Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 06/2024:
Arbeitsrecht
- Diskriminierungsverbot: Kündigung eines Schwerbehinderten in der Wartezeit
- Einladungspflicht: Kein Vorstellungsgespräch trotz Schwerbehinderung: Evangelischer Kirchenkreis ist kein öffentlicher Arbeitgeber
- Wahlanfechtung: Ein „Smiley“ ist im Kennwort der Vorschlagsliste für eine Betriebsratswahl unzulässig
- Sozialversicherungsbeiträge: Obstbauer kann Beitragspflicht für Erntehelfer nicht umgehen
Baurecht
- Bauaufsichtsbehörde: Untersagung der ungenehmigten Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft
- Vertragsgestaltung: Aufgaben der Tragwerksplanung
Familien- und Erbrecht
- Familienkasse: Kein Kindergeld bei einem Freiwilligendienst zwischen Bachelor- und Masterstudium
- Vermächtnis: Was ist „vorhandenes Barvermögen“?
- Europäischer Gerichtshof: Familienzusammenführung mit einem minderjährigen Flüchtling
Mietrecht und WEG
- Haftung: Pflichten des WEG-Verwalters bei der Überwachung von Bauarbeiten
- Räumungsklage: Fristlose Kündigung gegenüber psychisch krankem Mieter
- Betriebskosten: Vermieter kann Guthaben auch nach Abrechnungsfristablauf korrigieren
Verbraucherrecht
- Gesetzliche Krankenversicherung: Wer ein Einzelzimmer bucht, muss es auch bezahlen
- Tarifbedingungen: Vertragsklausel der EnBW zu Ladesäulenblockiergebühr wirksam
- Keine Rückerstattung: Grobe Fahrlässigkeit bei einem Phishing-Angriff
- Versicherungsschutz: Sturz bei der Reha-Nachsorge: Patientin ist nicht unfallversichert
- Reisepreisminderung: Zu wenig Platz im „französischen Bett“?
- Nachbarrecht: Anspruch auf Rückschnitt einer Hecke kann wegen „Treu und Glauben“ ausgeschlossen sein
- Bundesgerichtshof: Kündigung eines Prämiensparvertrags
Verkehrsrecht
- Bundesgerichtshof: Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung bei Vorbeifahrt an einem Müllabfuhrfahrzeug
- Beweismittel: Schulungsnachweis für Auswerter einer Geschwindigkeitsmessung?
- Medizinisch-Psychologische Untersuchung: Entziehung der Fahrerlaubnis
- Verkehrsstrafen: Doppeltes Fahrverbot bei doppeltem Verkehrsverstoß
Steuerrecht
- Widerrufsausübung: Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags löst keine Einkommensteuer aus
- Energetische Gebäudesanierung: Zeitpunkt der Steuerermäßigung bei Ratenzahlung
- Elterngeld: Neuregelungen für Geburten ab 1.4.2024
- Doppelte Haushaltsführung: Zweitwohnungssteuer fällt unter die 1.000 Euro-Grenze
Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht
- Allgemeine Geschäftsbedingungen: Gültigkeitsdauer einer mobilen Briefmarke
- BFH-Entscheidung: Keine verdeckte Gewinnausschüttung ohne Zuwendungswillen
- Ausländische Bankkonten: Datenübermittlung zu Informationsaustausch ist verfassungsgemäß
- Widerruf der Erlaubnis: Kein Mietwagenverkehr ohne Betriebssitz
- Mindestlohn: Keine einseitige Umstellung von jährlicher Sonderzahlung auf monatliche Zahlungen durch Arbeitgeber
Abschließende Hinweise
Arbeitsrecht
Diskriminierungsverbot: Kündigung eines Schwerbehinderten in der Wartezeit
| Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hat entschieden, dass die Kündigung eines Schwerbehinderten in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses diskriminierend im Sinne des Sozialgesetzbuchs IX (hier: § 164 Abs. 2 SGB IX) ist. Sie kann damit unwirksam sein, wenn der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nach dem Sozialgesetzbuch (§ 167 Abs. 1 SGB IX) nicht durchgeführt hat. |
Der mit einem Grad der Behinderung von 80 schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1.1.2023 bei der beklagten Kommune als „Beschäftigter im Bauhof“ beschäftigt. Der Kläger wurde zwischen dem 2.1. und 14.4.2023 in verschiedenen Kolonnen des Bauhofs eingesetzt und war ab Ende Mai arbeitsunfähig. Am 22.6.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.7.2023.
Das ArbG hat entschieden: Die Kündigung verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des § 164 Abs. 2 SGB IX und ist damit unwirksam. Der Arbeitgeber sei entgegen bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch während der Wartezeit gemäß Kündigungsschutzgesetz (hier: § 1 Abs. 1 KSchG) verpflichtet, das o.g. Präventionsverfahren durchzuführen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt, dass möglichst frühzeitig als Präventionsmaßnahme die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten sind, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis eintreten, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können. Dies habe die Arbeitgeberin hier nicht getan. Sie hätte, als sie bemerkte, dass der schwerbehinderte Kläger sich während der Wartezeit wie sie vorträgt nicht bewährte bzw. sich nicht ins Team einfügte und ihren Erwartungen nicht entsprach, Präventionsmaßnahmen ergreifen und gegebenenfalls die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt präventiv einschalten müssen.
Quelle | ArbG Köln, Urteil vom 20.12.2023, 18 Ca 3954/23, PM 2/24
Einladungspflicht: Kein Vorstellungsgespräch trotz Schwerbehinderung: Evangelischer Kirchenkreis ist kein öffentlicher Arbeitgeber
| Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Das Sozialrecht (hier: § 165 S. 3 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)) sieht die grundsätzliche Einladungspflicht nur für öffentliche Arbeitgeber vor. Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist kein öffentlicher Arbeitgeber. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG). |
Schwerbehinderten nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich um eine Stelle in der Verwaltung eines Kirchenkreises der Evangelischen Kirche im Rheinland beworben. Trotz Offenlegung seiner Schwerbehinderung wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Seine Bewerbung blieb erfolglos.
Lag Diskriminierung vor?
Nach Ansicht des Klägers wurde er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies indiziere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Hierzu sei der Kirchenkreis nach der o. g. Vorschrift verpflichtet gewesen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte er als öffentlicher Arbeitgeber. Mit seiner Klage hat der Kläger deshalb die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Der beklagte Kirchenkreis hat dies abgelehnt. Er sei kein öffentlicher Arbeitgeber. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Bundesarbeitsgericht spricht Klartext
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung dargelegt.
Eine solche kann nicht aufgrund der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vermutet werden. Hierzu war der beklagte Kirchenkreis nicht verpflichtet. Die Einladungspflicht besteht zwar u. a. für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies betrifft aber nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Begriffsverständnis nur Körperschaften, die staatliche Aufgaben wahrnehmen. Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts dienen demgegenüber primär der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll dabei die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaft unterstützen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Einladungspflicht auf kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts erstrecken wollte. Insoweit stehen sie den ebenfalls staatsfernen privaten Arbeitgebern gleich.
Quelle | BAG, Urteil vom 25.1.2024, 8 AZR 318/22, PM 2/24
Wahlanfechtung: Ein „Smiley“ ist im Kennwort der Vorschlagsliste für eine Betriebsratswahl unzulässig
| Eine Vorschlagsliste für die Betriebsratswahl, die in ihrem Kennwort ein „Smiley-Symbol“ enthält, ist ungültig. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln in einem Wahlanfechtungsverfahren entschieden. |
Betriebsratswahl angefochten
Fünf Arbeitnehmer eines weltweit tätigen Logistikunternehmens mit einem Betrieb am Flughafen Köln/Bonn und einer weiteren Betriebsstätte im benachbarten Troisdorf hatten die Wahl des 25-köpfigen Betriebsrats angefochten und dies u. a. damit begründet, dass der Wahlvorstand ihren Wahlvorschlag zu Unrecht wegen des verwendeten Listenkennworts zurückgewiesen und stattdessen mit den Familien- und Vornamen der beiden in der Liste an erster Stelle benannten Wahlbewerbern versehen habe.
Die Arbeitnehmer hatten beim Wahlvorstand zunächst einen Wahlvorschlag mit dem Kennwort ,,fair.die“ eingereicht. Nachdem der Wahlvorstand den Vorschlag wegen einer phonetischen Verwechslungsgefahr mit der Gewerkschaft ver.di zurückgewiesen hatte, teilten die Arbeitnehmer mit, dass ihr Wahlvorschlag das Kennwort „FAIR“ (mit dem zusätzlichen „Smiley-Symbol“) die Liste“ tragen solle.
Dieses Kennwort sowie drei weitere Alternativvorschläge, die ebenfalls einen „Smiley“ enthielten, lehnte der Wahlvorstand wiederum ab.
Landesarbeitsgericht: Bildzeichen unzulässig
Wie das LAG entschieden hat, ist ein Bildzeichen als Bestandteil eines Kennworts unzulässig, wenn es wie das „Smiley“ lediglich einen Stimmungs- oder Gefühlszustand ausdrückt, keine eindeutige Wortersatzfunktion hat und demgemäß üblicherweise nicht mit ausgesprochen wird. Zudem hätte auch bei dem oben genannten Kennwort eine Verwechslungsgefahr bestanden, da es lautsprachlich wie „ver.di-Liste“ klingt.
Zudem hat das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt, weil der Wahlvorstand für die Betriebsstätte Troisdorf trotz ihrer räumlichen Nähe zum Hauptbetrieb unzulässigerweise die generelle Briefwahl angeordnet hatte.
Quelle | LAG Köln, Beschluss vom 1.12.2023, 9 TaBV 3/23, PM 13/23
Sozialversicherungsbeiträge: Obstbauer kann Beitragspflicht für Erntehelfer nicht umgehen
| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den koordinierten Beschäftigtentausch als Sparmodell für Sozialversicherungsbeiträge für unzulässig erklärt. |
Darum ging es
Ausgangspunkt war die Klage eines niedersächsischen Obstbauern, der einen Betrieb für Apfelanbau führt und an einem weiteren Betrieb für Erdbeeranbau beteiligt ist. Seine Erntehelfer beschäftigt er formal ganzjährig im Apfelanbau. Sie erhalten dort einen festen Monatslohn auf Basis eines Jahresarbeitsstundensolls. In der Zeit von Mai bis Juli wurden die Helfer jedoch im Erdbeerbetrieb eingesetzt. Auf den Lohn dieser Arbeit zahlte der Bauer keine Sozialversicherungsbeiträge, da er die Arbeit als zeitgeringfügige Aushilfstätigkeit betrachtete. Während der Apfelernte im Herbst verfuhr er bei jeweils wechselnder Arbeitsfreistellung mit den Beschäftigten des Erdbeerbetriebs in ähnlicher Weise.
Kurzzeitige Saisonaushilfen oder berufsmäßige Beschäftigte?
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) kam nach einer Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Mitarbeiter nicht nur kurzzeitige Saisonaushilfen seien, sondern berufsmäßig Beschäftigte, für die rd. 58.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten seien.
Bauer reklamierte für sich „angepasste Gestaltung“
Hiergegen klagte der Bauer und meinte, dass in rechtlich selbstständigen Betrieben eine Arbeitnehmertätigkeit im Hauptberuf und eine kurzzeitige Beschäftigung bei einem weiteren Arbeitnehmer möglich und erlaubt sei. Steigende Preise und politische Unsicherheiten würden eine angepasste Gestaltung notwendig machen.
Landessozialgericht spricht Klartext
Das LSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt. Zur Begründung hat es auf die Berufsmäßigkeit der Helfer abgestellt, die eine Beitragspflicht für die gesamte Tätigkeit auslöse. Das praktizierte Modell verfolge zielgerichtet das Bestreben, über wechselseitige betriebliche Absprachen und mittels langfristig geplanter und aufeinander abgestimmter organisatorischer und vertraglicher Maßnahmen rund ein Drittel des Jahreseinkommens der Arbeitskräfte der Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung zu entziehen. Die Gefahr der Altersarmut aufseiten der Erntehelfer sei von den Arbeitgebern sehenden Auges hingenommen worden. Die sozialrechtlichen Vorgaben ließen keinen Raum für eine entsprechende Beitragsverkürzung.
Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.12.2023, L 2 BA 59/23, PM vom 5.2.2024
Baurecht
Bauaufsichtsbehörde: Untersagung der ungenehmigten Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft
| Die ungenehmigte Nutzung eines Einfamilienwohnhauses als Monteursunterkunft darf nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Neustadt an der Weinstraße untersagt werden. |
Das war geschehen
Die Stadt Ludwigshafen hatte durch ihre Bauaufsichtsbehörde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, die ein zur Wohnnutzung genehmigtes Einfamilienhaus betraf. Hierbei stellte sie fest, dass sich in dem Wohnraum im Erdgeschoss zwei Einzelbetten und in einem Wohnraum im Dachgeschoss vier weitere Betten befanden. Insgesamt wohnten dort sechs männliche Personen. Die Stadt untersagte daraufhin gegenüber dem Eigentümer die Nutzung des Hauses für die Zwecke einer „Monteursunterkunft“ bzw. für eine „Beherbergung“ und ordnete hierfür die sofortige Vollziehung an. Dieser legte Widerspruch ein und stellte wegen des Sofortvollzugs zudem einen Eilantrag beim VG. Der Antrag blieb hinsichtlich der Nutzungsuntersagung ohne Erfolg.
So argumentierte das Verwaltungsgericht
Nach der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (hier: § 81 LBauO) könne die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung solcher Anlagen untersagen, die gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung, die Änderung, die Instandhaltung oder die Nutzungsänderung dieser Anlagen verstießen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.
Dies sei hier der Fall. Die von der Stadt ausgesprochene Nutzungsuntersagungsverfügung sei nicht zu beanstanden, da die tatsächliche Nutzung des Einfamilienhauses als Monteursunterkunft oder sonst als Beherbergungsbetrieb weder genehmigt noch genehmigungsfrei sei. Vorliegend sei nämlich von einer tatsächlich nicht Wohnzwecken dienenden Nutzung des Einfamilienwohnhauses auszugehen.
Definition der „Wohnnutzung“
Eine Wohnnutzung zeichne sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts aus. Dies setze bestimmte Ausstattungsmerkmale des Gebäudes voraus. Erforderlich seien insbesondere eine Küche bzw. Kochgelegenheit sowie Toiletten und Waschgelegenheiten, die auch in Gestalt von Gemeinschaftseinrichtungen zur Verfügung stehen könnten.
Der Begriff des Wohnens verlange zudem, dass Aufenthalts- und private Rückzugsräume vorhanden seien, die eine Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises erst ermöglichten. Auch Wohnheime etwa Studentenwohnheime könnten daher als Wohngebäude einzustufen sein, wenn sie nach ihrer Zweckbestimmung und Ausstattung Wohnbedürfnisse erfüllen könnten und sollten. Die Grenzen des Wohnens seien allerdings überschritten, wenn das Gebäude wie im Fall einer Unterkunft für Monteure aufgrund seiner spartanischen Ausstattung lediglich als Schlafstätte diene und auch einfache Wohnbedürfnisse nicht befriedige. Dabei spiele zudem die Wohndichte eine Rolle. Der Umstand, dass sich zwei Bewohner einen Schlafraum teilten, spreche zwar nicht zwingend gegen eine Wohnnutzung im Rechtssinne; die dadurch bewirkte Einschränkung der Privatsphäre schließe aber unter Berücksichtigung der hierzulande üblichen Wohnstandards die Annahme einer Wohnnutzung jedenfalls dann regelmäßig aus, wenn zwischen den Bewohnern keine persönliche Bindung bestehe bzw. sich diese Bindung in dem gemeinsamen Interesse an einer möglichst kostengünstigen Unterbringung erschöpfe.
Mindestanforderungen der Wohnnutzung waren zwar erfüllt…
Zwar verfüge das Wohnhaus hier mit zwei Toiletten und einer Küche über die für eine Wohnnutzung erforderlichen Mindestanforderungen. Alle Räume seien aber sehr spartanisch lediglich mit Betten und Schreibtischen eingerichtet.
…Bewohner lebten aber „aus dem Koffer“
Die Bewohner lebten augenscheinlich „aus dem Koffer“, Kleiderschränke oder auch sonstiger Stauraum seien nicht vorhanden. Zudem spreche das Vorbringen des Antragstellers im Eilverfahren, wonach die Bewohner allesamt unter der Woche als Monteure an weit entfernten Orten beschäftigt seien und lediglich am Wochenende oder im Urlaub in dem Haus verweilten, erheblich dafür, dass der Zweck des Zusammenlebens nicht über das Interesse an einer günstigen Unterkunft hinausgehe und tatsächlich kein Interesse an einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit bestehe, sondern das Haus lediglich als Schlafplatz zwischen den Arbeitsaufträgen diene. Insbesondere wegen der Unterbringung in Mehrbettzimmern und des vollständigen Fehlens von Aufenthaltsräumen sei nicht ersichtlich, dass die Unterkunft über den Nutzen als Schlafstätte hinaus Wohnbedürfnisse befriedige.
Quelle | VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 4.1.2024, 4 L 1213/23.NW, PM 2/24
Vertragsgestaltung: Aufgaben der Tragwerksplanung
| Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Ein Tragwerksplaner ist nur verpflichtet, den Prüfbericht des Prüfingenieurs und die diesem beigefügten Bewehrungspläne zu prüfen, wenn eine entsprechende vertragliche Vereinbarung getroffen wurde. |
Wichtige Entscheidung
Diese Aussage ist für das Tagesgeschäft der Tragwerksplanung wichtig, da es in den meisten Fällen für den Tragwerksplaner von Eigeninteresse sein dürfte, Prüfbericht und Prüfeintragungen durchzusehen. Denn der Prüfingenieur könnte ja auch eigene Mängel verhindern helfen. Schwierig wird es, wenn der Prüfingenieur eine andere Auffassung vertritt, aber dennoch kein Planungsfehler vorliegt. Dann muss man abwägen.
Das gehört nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners
Das OLG hat auch noch weitere Feststellungen getroffen: Es gehört danach nicht zu den Aufgaben eines Tragwerksplaners, geänderte Ausführungspläne des Architekten an das bauausführende Unternehmen weiterzuleiten. Dies ist ein ständiges Streitthema. Um hier Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist es wichtig, zu Planungsbeginn eine Regelung zu treffen, wer welche Pläne an wen weiterleitet. In den meisten Fällen macht es Sinn, dass der Objektplaner hier koordinierend Regelungsvorschläge macht und dafür Sorge trägt, dass seine Pläne an die ausführenden Unternehmen weitergeleitet werden.
Schutzwürdiges Eigeninteresse erforderlich
Außerdem, so das OLG, setzte ein Anspruch des Auftraggebers auf Lieferung von Plänen nach Abschluss der Bauarbeiten ein schutzwürdiges Eigeninteresse voraus. Daran fehle es, wenn der Auftraggeber das Bauwerk jahrelang ohne die verlangten Pläne nutzen und verwalten konnte. Hierdurch wird klargestellt, dass Planungsbüros im Regelfall nicht jahrelang als Planarchiv für ehemalige Auftraggeber fungieren müssen.
Quelle | OLG München, Urteil vom 16.5.2023, 9 U 1801/21 Bau, Abruf-Nr. 239808 unter www.iww.de
Familien- und Erbrecht
Familienkasse: Kein Kindergeld bei einem Freiwilligendienst zwischen Bachelor- und Masterstudium
| Wie der Bundesfinanzhof (BFH) nun entschieden hat, liegt eine aus mehreren Ausbildungsabschnitten (z.B. Bachelor- und Masterstudium im gleichen Fach) bestehende einheitliche Erstausbildung nur vor, wenn die einzelnen Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zueinander stehen. Der enge zeitliche Zusammenhang ist nur gewahrt, wenn das Kind den nächsten Teil der mehraktigen Ausbildung, also z.B. das Masterstudium, zum nächstmöglichen Termin aufnimmt. Daran fehlt es, wenn das Kind dazwischen einen Freiwilligendienst absolviert, statt die Ausbildung sogleich fortzusetzen. Dies hat zur Folge, dass die Erstausbildung mit dem vorherigen Ausbildungsabschnitt abgeschlossen ist, sodass der Kindergeldberechtigte in der Folgezeit einen Kindergeldanspruch nur dann behält, wenn das Kind nicht oder nicht mehr 20 Stunden pro Woche erwerbstätig ist. |
Das war geschehen
Der Kläger ist Vater einer im Februar 1996 geborenen Tochter, die zum Ende des Sommersemesters 2018 ein Studium im Fach C mit dem Bachelor of Science abschloss. In den Monaten Oktober 2018 bis einschließlich Mai 2019 absolvierte die Tochter einen Freiwilligendienst. Im Juli 2019 wurde sie zum Masterstudium im Fach C zugelassen, welches sie im Oktober 2019 aufnahm. Zwischen Juli und September 2019 (Streitzeitraum) übte die Tochter eine befristete Aushilfstätigkeit im Umfang von 25 Wochenstunden aus.
Die Familienkasse war der Auffassung, dass dem Kläger wegen der nicht nur geringfügigen Erwerbstätigkeit der Tochter im Streitzeitraum kein Kindergeld zu gewähren ist.
Familienkasse bekam Recht
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Der BFH hielt die Revision der Familienkasse für begründet. Zwar sei die Tochter auch in den streitigen Monaten bis zum Beginn des Masterstudiums grundsätzlich kindergeldrechtlich zu berücksichtigen, weil sie dieses Studium erst mit dem Beginn des Wintersemesters 2019/2020 aufnehmen konnte (§ 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c des Einkommensteuergesetzes [EStG]). Volljährige Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, seien nach Abschluss einer Erstausbildung kindergeldrechtlich aber nur zu berücksichtigen, wenn sie keiner Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden nachgingen (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG).
Der BFH: Das FG habe zu Unrecht Bachelor- und Masterstudium als Teile einer einheitlichen Erstausbildung angesehen. Wegen des von der Tochter zwischenzeitlich absolvierten Freiwilligendienstes fehle der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang zwischen den Ausbildungsteilen.
Umfang der Erwerbstätigkeit relevant
Daher sei der Umfang der Erwerbstätigkeit relevant. Da dieser über der Grenze von 20 Wochenstunden gelegen habe, könne kein Kindergeld gewährt werden.
Quelle | BFH, Urteil vom 12.10.2023, III R 10/22, PM 3/24
Vermächtnis: Was ist „vorhandenes Barvermögen“?
| Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg ist der Frage nachgegangen, was der mehrdeutige Begriff „vorhandenes Barvermögen“ in einem Vermächtnis bedeutet. |
Die Parteien stritten um die Erfüllung eines Vermächtnisses und hierbei um den Begriff „Barvermögen“. In einem notariellen Testament beschwerte der Erblasser die eingesetzten Erben mit einem Vermächtnis zugunsten einer weiteren Person wie folgt: „Das bei Eintritt des Erbfalls vorhandene Barvermögen soll zu einem 1/3 Anteil an meine Tochter …, geb. am …, ausgezahlt werden“. Die Bedachte hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ seine gesamten liquiden Mittel, insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld im engeren Sinne verstanden. Demgegenüber haben die beschwerten Erben die Auffassung vertreten, der Erblasser habe unter dem Begriff „Barvermögen“ lediglich das vorhandene Bargeld verstanden.
Barvermögen = auch unbares Geld, das sofort verfügbar ist
Das Landgericht (LG) hat sich in erster Instanz der Auffassung der Bedachten angeschlossen und die Erben verurteilt, zu zahlen. Aufgrund der gegen dieses Urteil durch die Erben eingelegten Berufung hat das OLG Oldenburg den Begriff wie folgt verstanden: Danach umfasst der Begriff des Barvermögens heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist, also auch über eine Kartenzahlung. Wertpapiere fallen nicht unter den Begriff des Barvermögens. Vielmehr werden Wertpapiere durch den erweiterten Begriff des Kapitalvermögens mit abgedeckt, der das Barvermögen einschließlich weiterer Kapitalwerte in Geld beschreibt.
Wertpapiere gehörten hier nicht zum Barvermögen
Nach Beweisaufnahme hat das OLG festgestellt, dass die Bedachte nicht habe nachweisen können, dass der Erblasser mit dem Begriff „Barvermögen“ das gesamte Kapitalvermögen, also auch das nicht sofort verfügbare Kapital in der Form von Genossenschaftsanteilen und Wertpapieren gemeint habe. Im Ergebnis habe der vernommene Zeuge der beurkundende Notar keine konkreten Aussagen zum Willen des Erblassers in Bezug auf Wertpapiere und dessen Begriffsverständnis vom Begriff „Barvermögen“ machen können.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 20.12.2023, 3 U 8/23, Abruf-Nr. 239972 unter www.iww.de
Europäischer Gerichtshof: Familienzusammenführung mit einem minderjährigen Flüchtling
| Ein als Flüchtling anerkannter unbegleiteter Minderjähriger hat das Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern, auch wenn er während des Verfahrens auf Familienzusammenführung volljährig geworden ist. Unter den außergewöhnlichen Umständen eines aktuellen Falls des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) muss auch der volljährigen Schwester dieses Flüchtlings, die aufgrund einer schweren Krankheit die dauerhafte Unterstützung ihrer Eltern benötigt, ein Einreise- und Aufenthaltstitel zuerkannt werden. |
Die Kernaussage
Der EuGH stellte klar, dass ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling auch dann das Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern hat, wenn er während des Verfahrens auf Familienzusammenführung volljährig geworden ist. Die Familienzusammenführung muss sich ausnahmsweise auf eine volljährige Schwester erstrecken, wenn diese aufgrund einer schweren Krankheit die ständige Unterstützung ihrer Eltern benötigt. Andernfalls würde dem Flüchtling de facto sein Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern genommen. Dieses Recht darf nicht der Voraussetzung unterliegen, dass der minderjährige Flüchtling oder seine Eltern über Wohnraum, eine Krankenversicherung und ausreichende Einkünfte für sie und die Schwester verfügen.
Die Details des Falls
Nachdem einem unbegleiteten minderjährigen Syrer in Österreich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden war, beantragten seine Eltern und seine volljährige Schwester Aufenthaltstitel, um zu ihm ziehen zu können. Die österreichischen Behörden wiesen diese Anträge ab, weil der junge Syrer nach Stellung der Anträge volljährig geworden war, ebenso wie spätere Anträge auf Familienzusammenführung. Die Eltern und die Schwester fochten die Bescheide, mit denen die zuletzt genannten Anträge zurückgewiesen wurden, beim Verwaltungsgericht Wien an. Dieses hat den EuGH um Auslegung der Richtlinie betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ersucht. Es führt u. a. aus, dass die Schwester aufgrund einer Zerebralparese vollständig und dauerhaft auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen sei, so dass die Eltern sie nicht allein in Syrien lassen könnten.
Eigener Schutz für Flüchtlinge
Der EuGH erinnerte daran, dass die Richtlinie Flüchtlingen einen eigenen Schutz gewährt. Aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit begünstigt sie im Speziellen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, indem sie ihnen das Recht auf Familienzusammenführung mit ihren Eltern einräumt.
Recht auf Familienzusammenführung
Erstens stellte der EuGH fest, dass ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, der während des Verfahrens auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern volljährig wird, das Recht auf eine solche Familienzusammenführung hat. Dieses Recht darf nämlich nicht von der mehr oder weniger schnellen Bearbeitung des Antrags abhängen. Folglich darf der Antrag nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass der Flüchtling zum Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag nicht mehr minderjährig ist.
Eltern konnten schwerbehinderte Tochter nicht allein zurücklassen
Zweitens erläuterte der EuGH, dass dem minderjährigen Flüchtling wegen der Krankheit seiner Schwester, wenn dieser kein Recht auf Familienzusammenführung mit ihrem Bruder gleichzeitig mit ihren Eltern gewährt würde, de facto sein Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern genommen würde, da es den Eltern nicht möglich ist, zu ihrem Sohn zu ziehen, ohne ihre Tochter mitzunehmen. Ein solches Ergebnis wäre aber mit dem unbedingten Charakter dieses Rechts unvereinbar und würde dessen praktische Wirksamkeit in Frage stellen, was sowohl dem Ziel der Richtlinie betreffend das Recht auf Familienzusammenführung als auch den Anforderungen zuwiderlaufen würde, die sich aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Bezug auf die Achtung des Privat- und Familienlebens sowie die Rechte Minderjähriger ergeben und deren Einhaltung diese Richtlinie sicherstellen muss.
Keine überzogenen Anforderungen
Der EuGH stellte drittens fest, dass weder vom minderjährigen Flüchtling noch von seinen Eltern verlangt werden darf, dass sie für sich und für die schwer kranke Schwester über ausreichend großen Wohnraum, eine Krankenversicherung sowie hinreichende Einkünfte verfügen. Es ist nämlich nahezu unmöglich, dass ein minderjähriger unbegleiteter Flüchtling diese Voraussetzungen erfüllt. Ebenso ist es für die Eltern eines solchen Minderjährigen äußerst schwierig, diese Voraussetzungen zu erfüllen, bevor sie zu ihrem Kind gezogen sind. Die mögliche Familienzusammenführung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge mit ihren Eltern von der Erfüllung dieser Voraussetzungen abhängig zu machen, würde somit in Wirklichkeit darauf hinauslaufen, diesen Minderjährigen ihr Recht auf eine solche Zusammenführung zu nehmen.
Quelle | EuGH, Urteil vom 30.1.2024, C-560/20, PM 19/24
Mietrecht und WEG
Haftung: Pflichten des WEG-Verwalters bei der Überwachung von Bauarbeiten
| Bauarbeiten am Gemeinschaftseigentum muss der Verwalter wie ein Bauherr überwachen. So hat es jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. |
Dach musste abgerissen werden
Eine Eigentümergemeinschaft beauftragte ein Unternehmen mit Dacharbeiten. Diese wurden aber vorzeitig abgebrochen. Die Gemeinschaft holte ein Gutachten ein. Dies stellte fest, dass die Arbeiten unbrauchbar waren. Das Dach müsse abgerissen werden.
Verwalter hatte Abschläge gezahlt
Das Problem: Der Verwalter hatte dem Dachdecker über 100.000 Euro an Abschlag gezahlt. Die Eigentümergemeinschaft verlangte dieses Geld sowohl vom Verwalter als auch vom Dachdecker zurück.
Das sagt der Bundesgerichtshof
Der BGH stellte fest: Ein Verwalter muss Baumaßnahmen am Gemeinschaftseigentum wie ein Bauherr überwachen. Etwaige Abschlagszahlungen muss er sorgfältig auf ihre Richtigkeit prüfen, sonst haftet er. Fehlende Fachkenntnisse entlasten ihn nicht, wenn er die Gemeinschaft nicht darauf hinweist.
In welchem Umfang waren die Arbeiten fachgerecht?
Für die Schadenshöhe kommt es auch darauf an, ob die Arbeiten vertragsgerecht geleistet wurden, denn Abschlagszahlungen sind nur vorläufig, so der BGH. Die Eigentümergemeinschaft konnte hier daher nur etwas vom Verwalter verlangen, soweit die Abschläge die dem Dachdecker zustehende Vergütung überstiegen. Das muss die Gemeinschaft dann beweisen. Nur, wenn eine Nacherfüllung durch den Dachdecker nicht mehr möglich ist, haftet der Verwalter auch.
Quelle | BGH, Urteil vom 26.1.2024, V ZR 162/22
Räumungsklage: Fristlose Kündigung gegenüber psychisch krankem Mieter
| Eine fristlose Kündigung ist auch gegenüber einem psychisch kranken oder schuldunfähigen Mieter möglich, wenn trotz Abmahnung der Hausfrieden systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört wird mit der Folge der vorzeitigen Kündigung von anderen Mietern und der Nichtvermietbarkeit angrenzender Wohnungen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Gesundheitszustand bedarf es dann nicht. So entschied es der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Sachsen. |
Wiederholte Lärmstörungen
Der Vermieter kündigte nach Abmahnung das Mietverhältnis mit einem psychisch kranken Mieter wegen wiederholten Lärmstörungen fristlos, hilfsweise ordentlich. Andere Mieter hatten wegen des Lärms ihr Mietverhältnis gekündigt und eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnung war nicht möglich.
Gegen die erfolgreiche Räumungsklage legte der Mieter Berufung ein, die er nach Hinweisbeschluss des Landgerichts (LG) Dresden zurücknahm. Das LG hatte ausgeführt, dass zwar in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Mieters für die Begründung des Kündigungsgrundes erforderlich sei. Dies gelte aber nicht absolut, da auch bei Schuldlosigkeit das zumutbare Maß und damit die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter überschritten sei und in der Abwägung überwiegen kann. Zwar ergebe sich aus den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hier: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) eine erhöhte Toleranzbereitschaft gegenüber nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mietern, z.B. Verschlechterung des Gesundheitszustands, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder Suizidgefährdung. Aber auch wenn der Mieter aufgrund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns zu erkennen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze für den Vermieter deutlich überschritten.
Mieter legte Verfassungsbeschwerde ein
Gegen das Urteil und den Beschluss legte der Mieter Verfassungsbeschwerde ein doch ohne Erfolg. Die Beschwerde sei unzulässig, sie genüge nicht den Begründungsanforderungen, so der VerfGH. Das LG habe sich umfassend auch mit Grundrechten auseinandergesetzt. Eine konkrete Grundrechtsverletzung rüge der Beschwerdeführer nicht.
Quelle | VerfGH Sachsen, Urteil vom 30.8.2023, Vf. 40-IV-23
Betriebskosten: Vermieter kann Guthaben auch nach Abrechnungsfristablauf korrigieren
| Das Mietrecht (hier: § 556 Abs. 3 S. 3 BGB) schließt eine nachträgliche Abrechnung zulasten des Mieters nicht aus, durch die ein Guthaben verringert wird. Das entschied das Landgericht (LG) München. |
Grundsteuer in der Abrechnung vergessen
Der Vermieter hatte über die Betriebskosten abgerechnet und dabei die Grundsteuer vergessen. Bevor er das ursprünglich berechnete Guthaben an den Mieter auszahlte, verstrich die Abrechnungsfrist. Nun korrigierte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung und berücksichtigte die Grundsteuer. Dabei ergab sich ein geringeres Guthaben, das er an den Mieter zahlte. Der Mieter klagte auf Rückzahlung des ursprünglich berechneten höheren Guthabens.
Amtsgericht und Landgericht vermieterfreundlich
Das Amtsgericht (AG) sprach jedoch nur das korrigierte geringere Guthaben zu. Es bestünde kein Anspruch des Mieters, weil eine nachträgliche Verringerung des Guthabens vom Gesetz nicht ausgeschlossen sei.
Die Berufung des Mieters blieb erfolglos. Das LG teilte die Rechtsauffassung des AG. § 556 Abs. 3 S. 3 BGB solle den Mieter nur davor schützen, nach Ablauf der Abrechnungsfrist Zahlungen leisten zu müssen, die die Vorauszahlungen übersteigen. Darüber hinaus gewähre das Gesetz keinen Vertrauensschutz für eine zugunsten des Mieters unrichtige Abrechnung.
Der Mieter darf also nicht darauf vertrauen, dass ein Guthaben unveränderlich bleibt. Dies gilt auch, wenn die Korrektur erst nach Ablauf der Abrechnungsfrist erfolgt. Eine weitergehende Schutzwirkung zugunsten des Mieters sieht das Gesetz schon nach dem Wortlaut der Vorschrift („Geltendmachung einer Nachzahlung“) nicht vor.
Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 31.10.07, VIII ZR 261/06).
Quelle | LG München I, Beschluss vom 30.11.2023, 31 S 10140/23
Verbraucherrecht
Gesetzliche Krankenversicherung: Wer ein Einzelzimmer bucht, muss es auch bezahlen
| Ein gesetzlich versicherter Patient verlangte von seiner Krankenversicherung, ihm die Kosten für ein Einzelzimmer während eines stationären Krankenhausaufenthalts zu erstatten. Einen solchen Anspruch lehnte das Sozialgericht (SG) Mainz aber ab. |
Patient lag im Einzelzimmer
Ein Patient ließ sich längere Zeit stationär in einem Krankenhaus behandeln. Mit dem Krankenhaus hatte er einen Vertrag über das Unterbringen in einem Einzelzimmer geschlossen.
Krankenkasse wollte Kosten nicht übernehmen
Die dabei entstandenen Kosten wollte die Krankenkasse nicht übernehmen. Der Patient klagte. Seine Argumentation: Aus medizinischen Gründen sei ein Einzelzimmer erforderlich gewesen.
Sozialgericht wies Klage ab
Vor dem SG hatte er jedoch keinen Erfolg. Selbst wenn ein Einzelzimmer erforderlich gewesen sei, hätte das Krankenhaus dafür sorgen müssen, dass der Patient entsprechend untergebracht sei. Die Kosten einer erforderlichen Einzelzimmerbelegung seien dann in den pauschal von der Krankenkasse an das Krankenhaus zu zahlenden Entgelten enthalten. Die Kosten hierfür habe die Krankenkasse bereits gezahlt. Zusätzliche Kosten für ein Einzelzimmer könne der Patient folgerichtig nicht bei seiner Krankenkasse einfordern.
Quelle | SG Mainz, Urteil vom 23.2.2024, S 7 526/20
Tarifbedingungen: Vertragsklausel der EnBW zu Ladesäulenblockiergebühr wirksam
| Das Amtsgericht (AG) Karlsruhe hat die Klage eines E-Autofahrers gegen die EnBW auf Rückzahlung von Blockiergebühren abgewiesen. |
Überschreiten der zulässigen Standzeit
Die Blockiergebühren in Höhe von insgesamt 19,80 Euro waren wegen Überschreitung der zulässigen Höchststandzeit an Ladesäulen der EnBW an drei verschiedenen Terminen im März 2022 angefallen. Die Blockiergebühr ist nach den Bedingungen des ADAC e-Charge Tarifs, der von der EnBW angeboten wird, ab einer Standzeit von mehr als 240 Minuten fällig. Ab diesem Zeitpunkt sind 12 Cent pro Minute zu zahlen, maximal jedoch 12 Euro. Auf die Blockiergebühr wird sowohl beim Abschluss des Tarifs als auch beim Start des Ladevorgangs hingewiesen. Der Kläger hatte diesen Bedingungen bei Nutzung der App zugestimmt.
Klausel wirksam
Der Kläger hatte argumentiert, die Klausel sei unwirksam. Im Übrigen verlangten andere Anbieter keine Blockiergebühr. Nach Auffassung des AG ist die Klausel jedoch wirksam, da das Interesse der EnBW berechtigt ist, die Ladesäule zeitnah weiteren Kunden zur Verfügung stellen zu können.
Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung. Sie ist rechtskräftig.
Quelle | AG Karlsruhe, Urteil vom 4.1.2024, 6 C 184/23, PM vom 24.1.2024
Keine Rückerstattung: Grobe Fahrlässigkeit bei einem Phishing-Angriff
| Gibt ein Kunde mittels PushTAN und Verifizierung über eine Gesichtserkennung nach einer Phishing-Nachricht die temporäre Erhöhung seines Überweisungslimits und eine anschließende Überweisung telefonisch frei, handelt er grob fahrlässig. So entschied es das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. |
Der Bankkunde ein Rechtsanwalt und Steuerberater in einer internationalen Sozietät führt bei der beklagten Bank ein Girokonto und forderte erfolglos, eine Überweisung von knapp 50.000 Euro zurückzuerstatten. Das OLG: Die Bank schuldet in einem solchen Fall nicht die Rückerstattung des überwiesenen Betrags. Denn angesichts der fortlaufenden Warnungen der Banken vor Phishing-Mails und der öffentlichen Diskussion hierüber müssten Kunden spätestens bei der telefonischen Aufforderung, Sicherheitsmerkmale preiszugeben, misstrauisch werden. Dies gelte auch, wenn der äußere Rahmen der besuchten Website vertraut erscheint.
Quelle | OLG Frankfurt, Urteil vom 6.12.2023, 3 U 3/23, Abruf-Nr. 240754 unter www.iww.de
Versicherungsschutz: Sturz bei der Reha-Nachsorge: Patientin ist nicht unfallversichert
| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich mit der Frage befasst, ob eine Reha-Patientin unfallversichert ist, wenn sie auf dem Heimweg von einer Maßnahme der Nachsorge stürzt und sich dabei verletzt. |
Sturz nach ambulanter Maßnahme
Die seinerzeit 55-jährige Klägerin führte im Frühjahr 2018 eine mehrwöchige stationäre medizinische Behandlung in einer Rehabilitationsklinik durch. Diese Reha-Maßnahme war ihr von der Deutschen Rentenversicherung gewährt worden, um ihre Berufsfähigkeit aufrechterhalten bzw. wiederherstellen zu können. Kurz vor Beendigung der Reha zog sich die Patientin bei einer Faszien-Therapie ein behandlungsbedürftiges Hämatom zu, sodass sie die stationäre Reha abbrechen musste und im Folgenden im Einvernehmen mit der Rentenversicherung ambulante Leistungen zur „intensivierten Rehabilitationsnachsorge“ (IRENA) in Anspruch nahm. Am 16.10.2018 kollidierte die Patientin auf ihrem Heimweg vom IRENA-Sport mit einer Radfahrerin, stürzte und zog sich Prellungen der Wirbelsäule, des Knies und der Wade zu.
Arbeitsunfall oder nicht?
Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, den Sturz der Patientin als Arbeitsunfall anzuerkennen und für ihre ärztliche Behandlung aufzukommen. Unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fielen keine Leistungen, die erst nach Abschluss der medizinischen Rehabilitation als „sonstige Leistung“ erbracht würden. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht (SG) Potsdam blieb ohne Erfolg. Auf die daraufhin eingelegte Berufung hat das LSG das SG bestätigt. Es hat ausgeführt, dass das Ereignis vom 16.10.2018 keinen Arbeitsunfall darstelle. Zwar sehe das Gesetz für Teilnehmende an Leistungen zur stationären, teilstationären oder ambulanten medizinischen Rehabilitation Unfallversicherungsschutz vor (§ 2 Abs. 1 Nr. 15a SGB VII). Anders sei dies jedoch für Maßnahmen zur Nachsorge, wie die hier in Rede stehenden IRENA-Leistungen. Diese stellten keine „ambulante Rehabilitation“ dar und würden vom Gesetzeswortlaut nicht erfasst.
Bereits aus der Gesetzesbegründung werde deutlich, dass die Nachsorge nicht einer ambulanten Reha-Maßnahme gleichgestellt werden könne. Die Gesetzesmaterialien enthielten auch keine Anhaltspunkte für eine (unbeabsichtigte) Regelungslücke. Überdies seien bei einer ambulanten und erst recht bei einer stationären Reha-Maßnahme die zeitliche Bindung und Verweildauer des Patienten in der Sphäre der Reha-Einrichtung und mithin die Unfallgeneigtheit deutlich höher als bei der Nachsorge, die lediglich die Teilnahme an vergleichsweise kurzen Terminen in zeitlich loser Abfolge erfordere. Auch aufgrund des Schutzzwecks der Norm sei es gerechtfertigt, den gesetzlichen Versicherungstatbestand restriktiv auszulegen.
Quelle | LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.1.2024, L 21 U 180/21, PM vom 16.1.2024
Reisepreisminderung: Zu wenig Platz im „französischen Bett“?
| Das Amtsgericht (AG) Hannover hält ein „französisches Bett“ nicht für ein Doppelbett. Das war in einem Reiserechtsfall entscheidend. |
Ist ein Bett mit einer Breite von 1,40 m ein Doppelbett? Ist es breit genug, um zwei erwachsenen Menschen einen erholsamen Urlaub zu ermöglichen? Das AG hat diese Fragen verneint. Es hat entschieden, dass Reisende jedenfalls in einem Hotel, das der Reiseveranstalter selbst mit fünf „Sonnen“ bewertet, für jeden Reisenden mit einem Schlafplatz von mehr als 70 cm Breite rechnen dürfen.
Im Fall des AG hatten drei erwachsene Personen gemeinsam ein Dreibettzimmer gebucht. Zur Verfügung gestellt wurde ihnen ein Zimmer, das über zwei Betten mit einer Breite von jeweils 1,40 m verfügte. Weil diese Ausstattung nicht der vertraglichen Vereinbarung entsprach, erhalten die beiden Reisenden, die sich ein Bett teilen mussten, nun 15 Prozent des auf sie entfallenden Reisepreises zurück.
Quelle | AG Hannover, Urteil vom 22.2.2024, 471 C 6110/23, PM vom 26.2.2024
Nachbarrecht: Anspruch auf Rückschnitt einer Hecke kann wegen „Treu und Glauben“ ausgeschlossen sein
| Wer an der Grenze zu seinem Nachbargrundstück eine Hecke anlegt, muss nach dem geltenden Nachbarrecht dafür sorgen, dass die Pflanzen je nach Grenzabstand eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Tut er das nicht, kann der Nachbar den Rückschnitt der Hecke verlangen und im Notfall auch gerichtlich durchsetzen. Der Anspruch auf den Rückschnitt kann jedoch nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn sich der Nachbar selbst regel- und damit treuwidrig verhält. Das hat das Landgericht (LG) Frankenthal entschieden. |
Das war geschehen
Das LG hat mit dieser Begründung die Klage eines Nachbarn auf Rückschnitt einer Hecke an der Grundstücksgrenze abgewiesen. Denn auch einzelne Pflanzen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn verstießen nach den Feststellungen der Kammer gegen die Regelungen des Nachbarrechts.
Im konkreten Fall hatten zwei Grundbesitzer Streit über die zulässige Höhe einer direkt an der Grundstücksgrenze gepflanzten Hecke, die durchgehend eine Höhe von 2,20 Metern aufweist. Unter Berufung auf das geltende Landesrecht verlangte der Nachbar, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal eineinhalb Metern gehalten werde. Dem gab das AG statt und verurteilte den Eigentümer zum entsprechenden Rückschnitt in der Zeit von 1.10. und 15.3. eines jeweiligen Jahres.
Höhe der Hecke zwar einzuhalten, aber…
Die dagegen gerichtete Berufung zum LG hatte jedoch Erfolg. Die Berufungskammer hat dem Nachbarn zwar grundsätzlich zugebilligt, dass die nach dem Nachbarrecht zulässige Höhe der Hecke einzuhalten ist.
… Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten
Das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei aber stark von den sog. Grundsätzen von Treu und Glauben geprägt. Hieraus entspringen Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die zu einer Beschränkung bis hin zum Ausschluss nachbarrechtlicher Rechte führen könnten, so das LG. Deshalb müsse berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn direkt hinter dem Zaun eine drei bis vier Meter hohe Kugelhecke und eine etwa zweieinhalb Meter hohe Zypresse gepflanzt sei. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Wer sich aber selbst nicht regelgerecht verhalte, sei nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 24.1.2024, 2 S 85/23, PM vom 31.1.2024
Bundesgerichtshof: Kündigung eines Prämiensparvertrags
| Bei einem Prämiensparvertrag, bei dem die Prämien auf die Sparbeiträge stufenweise bis zu einem bestimmten Sparjahr steigen, kann das Recht der Sparkasse zu einer ordentlichen Kündigung auch nach Erreichen der höchsten Prämienstufe ausgeschlossen sein. Das ist der Fall, wenn die Vertragsurkunde eine darüber hinausgehende Vertragslaufzeit bestimmt und die Parteien insofern nicht übereinstimmend etwas anderes gewollt haben. So sieht es der Bundesgerichtshof (BGH). |
Der BGH führt damit seine Rechtsprechung fort. Er bestätigt die Ansicht, dass es sich bei solchen Verträgen um unregelmäßige Verwahrungsverträge nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 700 Abs. 1 S. 1 BGB) handelt.
Der Sparer ist also nicht verpflichtet, regelmäßige Sparbeiträge zu liefern. Aufgrund der bisherigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) in den Verträgen, nach denen diese auch nach Erreichen der höchsten Prämienstufe noch 99 Jahre weiter gelten, hat der BGH einen dauerhaften Kündigungsausschluss aufseiten der Bank angenommen. Die danach lange Laufzeit der Sparverträge sei nicht so ungewöhnlich, dass der durchschnittliche Sparer hätte annehmen müssen, die Sparkasse wolle nicht auf ihr Kündigungsrecht für einen solchen Zeitraum verzichten.
Quelle | BGH, Urteil vom 14.11.2023, XI ZR 88/23, Abruf-Nr. 238950 unter www.iww.de
Verkehrsrecht
Bundesgerichtshof: Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung bei Vorbeifahrt an einem Müllabfuhrfahrzeug
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat über einen Fall entschieden, in dem eine Pkw-Fahrerin an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifuhr und mit einem gerade entleerten Müllcontainer kollidierte. Der BGH hat in diesem Fall einen Verstoß der Fahrerin gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) bejaht. |
Das war geschehen
Die Klägerin, ein Pflegedienst, macht gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadenersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin der Klägerin fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagten Zweckverbands vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des klägerischen Fahrzeugs mit einem Müllcontainer, den ein bei dem Beklagten angestellter Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.
Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt.
So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hat der Klage gegen den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht (OLG) das Urteil des LG teilweise geändert und den Beklagten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Beklagter) zu 25 (Klägerin) zu weiterem Schadenersatz verurteilt. Es ist dabei davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die StVO anzulasten sei.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Das Urteil des OLG wurde aufgehoben und die Sache an das OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadenersatzanspruch gemäß StVO (hier: § 7) zu, da das Fahrzeug der Klägerin „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.
Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das OLG zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das Fahrzeug der Klägerin zu achten, welches für ihn hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben erkennbar gewesen wäre.
Allerdings ist entgegen der Ansicht des OLG auch der Mitarbeiterin der Klägerin als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die StVO vorzuwerfen.
Mit dem Verhalten des Müllwerkers konnte gerechnet werden
Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, also in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Wenn es nicht möglich ist, einen ausreichenden Seitenabstand zu einem Müllabfuhrfahrzeug einzuhalten, um die Gefahr eines plötzlich auftauchenden Müllwerkers vor oder hinter dem Fahrzeug zu vermeiden, muss die Geschwindigkeit gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) reduziert werden, sodass der Fahrer sein Fahrzeug bei Bedarf sofort zum Stillstand bringen kann.
Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Berufungsgericht festgestellte Fahrweise der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin das Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.
Quelle | BGH, Urteil vom 12.12.2023, VI ZR 77/23, PM 12/24
Beweismittel: Schulungsnachweis für Auswerter einer Geschwindigkeitsmessung?
| Häufig wird für den Bediener eines Geschwindigkeitsmessgeräts ein Nachweis darüber verlangt, dass er in der Bedienung des Geräts ausreichend geschult ist. Fraglich ist, ob dieses Erfordernis auch für den „Auswerter“ einer Messung gilt. Das hat das Kammergericht Berlin (KG) verneint. |
Für die Auswertungsperson sei ein förmlicher Schulungsnachweis nicht zwingend erforderlich. Sie habe das Messgerät nicht bedient und Beweismittel weder beschafft noch verändert. Ob die mit der Auswertung der Messdaten betraute Person ihre Aufgabe kompetent und zuverlässig erfüllt habe, unterliege vielmehr der freien richterlichen Beweiswürdigung. Es greife im Grundsatz auch ohne Formalnachweis die Richtigkeitsvermutung standardisierter Messverfahren.
Quelle | KG, Urteil vom 18.9.2023, 3 ORbs 170/23 – 162 Ss 85/23, Abruf-Nr. 238704 unter www.iww.de
Medizinisch-Psychologische Untersuchung: Entziehung der Fahrerlaubnis
| Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist für jeden Autofahrer ein einschneidendes Ereignis. In einem Fall des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) war es aufgrund mehrerer Straftaten und einer anschließenden Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) dazu gekommen. |
Fahrerlaubnisentzug nach Medizinisch-Psychologischer Untersuchung
Die Verwaltungsbehörde hatte dem Autofahrer die Fahrerlaubnis im Juni 2022 entzogen. Grundlage war ein MPU-Gutachten. Dieses war auf der Grundlage mehrerer aktenkundiger Straftaten im Zeitraum 2012 bis 2019 zu dem Ergebnis gekommen, dass es zu erwarten sei, dass der Betroffene erneut erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche/strafrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Im Widerspruchsverfahren teilten die Bevollmächtigten mit, der Betroffene wolle sich einer weiteren Begutachtung der bisherigen Begutachtungsstelle unterziehen. Daraufhin forderte die Antragsgegnerin ihn auf, binnen drei Monaten ein MPU-Gutachten vorzulegen. Dieses aber legte er nicht vor.
Autofahrer vor Gericht ohne Erfolg
Der Antrag des Betroffenen gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis hatte weder beim Verwaltungsgericht (VG) in erster Instanz noch beim BayVGH in zweiter Instanz Erfolg. Bei feststehender Ungeeignetheit sei die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend. Die Fahrerlaubnisbehörde habe keinen Ermessensspielraum. Dies gelte auch bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens.
Der Autofahrer könne sich auch nicht darauf berufen, mit der erneuten Begutachtungsanordnung habe die Verwaltungsbehörde zum Ausdruck gebracht, das vorliegende Gutachten sei nicht mehr in der Weise verwertbar, dass es eine abschließende Entscheidung über die Fahreignung erlaubte. Der insoweit angeführten BayVGH-Entscheidung aus dem Jahr 2021 hat eine andere Fallgestaltung zugrunde gelegen. Dort sei das ursprüngliche Gutachten nach mehr als viereinhalb Jahren nicht mehr aktuell und belastbar gewesen. Das sei hier aber nicht der Fall das der Entscheidung zugrunde gelegte Gutachten stamme aus 2022.
Quelle | BayVGH, Beschluss vom 10.10.2023, 11 CS 23.1476, Abruf-Nr. 238183 unter www.iww.de
Verkehrsstrafen: Doppeltes Fahrverbot bei doppeltem Verkehrsverstoß
| Das Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main hat entschieden: Ein Fahrverbot ist auch dann festzusetzen, wenn gegen den Autofahrer bereits ein Fahrverbot wegen einer ähnlich gelagerten, kurz zuvor begangenen, Ordnungswidrigkeit vollstreckt wurde. |
Nach den Feststellungen des Gerichts in einem Bußgeldverfahren hielt der betroffene Pkw-Führer fahrlässig den erforderlichen Mindestabstand zu dem vor ihm fahrenden Fahrzeug nicht ein. Der Abstand betrug nach den Feststellungen des Amtsgerichts weniger als 3/10 des halben Tachowertes. Etwa sechs Wochen vor diesem Verstoß hatte der Autofahrer an derselben Messstelle ebenfalls den Mindestabstand unterschritten. Deswegen war gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt worden. Dieses Fahrverbot hatte der Autofahrer im Zeitpunkt der nun durchgeführten Hauptverhandlung bereits vollständig verbüßt.
Das AG verhängte nach durchgeführter Beweisaufnahme gegen den Autofahrer wegen der Abstandsunterschreitung ein Bußgeld nebst einem weiteren Fahrverbot von einem Monat. Dass der Autofahrer in der Zwischenzeit bis zur Verhandlung bereits ein Fahrverbot wegen einer kurz zuvor an derselben Stelle begangenen Abstandsunterschreitung verbüßt hatte, sei kein ausreichender Grund, von dem weiteren Fahrverbot abzusehen.
Das Fahrverbot solle als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme für den jeweiligen Verkehrsverstoß auf den Betroffenen spezialpräventiv wirken. Diese Funktion werde unterlaufen, wenn von dem Fahrverbot abgesehen werde. Der Autofahrer sei durch die getrennte Ahndung der beiden Verkehrsverstöße auch nicht schlechter gestellt. Zwar hätte bei einer gemeinsamen Aburteilung der beiden Verstöße nur ein Fahrverbot festgesetzt werden können. Wegen der besonders beharrlichen Neigung des Autofahrers, Verkehrsregeln zu überschreiten, wäre in diesem Fall aber allein ein zweimonatiges Fahrverbot tat- und schuldangemessen gewesen.
Quelle | AG Frankfurt am Main, Urteil vom 17.11.2023, 971 OWi 916 Js 59363/23, PM 2/24
Steuerrecht
Widerrufsausübung: Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags löst keine Einkommensteuer aus
| Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf löst keine Einkommensteuer aus. Diese für Verbraucher frohe Kunde kommt vom Bundesfinanzhof (BFH). |
Das war geschehen
Ehegatten schlossen 2008 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab. 2016 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Berufung auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Auf der Grundlage eines zivilgerichtlichen Vergleichs zahlte die Bank an die Eheleute Nutzungsersatz für bis zum Widerruf erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen i. H. von 14.500 Euro. Das Finanzamt erfasste den Nutzungsersatz als Einkünfte aus Kapitalvermögen allerdings zu Unrecht, wie nun der BFH entschieden hat.
Nutzungsersatz: weder Kapitalertrag noch sonstige Einkünfte
Der Nutzungsersatz ist kein Kapitalertrag i. S. des Einkommensteuergesetzes (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Die Rückabwicklung eines vom Darlehensnehmer widerrufenen Vertrags vollzieht sich außerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre. Das Rückgewährschuldverhältnis ist ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Daher können die einzelnen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis auch nicht für sich betrachtet i. S. einer unfreiwilligen Kapitalüberlassung Teil einer steuerbaren erwerbsgerichteten Tätigkeit sein.
Beachten Sie | Es liegen auch keine sonstigen Einkünfte (§ 22 Nr. 3 EStG) vor.
Verbraucherschutzrecht inzwischen reformiert
Die Entscheidung betrifft „alte“ Verbraucherdarlehensverträge. Der mit der Reform des Verbraucherschutzrechts in das BGB eingefügte § 357a Abs. 3 S. 1 BGB a. F. (jetzt § 357b BGB) hat u. a. den Anspruch des Darlehensnehmers auf Nutzungsersatz für die Zukunft beseitigt. Die neue Rechtslage ist auf nach dem 12.6.2014 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge anwendbar.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.11.2023, VIII R 7/21, Abruf-Nr. 24044 unter www.iww.de, PM 16/24 vom 21.3.2024
Energetische Gebäudesanierung: Zeitpunkt der Steuerermäßigung bei Ratenzahlung
| Zum 1.1.2020 wurde mit § 35c Einkommensteuergesetz (EStG) eine Steuerermäßigung für energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden eingeführt. Diese komplexe Regelung weist jedoch einige Fragen auf, die das Bundesfinanzministerium (BMF) in einem Schreiben teilweise beantwortet hat. Nun ist nach einem vorinstanzlichen Urteil des Finanzgerichts (FG) München ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zum Heizungstausch anhängig, in dem es darum geht, ob die Steuerermäßigung erst ab der vollständigen Begleichung der Rechnung in Betracht kommt. |
Hintergrund: Begünstigte Aufwendungen/Maßnahmen sind u. a. die Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen und Geschossdecken sowie die Erneuerung der Fenster, Außentüren oder der Heizungsanlage.
Je begünstigtem Objekt beträgt der Höchstbetrag der Steuerermäßigung 40.000 Euro, wobei die Ermäßigung nach der Maßgabe des § 35c Abs. 1 EStG über drei Jahre verteilt wird.
Das war geschehen
Die Steuerpflichtigen ließen 2021 eine neue Heizungsanlage in ihrem selbstgenutzten Gebäude einbauen. Zur Begleichung der Rechnung wurde eine monatliche Ratenzahlung für die Jahre 2021 bis 2024 vereinbart. Fraglich ist nun, ob ein Abschluss der energetischen Maßnahmen bereits mit der ausgeführten Erneuerung der Heizungsanlage (hier im Jahr 2021) oder erst mit der vollständigen Begleichung des Rechnungsbetrags (voraussichtlich im Jahr 2024) vorliegt.
Voraussetzungen für die Steuerermäßigung
Das BMF hat in seinem Schreiben vom 14.1.2021 in der Rn. 43 ausgeführt, dass die Steuerermäßigung erstmalig in dem Veranlagungszeitraum zu gewähren ist, in dem die energetische Maßnahme abgeschlossen wurde. Voraussetzung ist, dass mit der Durchführung der energetischen Maßnahme nach dem 31.12.2019 begonnen wurde und diese vor dem 1.1.2030 abgeschlossen ist.
Die energetische (Einzel-)Maßnahme ist dann abgeschlossen, wenn
- die Leistung tatsächlich erbracht (vollständig durchgeführt) ist,
- der Steuerpflichtige eine Rechnung (Schlussrechnung) erhalten und
- den Rechnungsbetrag auf das Konto des Leistungserbringers eingezahlt hat.
Die Erledigung unwesentlicher Restarbeiten, die für die tatsächliche Reduzierung von Emissionen nicht hinderlich sind, ist unschädlich. Auch, soweit bei einer mehrteiligen Maßnahme für einzelne Teilleistungen Teilrechnungen erstellt und diese beglichen wurden, wird die Steuerermäßigung abweichend vom Abflussprinzip erst ab dem Veranlagungszeitraum des Abschlusses der energetischen Maßnahme gewährt, so das BMF.
Beachten Sie | Da die Revision gegen die Entscheidung anhängig ist, wird nun der BFH entscheiden. Bis dahin können geeignete Fälle mit einem Einspruch offengehalten werden.
Quelle | FG München, Urteil vom 8.12.2023, 8 K 1534/23, Rev. BFH: IX R 31/23; BMF, Schreiben vom 14.1.2021, IV C 1 – S 2296-c/20/10004 :006
Elterngeld: Neuregelungen für Geburten ab 1.4.2024
| Für Geburten ab dem 1.4.2024 gilt eine neue Einkommensgrenze, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt. Zudem werden die Möglichkeiten für einen parallelen Bezug von Elterngeld neu gestaltet. Antworten auf wichtige Fragen gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). |
Quelle | BMFSFJ, „Neuregelungen beim Elterngeld für Geburten ab 1. April 2024“ vom 28.3.2024, abrufbar unter www.iww.de/s10727
Doppelte Haushaltsführung: Zweitwohnungssteuer fällt unter die 1.000 Euro-Grenze
| Im Rahmen einer inländischen doppelten Haushaltsführung ist der Werbungskostenabzug von Unterkunftskosten auf 1.000 Euro monatlich beschränkt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass unter diesen Höchstbetrag auch eine für die Wohnung am Beschäftigungsort zu entrichtende Zweitwohnungssteuer fällt. |
Hintergrund: Eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält (Hauptwohnung) und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (Zweitwohnung). In diesen Fällen können Arbeitnehmer Unterkunftskosten bis maximal 1.000 Euro im Monat als Werbungskosten abziehen.
Das war geschehen
Eine Arbeitnehmerin hatte an ihrem Tätigkeitsort in München eine Zweitwohnung gemietet. Die hierfür in den Streitjahren entrichtete Zweitwohnungssteuer i. H. von 896 Euro bzw. 1.157 Euro machte sie neben weiteren Kosten für die Wohnung i. H. von jeweils mehr als 12.000 Euro als Aufwendungen für ihre doppelte Haushaltsführung geltend. Das Finanzamt erkannte die Kosten der Unterkunft am Ort der ersten Tätigkeitsstätte in München jeweils mit dem Höchstbetrag von 12.000 Euro an. Die Zweitwohnungssteuer bei den sonstigen Aufwendungen im Rahmen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigte es nicht.
Die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich. Der BFH hat die Vorentscheidung nun aber aufgehoben.
Was der Höchstbetrag umfasst und was nicht
Der Höchstbetrag umfasst sämtliche entstehenden Aufwendungen, wie beispielsweise Miete, Betriebskosten sowie Kosten der laufenden Reinigung und Pflege der Zweitwohnung oder -unterkunft; nicht jedoch Aufwendungen für Hausrat, Einrichtungsgegenstände oder Arbeitsmittel, mit denen die Zweitwohnung ausgestattet ist. Aufwendungen für die erforderliche Einrichtung und Ausstattung der Zweitwohnung, soweit sie nicht überhöht sind, können als sonstige notwendige Mehraufwendungen der doppelten Haushaltsführung berücksichtigt werden.
Die Zweitwohnungssteuer ist Aufwand für die Nutzung der Unterkunft und unterfällt daher bei den Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der Abzugsbeschränkung.
Das Entstehen der Zweitwohnungssteuer knüpft maßgeblich an das Innehaben einer weiteren Wohnung in München neben der Hauptwohnung und so an die damit regelmäßig einhergehende Nutzung dieser Wohnung an. Die Steuer findet als örtliche Aufwandsteuer i. S. von Art. 105 Abs. 2a des Grundgesetzes (GG) ihre Rechtfertigung darin, dass das Innehaben einer weiteren Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf (Zweitwohnung) neben der Hauptwohnung ein Zustand ist, der gewöhnlich die Verwendung von finanziellen Mitteln (Einkommen) erfordert und damit regelmäßig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wohnungsinhabers zum Ausdruck bringt.
Beachten Sie | Der BFH hat damit die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Noch nicht höchstrichterlich entschieden und derzeit beim BFH anhängig ist die Frage, wie Kosten für einen separat angemieteten Stellplatz zu behandeln sind.
Quelle | BFH, Urteil vom 13.12.2023, VI R 30/21, Abruf-Nr. 240677 unter www.iww.de, PM 18/24 vom 4.4.2024; Stellplatz: Rev. BFH, VI R 4/23
Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht
Allgemeine Geschäftsbedingungen: Gültigkeitsdauer einer mobilen Briefmarke
| Die Klausel „Die Mobile Briefmarke ist lediglich als ad-hoc Frankierung zum sofortigen Gebrauch gedacht. Erworbene Mobile Briefmarken verlieren daher mit Ablauf einer 14-tägigen Frist nach Kaufdatum ihre Gültigkeit. Das maßgebliche Kaufdatum ist in der Auftragsbestätigung genannt. Eine Erstattung des Portos nach Ablauf der Gültigkeit ist ausgeschlossen.“ ist nach § 307 BGB unwirksam. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden. |
Es gab damit der Unterlassungsklage der Verbraucherzentrale statt. Es handele sich bei dem Erwerb einer Briefmarke um einen Kaufvertrag und nicht um einen Frachtvertrag.
Das bürgerliche Recht kenne für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur die im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: §§ 194 ff. BGB) geregelten Verjährungsvorschriften, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Es handele sich um eine unangemessene und erhebliche zeitliche Beschränkung des Erfüllungsanspruchs.
Das OLG hob hervor: Durch die Beschränkung der Gültigkeit auf 14 Tage wird der Erfüllungsanspruch auf etwa ein Prozent der gesetzlich vorgesehenen Verjährungsfrist verkürzt.
Quelle | OLG Köln, Urteil vom 13.6.2023, I-3 U 148/22, Abruf-Nr. 239178 unter www.iww.de
BFH-Entscheidung: Keine verdeckte Gewinnausschüttung ohne Zuwendungswillen
| Eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter setzt einen Zuwendungswillen voraus und ein solcher kann aufgrund eines Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (BFH) ist es insoweit maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen ist, nicht hingegen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. |
Hintergrund: Bei einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) handelt es sich vereinfacht um Vermögensvorteile, die dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung gewährt werden. Eine vGA darf den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern.
Das war geschehen
Geklagt hatte eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin u. a. durch die Einbringung einer Beteiligung von 100 % an einer weiteren GmbH erbracht werden sollte. Bei der einzubringenden GmbH wurde eine Kapitalerhöhung durchgeführt, die die Gesellschafter-Geschäftsführerin begünstigte. Das Finanzamt sah hierin eine vGA der GmbH an ihre Gesellschafter-Geschäftsführerin. Dagegen argumentierte die GmbH, dass die Zuwendung an die Gesellschafter-Geschäftsführerin irrtümlich wegen eines Versehens bei der notariellen Beurkundung der Kapitalerhöhung erfolgt sei.
So entschieden die gerichtlichen Instanzen
Das Finanzgericht (FG) Schleswig-Holstein wies die Klage ab, weil einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführer der von der GmbH dargelegte Irrtum nicht unterlaufen wäre. Der BFH hat nun aber klargestellt, dass es für die Frage, ob der für die Annahme einer vGA erforderliche Zuwendungswille vorliegt, allein auf die Person der konkreten Gesellschafter-Geschäftsführerin ankommt. Er verwies den Streitfall deshalb zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.
Beachten Sie | In seiner Urteilsbegründung zum Vorliegen einer vGA führt der BFH aber auch Folgendes aus: Der handelnde Gesellschafter muss nicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis handeln, er muss den Tatbestand der vGA nicht kennen und er muss das Geschehene auch nicht richtig würdigen. Vielmehr genügt in aller Regel ein persönlich zurechenbares Handeln.
Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung eines Zuwendungswillens bedarf.
Quelle | BFH, Urteil vom 22.11.2023, I R 9/20, Abruf-Nr. 240822 unter www.iww.de, PM 20/24 vom 11.4.2024
Ausländische Bankkonten: Datenübermittlung zu Informationsaustausch ist verfassungsgemäß
| Schweizer Banken können Informationen zu Konten und Depots deutscher Staatsangehöriger an die deutsche Finanzverwaltung übermitteln. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. Er sieht in der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden keine Verletzung der Grundrechte der inländischen Steuerpflichtigen. |
Geklagt hatten Steuerpflichtige, die sich durch Übermittlung der Kontostände ihrer Schweizer Bankkonten in ihren Grundrechten verletzt sahen, vor allem in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nachdem bereits das Finanzgericht (FG) Köln diese Ansicht nicht teilte, bestätigte nun auch der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Übermittlung von Informationen zu ausländischen Bankkonten an die deutschen Steuerbehörden. Jedenfalls ist die Übermittlung der Informationen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung gerechtfertigt.
Beachten Sie | Deutschland sowie mehrere andere Staaten haben sich zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung dazu verpflichtet, Informationen zu Bankkonten auszutauschen, u. a. werden hierfür die Kontostände ausländischer Bankkonten an die deutsche Steuerverwaltung übermittelt. Der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten dient der Sicherung der Steuerehrlichkeit und der Verhinderung von Steuerflucht.
Quelle | BFH, Urteil vom 23.1.2024, IX R 36/21, Abruf-Nr. 240598 unter www.iww.de; PM 17/24 vom 28.3.2024
Widerruf der Erlaubnis: Kein Mietwagenverkehr ohne Betriebssitz
| Ohne Betriebssitz kann kein Gelegenheitsverkehr mit Mietwagen betrieben werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einem Eilverfahren entschieden. |
Behörde widerrief Erlaubnis
Der Antragsteller ist Inhaber einer vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) erteilten Genehmigung für den Gelegenheitsverkehr mit insgesamt zehn Mietwagen nach dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Nach den Feststellungen der Behörde fanden sich an der vom Antragsteller angegeben Adresse anders als von ihm ursprünglich behauptet weder Büroräume noch reservierte Stellplätze für die Fahrzeuge. Daraufhin widerrief die Behörde die Erlaubnis unter Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Verwaltungsgericht bestätigt Behörde
Das VG hat den hiergegen gerichteten Eilantrag zurückgewiesen. Zu Recht sei die Behörde von einer fehlenden Zuverlässigkeit des Antragstellers ausgegangen. Denn dieser habe gegen eine Kernpflicht des Mietwagenverkehrs verstoßen.
Das wesentliche Merkmal des Mietwagenverkehrs bestehe darin, dass Aufträge nicht an beliebigen Orten, sondern grundsätzlich nur am Betriebssitz entgegengenommen werden dürften; dorthin müssten die Fahrzeuge daher regelmäßig nach Beendigung eines jeden Auftrags zurückkehren. Die Begründung und Unterhaltung eines in der Genehmigung festgeschriebenen Betriebssitzes sei daher Voraussetzung für die Erfüllung der Rückkehrpflicht. Das Rückkehrgebot sei nicht Selbstzweck, sondern solle auf wirksame Weise unterbinden, dass Mietwagen nach Beendigung eines Beförderungsauftrags taxiähnlich auf öffentlichen Straßen und Plätzen bereitgestellt würden und dort Beförderungsaufträge annähmen.
Das VG ließ offen, ob ungeachtet dessen der Widerruf auch auf die fehlende finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers hätte gestützt werden können. Es spreche allerdings einiges dafür, dass dies schon bei der Genehmigungserteilung der Fall gewesen sei. Ein Mietwagenunternehmer müsse über ein angemessenes Eigenkapital verfügen, was hier nicht ersichtlich sei. Der Zeitwert der Fahrzeuge selbst dürfe anders als von der Behörde bei Genehmigungserteilung fälschlich angenommen gerade nicht berücksichtigt werden.
Quelle | VG Berlin, Beschluss vom 25.3.2024, VG 11 L 53/24, PM vom 2.4.2024
Mindestlohn: Keine einseitige Umstellung von jährlicher Sonderzahlung auf monatliche Zahlungen durch Arbeitgeber
| Die Zweifelsregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 271 Abs. 2 BGB) gestattet es einem Arbeitgeber nicht, eine dem Arbeitnehmer bisher zustehende jährliche Einmalzahlung wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld kraft einseitiger Entscheidung stattdessen in anteilig umgelegten monatlichen Teilbeträgen zu gewähren, um sie „pro rata temporis“ also zeitanteilig auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechnen zu können. Diese Auffassung vertritt das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg im Streit über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch Sonderzahlungen. |
Das LAG hat die Revision zugelassen.
Quelle | LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.1.2024, 3 Sa 4/23
Abschließende Hinweise
Steuern und Beiträge Sozialversicherung: Fälligkeitstermine in 06/2024
| Im Monat Juni 2024 sollten Sie insbesondere folgende Fälligkeitstermine beachten: |
Steuertermine (Fälligkeit):
- Umsatzsteuer (Monatszahler): 10.6.2024
- Lohnsteuer (Monatszahler): 10.6.2024
- Einkommensteuer (vierteljährlich): 10.6.2024
- Kirchensteuer (vierteljährlich): 10.6.2024
- Körperschaftsteuer (vierteljährlich): 10.6.2024
Bei einer Scheckzahlung muss der Scheck dem Finanzamt spätestens drei Tage vor dem Fälligkeitstermin vorliegen.
Beachten Sie | Die für alle Steuern geltende dreitägige Zahlungsschonfrist bei einer verspäteten Zahlung durch Überweisung endet am 13.6.2024. Es wird an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass diese Zahlungsschonfrist ausdrücklich nicht für Zahlung per Scheck gilt.
Beiträge Sozialversicherung (Fälligkeit):
Sozialversicherungsbeiträge sind spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats fällig, für den Beitragsmonat Juni 2024 am 26.6.2024.
Berechnung der Verzugszinsen
| Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten. |
Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Januar 2024 bis zum 30. Juni 2024 beträgt 3,62 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:
- für Verbraucher (§ 288 Abs. 1 BGB): 8,62 Prozent
- für den unternehmerischen Geschäftsverkehr (§ 288 Abs. 2 BGB): 12,62 Prozent*
* für Schuldverhältnisse, die vor dem 29.7.2014 entstanden sind: 11,62 Prozent.
Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).
Übersicht / Basiszinssätze | |
Zeitraum |
Zinssatz |
01.07.2023 bis 31.12.2023 |
3,12 Prozent |
01.01.2023 bis 30.06.2023 |
1,62 Prozent |
01.07.2022 bis 31.12.2022 |
-0,88 Prozent |
01.01.2022 bis 30.06.2022 |
-0,88 Prozent |
01.07.2021 bis 31.12.2021 |
-0,88 Prozent |
01.01.2021 bis 30.06.2021 |
-0,88 Prozent |
01.07.2020 bis 31.12.2020 |
-0,88 Prozent |
01.01.2020 bis 30.06.2020 |
-0,88 Prozent |
01.07.2019 bis 31.12.2019 |
-0,88 Prozent |
01.01.2019 bis 30.06.2019 |
-0,88 Prozent |
01.07.2018 bis 31.12.2018 |
-0,88 Prozent |
01.01.2018 bis 30.06.2018 |
-0,88 Prozent |
01.07.2017 bis 31.12.2017 |
-0,88 Prozent |
01.01.2017 bis 30.06.2017 |
-0,88 Prozent |
01.07.2016 bis 31.12.2016 |
-0,88 Prozent |
01.01.2016 bis 30.06.2016 |
-0,83 Prozent |
01.07.2015 bis 31.12.2015 |
-0,83 Prozent |
01.01.2015 bis 30.06.2015 |
-0,83 Prozent |
01.07.2014 bis 31.12.2014 |
-0,73 Prozent |
01.01.2014 bis 30.06.2014 |
-0,63 Prozent |
01.07.2013 bis 31.12.2013 |
-0,38 Prozent |
01.01.2013 bis 30.06.2013 |
-0,13 Prozent |
01.07.2012 bis 31.12.2012 |
0,12 Prozent |
01.01.2012 bis 30.06.2012 |
0,12 Prozent |
01.07.2011 bis 31.12.2011 |
0,37 Prozent |
01.01.2011 bis 30.06.2011 |
0,12 Prozent |