücksichtigung etwaiger Freibeträge) unterliegt.

Beachten Sie | Die Finanzverwaltung hat gegen die Entscheidung die Revision eingelegt. Man darf gespannt sein, wie die Entscheidung des BFH ausfallen wird. In geeigneten Fällen sollten Steuerpflichtige ihre Steuerbescheide im Einspruchsweg offenhalten und auf die gesetzliche Verfahrensruhe verweisen.

Quelle | FG Niedersachsen, Urteil vom 29.5.2024, 3 K 36/24, Abruf-Nr. 243483 unter www.iww.de; Rev. BFH, IX R 17/24; BMFSchreiben vom 26.2.2007, IV C 2 – S 2230 – 46/06 IV C 3 – S 2190 – 18/06; BFH, Urteil vom 23.4.2021, IX R 8/20

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Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht

Inventurmodelle: Inventur am 31.12.: Es muss nicht dieser Stichtag sein

| Das Jahresende steht vor der Tür und das heißt Inventurzeit. Denn in vielen Unternehmen erfolgt dann eine körperliche Bestandsaufnahme, oft am 31.12. Doch das ist nicht zwingend erforderlich, es gibt auch andere Möglichkeiten. |

Rechtsgrundlage: Handelsgesetzbuch

Die handelsrechtliche Grundlage für die Inventur bildet § 240 Handelsgesetzbuch (HGB). Demnach hat jeder Kaufmann zu Beginn seines Handelsgewerbes und zum Schluss eines jeden Geschäftsjahrs ein Inventar aufzustellen. Ein Inventar ist ein vollständiges Verzeichnis aller Vermögenswerte und Schulden. Um dieses zu erstellen, sind zunächst die Bestände zu ermitteln, d. h., es ist eine Inventur durchzuführen.

Bilanzstichtag

Die Inventur muss grundsätzlich am Bilanzstichtag erfolgen (Stichtagsinventur). Handels- und steuerrechtlich wird es aber nicht beanstandet, wenn die Inventur innerhalb einer Frist von zehn Tagen vor oder nach dem Bilanzstichtag vorgenommen wird. Der am Tag der Inventur ermittelte Bestand muss in diesem Fall mengen- und wertmäßig auf den Stichtag fortgeschrieben bzw. zurückgerechnet werden.

Vor- oder nachgelagerte Inventur

Auch eine zeitverschobene (vor- oder nachgelagerte) Inventur ist zulässig (§ 241 Abs. 3 HGB). Hier muss die Bestandsaufnahme innerhalb von drei Monaten vor oder zwei Monaten nach dem Abschlussstichtag erfolgen. Dies erfordert aber einen relativ langen Zeitraum der Fortschreibung bzw. Rückrechnung. Zudem gibt es zwei weitere Verfahren:

Permanente Inventur

Bei der permanenten Inventur (§ 241 Abs. 2 HGB) erfolgt die Aufnahme nicht zu einem bestimmten Stichtag, sondern laufend. Jeder Vermögensgegenstand ist im Laufe eines Jahres mindestens einmal körperlich aufzunehmen.

Stichprobeninventur

Bei der Stichprobeninventur (§ 241 Abs. 1 HGB) wird der Bestand mithilfe anerkannter mathematisch-statistischer Berechnungsmethoden ermittelt. Vorteil: Es müssen nicht alle Vermögensgegenstände körperlich aufgenommen werden. Nachteil: Komplexe Ermittlung und Dokumentation.

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Freiberufler und Gewerbetreibende: Informationen zur Durchführung von Kassen-Nachschauen

| Die Oberfinanzdirektion Karlsruhe hat darauf hingewiesen, dass die Finanzämter in Baden-Württemberg Kassen-Nachschauen nach § 146b der Abgabenordnung (AO) durchführen und hat in diesem Zusammenhang zu einigen Aspekten informiert. |

Prüfung in der Regel ohne Voranmeldung

Bei der Kassen-Nachschau handelt es sich um ein Kontrollinstrument der Finanzverwaltung zur Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit von Kassenaufzeichnungen (Kasseneinnahmen, Kassenausgaben). Die Prüfung erfolgt in der Regel ohne Voranmeldung und wird von zwei Bediensteten der Finanzverwaltung durchgeführt. Die Prüfer weisen sich zu Beginn der Kassen-Nachschau mit ihren Dienstausweisen (im Scheckkarten- oder Papierformat) als Angehörige des Finanzamts aus und händigen ein Merkblatt zur Kassen-Nachschau aus.

Verschiedene Kassensysteme

Der Kassen-Nachschau unterliegen u. a. elektronische oder computergestützte Kassensysteme, App-Systeme, Waagen mit Registrierkassenfunktion, Taxameter, Wegstreckenzähler, Geldspielgeräte und offene Ladenkassen.

Auskunftspflicht

Die von der Kassen-Nachschau betroffenen Steuerpflichtigen haben den mit der Kassen-Nachschau betrauten Amtsträgern auf Verlangen Aufzeichnungen, Bücher sowie die für die Kassenführung erheblichen sonstigen Organisationsunterlagen über die der Kassen-Nachschau unterliegenden Sachverhalte und Zeiträume vorzulegen und Auskünfte zu erteilen. Bei der Kassen-Nachschau dürfen Daten des elektronischen Aufzeichnungssystems durch die Amtsträger eingesehen werden. Auch kann die Übermittlung von Daten auf einem maschinell auswertbaren Datenträger verlangt werden.

Beachten Sie | Die Prüfer verlangen von den Steuerpflichtigen keine Zahlungen von Bargeld.

Quelle | OFD Karlsruhe, Mitteilung vom 21.10.2024: „Durchführung von Kassen-Nachschauen nach § 146b Abgabenordnung (AO)“

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Musterfeststellungsklagen: Referenzzins für Zinsanpassungen in Prämiensparverträgen

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Rahmen von zwei Musterfeststellungsklagen über den Referenzzins für Zinsanpassungen in Prämiensparverträgen entschieden. |

Das war geschehen

Die Musterkläger in beiden Verfahren sind seit über vier Jahren als qualifizierte Einrichtungen in die Liste nach dem deutschen Unterlassungsklagengesetz (hier: § 4 UKlaG) eingetragene Verbraucherschutzverbände. Die beklagten Sparkassen schlossen in den Jahren 1993 bis 2006 bzw. in der Zeit vor Juli 2010 mit Verbrauchern sog. Prämiensparverträge ab, die eine variable Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten Sparjahr eine der Höhe nach bis zu 50% ab dem 15. Sparjahr gestaffelte verzinsliche Prämie vorsehen.

Die Musterkläger halten die Regelungen in den Sparverträgen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von den Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung für zu niedrig. Sie begehren u.a. die Bestimmung eines Referenzzinses, der für die von den Musterbeklagten vorzunehmenden Zinsanpassungen maßgebend ist. Der Musterkläger in dem Verfahren XI ZR 44/23 möchte darüber hinaus festgestellt wissen, dass sich die für die Ingangsetzung der dreijährigen Regelverjährung erforderliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Verbraucher auf die Unwirksamkeit der in den Sparverträgen enthaltenen Zinsanpassungsklausel und auf die Parameter für die Zinsanpassung bezieht, die höchstrichterlich festgelegt worden sind.

So entschied der Bundesgerichtshof

Der BGH entschied, dass die in den Prämiensparverträgen infolge der Unwirksamkeit der Zinsanpassunsgklauseln entstandene Regelungslücke durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen ist. Der zu bestimmende Referenzzins ist nicht nach der Methode gleitender Durchschnitte zu berechnen.

Denn Sparer wären bei Anwendung der sogenannten Gleitzinsmethode entgegen ihrer Erwartung bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses überwiegend an die Zinsentwicklung zurückliegender Jahre gebunden, da künftige Zinsänderungen in den maßgeblichen Durchschnittszins nur entsprechend ihrem Zeitanteil einfließen. Sparer vergleichen im Rahmen ihrer Anlageentscheidung bei der maßgebenden objektiv-generalisierenden Sicht den ihnen angebotenen variablen Zins mit dem gegenwärtigen durchschnittlichen Marktzins und nicht mit einem Zins, der aus überwiegend in der Vergangenheit liegenden Zinsen berechnet wird.

„Typischer Sparer“: keinerlei Risikobereitschaft

Der BGH weiter: Die Umlaufsrenditen von Hypothekenpfandbriefen (Zeitreihe WX4260) kommen als Referenzzins für die variable Verzinsung risikoloser Spareinlagen nicht in Betracht. Diese von den Musterklägern als Referenzzins befürworteten Umlaufsrenditen spiegeln trotz ihrer Besicherung durch Pfandbriefe nicht den „risikolosen“ Marktzins wider, sondern enthalten einen Risikoaufschlag, der im Vergleich zu den Umlaufsrenditen von Bundesanleihen zu einer vergleichsweise höheren Verzinsung führt. Der typische Sparer, der Sparverträge der vorliegenden Art abschließt, zeigt allerdings keinerlei Risikobereitschaft, sodass der im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung zu bestimmende Referenzzins ebenfalls keinen Risikoaufschlag enthalten darf.

Die Umlaufsrenditen inländischer Bundeswertpapiere mit Restlaufzeiten von über 8 bis 15 Jahren (Zeitreihe WU9554) genügen den Anforderungen, die im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung an einen Referenzzins für die variable Verzinsung der Sparverträge zu stellen sind. Sie werden von der Deutschen Bundesbank, einer unabhängigen Stelle, nach einem genau festgelegten Verfahren ermittelt sowie in deren Monatsberichten regelmäßig veröffentlicht und begünstigen daher weder einseitig die Sparer noch die beklagten Sparkassen. Die Umlaufsrenditen von Bundesanleihen spiegeln zudem die jeweils aktuellen risikolosen Zinsen am Kapitalmarkt wider und enthalten in Ermangelung eines Ausfallrisikos keinen Risikoaufschlag. Zudem kommen die Restlaufzeiten von über 8 bis 15 Jahre der herangezogenen Umlaufsrenditen der typisierten Spardauer bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe nach 15 Jahren hinreichend nahe.

In dem Verfahren XI ZR 44/23 hat der BGH darüber hinaus entschieden, dass sich die für die Ingangsetzung der dreijährigen Regelverjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) erforderliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Verbraucher nicht auf die Unwirksamkeit der in den Sparverträgen enthaltenen Zinsanpassungsklausel und auf die Parameter für die Zinsanpassung beziehen muss, die höchstrichterlich festgelegt worden sind. Denn der Inhaber eines Anspruchs muss keine rechtlich zutreffenden Schlüsse nachvollziehen, damit der Lauf der Verjährung seines Anspruchs in Gang gesetzt wird.

Quelle | BGH, Urteile vom 9.7.2024, XI ZR 44/23 und XI ZR 40/23, PM 143/24

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Abschließende Hinweise

Steuern und Beiträge Sozialversicherung: Fälligkeitstermine in 12/2024

| Im Monat Dezember 2024 sollten Sie insbesondere folgende Fälligkeitstermine beachten: |

Steuertermine (Fälligkeit):

  • Umsatzsteuer: 10.12.2024
  • Lohnsteuer: 10.12.2024
  • Einkommensteuer (vierteljährlich): 10.12.2024
  • Kirchensteuer (vierteljährlich): 10.12.2024
  • Körperschaftsteuer (vierteljährlich): 10.12.2024

Bei einer Scheckzahlung muss der Scheck dem Finanzamt spätestens drei Tage vor dem Fälligkeitstermin vorliegen.

Beachten Sie | Die für alle Steuern geltende dreitägige Zahlungsschonfrist bei einer verspäteten Zahlung durch Überweisung endet am 13.12.2024. Es wird an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass diese Zahlungsschonfrist ausdrücklich nicht für Zahlung per Scheck gilt.

Beiträge Sozialversicherung (Fälligkeit):

Sozialversicherungsbeiträge sind spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats fällig, für den Beitragsmonat Dezember 2024 am 23.12.2024.

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Berechnung der Verzugszinsen

| Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten. |

Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Juli 2024 bis zum 31. Dezember 2024 beträgt 3,37 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:

  • für Verbraucher (§ 288 Abs. 1 BGB): 8,37 Prozent
  • für den unternehmerischen Geschäftsverkehr (§ 288 Abs. 2 BGB): 12,37 Prozent*

* für Schuldverhältnisse, die vor dem 29.7.2014 entstanden sind: 11,37 Prozent.

Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).

Übersicht / Basiszinssätze

Zeitraum

Zinssatz

01.01.2024 bis 30.06.2024

3,62 Prozent

01.07.2023 bis 31.12.2023

3,12 Prozent

01.01.2023 bis 30.06.2023

1,62 Prozent

01.07.2022 bis 31.12.2022

-0,88 Prozent

01.01.2022 bis 30.06.2022

-0,88 Prozent

01.07.2021 bis 31.12.2021

-0,88 Prozent

01.01.2021 bis 30.06.2021

-0,88 Prozent

01.07.2020 bis 31.12.2020

-0,88 Prozent

01.01.2020 bis 30.06.2020

-0,88 Prozent

01.07.2019 bis 31.12.2019

-0,88 Prozent

01.01.2019 bis 30.06.2019

-0,88 Prozent

01.07.2018 bis 31.12.2018

-0,88 Prozent

01.01.2018 bis 30.06.2018

-0,88 Prozent

01.07.2017 bis 31.12.2017

-0,88 Prozent

01.01.2017 bis 30.06.2017

-0,88 Prozent

01.07.2016 bis 31.12.2016

-0,88 Prozent

01.01.2016 bis 30.06.2016

-0,83 Prozent

01.07.2015 bis 31.12.2015

-0,83 Prozent

01.01.2015 bis 30.06.2015

-0,83 Prozent

01.07.2014 bis 31.12.2014

-0,73 Prozent

01.01.2014 bis 30.06.2014

-0,63 Prozent

01.07.2013 bis 31.12.2013

-0,38 Prozent

01.01.2013 bis 30.06.2013

-0,13 Prozent

01.07.2012 bis 31.12.2012

0,12 Prozent

01.01.2012 bis 30.06.2012

0,12 Prozent

01.07.2011 bis 31.12.2011

0,37 Prozent

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