Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 12/2021:
Arbeitsrecht
- Betrugsvorwurf: Wer Abrechnungen fälscht, um Kreditgeber zu täuschen, muss mit Kündigung rechnen
- „Freie Mitarbeiter“ in einer Physiotherapiepraxis: Eingliederung in Praxisorganisation: abhängig beschäftigt ohne eigenes Unternehmerrisiko
- Private Internetnutzung: Kündigung möglich
- Betriebsratstätigkeit: Dreh- und rollbare Bürostühle mit Armlehnen: Für Betriebsratssitzungen erforderlich?
Baurecht
- Schwarzarbeit: Haftung eines Dachdeckers bei Dachstuhlbrand
- Leistungsphase 8: Bedenkenhinweis auch mündlich möglich
- Vertragsrecht: BGH verneint dauerhaftes Zugangsrecht zum Bauwerk zur Erstellung von Fotos
- Bietergespräch: Angabe von Produkten und Typen ist verbindlich
Familien- und Erbrecht
- Vaterschaftsanfechtung: Berechtigung ausnahmsweise auch ohne Versicherung an Eides statt möglich
- Kindergeldanspruch: Beginn und Beendigung eines Hochschulstudiums
- Nachlassverzeichnis: Kein Zwangsgeld gegen den zur Auskunft verpflichteten Erben
- Testament auf Werbezetteln: Ist der Testierwille dann ernst gemeint?
Mietrecht und WEG
- Vermieterpflicht: Das Treppenhaus darf nicht zur Falle werden
- Formerfordernis: Wohnungskündigung mit „i. A.“ unterschreiben genügt nicht!
- Wohnungseigentum: Eigentümergemeinschaft muss die Selbstbeteiligung aus der Gebäudeversicherung bei Leitungswasserschaden tragen
- Mietbeendigung: Renovierung „um des lieben Friedens willen“
Verbraucherrecht
- Patienteninformationsblätter: Ärztliche Aufklärungsformulare unterliegen nur eingeschränkt der AGB-Kontrolle
- Vereinsrecht: Virtuelle Mitgliederversammlungen können weiter stattfinden
- Corona-Sonderregeln: Telefonische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis 31.12.2021 verlängert
- Zusatzversorgungskasse: Falsche Rentenauskunft: Kein Erfüllungsanspruch, aber Schadenersatzanspruch
- Lebensversicherung: Nach irrtümlicher Auszahlung kann Leistungshöhe nicht herabgesetzt werden
- Schmerzensgeld: Unfall beim Überholvorgang mit einem Fahrrad
- Allgemeine Geschäftsbedingungen: Mahnspesen nur in Höhe der Sachkosten erstattungsfähig
Verkehrsrecht
- Aktuelle Gesetzgebung: Neuer Bußgeldkatalog zum 9.11.2021
- Nutzungsausfall: Rechtfertigen 18 Kilometer am Tag zu Pandemiebeginn einen Mietwagen?
- Kfz-Versicherung: Vollkasko ist auch für Grillhähnchen-Verkaufswagen zuständig
- Verkehrssicherheit: Ende der Geschwindigkeitsbegrenzung bei auf der Straße montierten Bodenwellen
- Autokauf: Verschweigen der Reimporteigenschaft eines Fahrzeugs
Steuerrecht
- Steuernachzahlungen und -erstattungen: Finanzämter: 6 Prozent verfassungswidrig – vorerst keine Zinsfestsetzungen
- Steuernachforderung: Keine Rückstellung im Steuerentstehungsjahr
- Arbeitgeber: Elektronische Lohnsteuerbescheinigung 2022
- Keine steuerliche Abzugsbeschränkung: Pilates-Raum hinter Durchgangszimmer ist Betriebsstätte
Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht
- IHK Düsseldorf: Mitgliedsbeiträge weiter rechtswidrig
- Werbeverbot: Werbung mit der Aussage „E-Zigaretten retten Leben“ ist wettbewerbswidrig
- Unternehmensnachfolgeregelung: Schenkung von GmbH-Anteilen an Angestellte kein Arbeitslohn
- Kapitalgesellschaften: Der Jahresabschluss 2020 ist bis Ende 2021 offenzulegen
- Künstlersozialabgabe: Unveränderter Abgabesatz im Jahr 2022
Abschließende Hinweise
Arbeitsrecht
Betrugsvorwurf: Wer Abrechnungen fälscht, um Kreditgeber zu täuschen, muss mit Kündigung rechnen
| Die Manipulation von auf das Arbeitsverhältnis bezogenen Dokumenten und deren Verwendung zu betrügerischen Zwecken (Täuschung eines Kreditgebers) kann die persönliche Eignung des Arbeitnehmers für die ihm übertragenen Aufgaben infrage stellen, wenn im Rahmen einer kaufmännischen Tätigkeit gerade die Vertragsanbahnung zu den Arbeitsaufgaben gehört. So entschied es nun das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm. |
Die Richter stellten dabei klar, dass das Herstellen verfälschter Abrechnungen (hier: Gehaltsabrechnungen) und deren Verwendung im Rechtsverkehr (hier: als Nachweis zum Erhalt eines Hypothekendarlehens) zugleich die gegenüber dem Arbeitgeber begründete Rücksichtnahmepflicht verletzt. Ein derartiges Verhalten kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Quelle | LAG Hamm, Urteil vom 19.8.2021, 8 Sa 1671/19, Abruf-Nr. 224695 unter www.iww.de
„Freie Mitarbeiter“ in einer Physiotherapiepraxis: Eingliederung in Praxisorganisation: abhängig beschäftigt ohne eigenes Unternehmerrisiko
| Physiotherapeuten, die als „freie Mitarbeiter“ in einer physiotherapeutischen Praxis arbeiten, sind abhängig beschäftigt, wenn sie in die Organisation der Praxis eingegliedert sind und kein Unternehmerrisiko tragen. Dies entschied jetzt das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg und hob ein anderslautendes Urteil des Sozialgerichts (SG) Mannheim auf. |
Sachverhalt
Ein Physiotherapeut mit eigener privater Praxis war von Mai 2017 bis Mitte 2019 zusätzlich in einer physiotherapeutischen Gemeinschaftspraxis tätig. Mit deren Inhaber hatte er einen Vertrag als „freier Mitarbeiter“ geschlossen. Die durchgeführten Behandlungen wurden über das Abrechnungssystem der Praxisinhaber abgerechnet, die 30 % des jeweiligen Abrechnungsbetrags erhielten. Die Gemeinschaftspraxis verfügt über sechs Behandlungsräume mit einer entsprechenden Ausstattung, wie Behandlungsliegen, Trainingsgeräten etc. Besondere Behandlungsarten, wie bspw. Heißluft- oder Schlingentischbehandlungen werden nur in bestimmten Behandlungsräumen durchgeführt. Im streitigen Zeitraum waren in der Gemeinschaftspraxis neben den beiden Inhabern und dem Physiotherapeuten weitere vier bzw. fünf Physiotherapeuten als sog. „freie Mitarbeiter“ tätig. Rezeptionsmitarbeiter wurden keine beschäftigt. Bei der Verteilung der Patienten auf die jeweiligen Physiotherapeuten wurde zunächst einem etwaigen Wunsch nach einem bestimmten Therapeuten Rechnung getragen. Im Übrigen überprüften die Praxisinhaber, ob sie die Behandlung je nach Kapazität persönlich übernehmen konnten. War dies nicht der Fall, wurden die Behandlungen den entsprechenden „freien Mitarbeitern“, abhängig von deren freier Zeitkapazität, angeboten. Entschied sich ein Physiotherapeut, eine bestimmte Behandlung zu übernehmen, setzte er sich unmittelbar mit dem Patienten in Verbindung und vereinbarte mit diesem einen konkreten Behandlungstermin.
Antrag der Deutschen Rentenversicherung
Die Deutsche Rentenversicherung stellte auf Antrag des Physiotherapeuten im November 2017 fest, dass dieser abhängig beschäftigt und sozialversicherungspflichtig sei. Hiergegen klagten sowohl die Praxisinhaber als auch der Physiotherapeut vor dem SG. Sie führten an, dass der Physiotherapeut nicht weisungsgebunden gewesen sei und seine Arbeitszeiten selbst habe bestimmen können.
Sozialgericht: Merkmale für selbstständige Tätigkeit
Das SG stellte fest, dass der Physiotherapeut in seiner Tätigkeit bei der Gemeinschaftspraxis nicht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung tätig geworden sei. Die für eine selbstständige Tätigkeit sprechenden Merkmale überwögen, weil der Physiotherapeut seine Arbeitszeit habe selbst bestimmen und ihm angebotene Behandlungen von Patienten auch ohne Angabe von Gründen habe ablehnen können.
Landessozialgericht: Eingliederung in Organisationsstruktur maßgeblich
Das LSG gab nun der Rentenversicherung Recht: Zwar könnten auch Physiotherapeuten ihre Leistungen im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit erbringen. Maßgeblich sei aber die konkrete Ausgestaltung und die Eingliederung in die Organisationsstruktur und Arbeitsabläufe der Gemeinschaftspraxis. So habe der Physiotherapeut hier im Rahmen seiner Tätigkeit im Wesentlichen nur solche Patienten behandelt, deren Behandlung ihm seitens der Inhaber der Gemeinschaftspraxis angetragen wurden. Zudem habe er die in der Praxis vorgehaltene Ausstattung (spezielle Behandlungsräume, Telefonanlage zur Vereinbarung von Terminen mit den Patienten, EDV-Ausstattung mit elektronisch geführter Terminplanung) genutzt. Über eigene Behandlungsräume, die er jederzeit ohne Abstimmung mit anderen in der Praxis tätigen Physiotherapeuten hätte in Anspruch nehmen können, habe der Physiotherapeut hier in der Gemeinschaftspraxis nicht verfügt.
Zudem sei der Physiotherapeut nicht werbend aufgetreten und weder auf dem Praxisschild der Gemeinschaftspraxis als Erbringer von physiotherapeutischen Leistungen aufgeführt noch im Internetauftritt der Gemeinschaftspraxis als solcher namentlich genannt. Darüber hinaus sei die Abrechnung der von ihm durchgeführten Behandlungen mit den Krankenkassen bzw. die Rechnungsstellung gegenüber den Privatpatienten durch die Inhaber der Gemeinschaftspraxis über das von ihr vorgehaltene Abrechnungssystem erfolgt.
Kein unternehmerisches Risiko
Der Physiotherapeut habe auch kein nennenswertes Unternehmerrisiko getragen. So habe er weder eigenes Kapital noch die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt. Seine Tätigkeit habe keine relevanten Betriebsmittel erfordert. Er habe für die erbrachten Behandlungsleistungen eine Vergütung in Höhe von 70 % der von der Gemeinschaftspraxis abgerechneten Vergütungen mit den gesetzlichen Krankenkassen und der Privatpatienten erhalten. Das Risiko, nicht wie gewünscht arbeiten zu können, weil Behandlungsmöglichkeiten anderweitig vergeben wurden, stelle kein Unternehmerrisiko dar, sondern eines, das auch jeden Arbeitnehmer treffe, der nur Zeitverträge bekomme oder auf Abruf arbeite und nach Stunden bezahlt werde.
Für seine Tätigkeit habe der Physiotherapeut zudem lediglich eine tragbare Liege und Kinesiotape und damit keine nennenswerten Betriebsmittel eingesetzt. Die Kosten für den Unterhalt seines Kraftfahrzeugs bedingten kein unternehmerisches Risiko, weil Kraftfahrzeuge zur Erreichung des Arbeitsplatzes regelmäßig auch von Beschäftigten unterhalten würden.
Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.7.2021, L 4 BA 75/20, PM vom 27.9.2021
Private Internetnutzung: Kündigung möglich
| Die private Nutzung von Internet und E-Mail am Dienst-PC während der Arbeitszeit trotz eines entsprechenden Verbots rechtfertigt eine fristlose Kündigung, wenn der Arbeitnehmer sowohl an mehreren Tagen durchgehend und als auch über Monate hinweg regelmäßig Internetadressen (URL) aufgerufen und E-Mails zu privaten Zwecken geschrieben hat. Hierauf wies jetzt das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hin. |
Dies gilt nach dem LAG umso mehr, wenn zwischen den einzelnen URL-Aufrufen ein Zeitraum von weniger als ein bis zwei Minuten liegt, denn dazwischen kann keine Arbeitsleistung erbracht worden sein.
Quelle | LAG Köln, Urteil vom 7.2.2020, 4 Sa 329/19, Abruf-Nr. 224488 unter www.iww.de
Betriebsratstätigkeit: Dreh- und rollbare Bürostühle mit Armlehnen: Für Betriebsratssitzungen erforderlich?
| Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, dem Betriebsrat dreh- und rollbare Bürostühle mit Armlehnen für Betriebsratssitzungen zur Verfügung zu stellen. So sieht es das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz. |
Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat für die Sitzungen, die Sprechstunden und die laufende Geschäftsführung in erforderlichem Umfang u. a. sachliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Hierzu gehören auch Stühle in ausreichender Anzahl.
Den Anspruch auf die erforderliche Bestuhlung des Sitzungsraums hatte der Arbeitgeber im Fall des LAG erfüllt, indem er dem Betriebsrat drei dreh- und rollbare Bürostühle sowie sechs Freischwinger zur Verfügung gestellt habe. Mit diesen Freischwingern seien die Besprechungsräume des Arbeitgebers bestuhlt; sie entsprächen dem betriebsüblichen Standard und Ausstattungsniveau.
Der Betriebsrat habe seinen Beurteilungsspielraum überschritten, weil er aus Gründen des Gesundheitsschutzes die Ausstattung des Sitzungsraums mit weiteren Bürodrehstühlen mit Rollen und Armlehnen für erforderlich gehalten habe. Bei mehrstündigem Dauersitzen sei kein einleuchtender Grund dafür erkennbar, weshalb der aktive Wechsel der Sitzposition oder das Verrücken der Stühle zu gesundheitlichen oder sonstigen Belastungen der Betriebsrat-Mitglieder führen sollten.
Quelle | LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13.8.2020, 5 TaBV 25/19, Abruf-Nr. 218488 unter www.iww.de
Baurecht
Schwarzarbeit: Haftung eines Dachdeckers bei Dachstuhlbrand
| Das Landgericht (LG) Koblenz hat die Klage einer Versicherung abgewiesen, die zwei „schwarz“ beschäftigte Dachdecker wegen Sorgfaltspflichtverletzungen beim Ausführen der Arbeiten in Anspruch nehmen wollte. Die Dachdecker müssen nicht für den Dachstuhlbrand haften. Grund: Zum einen handelte es sich um Schwarzarbeit und der Vertrag war somit rechtswidrig. Zum anderen stellte das LG keine Fehler in der Ausführung der Arbeiten fest, die zum Brand führten. |
Sachverhalt
Die beiden Beklagten führten im Juli 2016 Dacharbeiten an einem Gebäude aus und verlegten hierbei unter anderem Schweißbahnen, indem sie diese mit einem Schweißbrenner verklebten. Am Abend gegen 21.00 Uhr kam es zu einem Dachstuhlbrand an diesem Gebäude. Die Klägerin kam als Gebäudeversicherer für die Feuerschäden auf. Sie nimmt die beiden Beklagten wegen Sorgfaltspflichtverletzungen bei Ausführung der Arbeiten für die von ihr gezahlte Versicherungssumme in Höhe von knapp 70.000 Euro in Regress, da sie der Ansicht ist, dass die Beklagten das Dach weder ausreichend mit feuerfesten Abdeckungen geschützt noch eine ausreichende Brandwache gehalten hätten.
Schwarzarbeit führt zur Nichtigkeit von Verträgen
Das LG hat die Klage abgewiesen, da es sich nicht davon überzeugen konnte, dass die Beklagten den Dachstuhlbrand schuldhaft verursachten, ihnen also Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last zu legen sei. Etwaige vertragliche Schadenersatzansprüche kamen schon deshalb nicht in Betracht, da es sich um sogenannte Schwarzarbeit handelte. Auch eine deliktische Haftung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 823 BGB) sah das LG nicht als erwiesen an. Zwar hatte es keinen Zweifel daran, dass der Dachstuhlbrand durch die Arbeiten der Beklagten mit dem Schweißbrenner verursacht wurde, da keine ernsthaften Alternativursachen ersichtlich waren. Auch verstieß die Ausführung der Arbeiten gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik, da die gewählte Art nur für Flachdächer geeignet gewesen ist und nicht für Steildächer.
Ausdrücklicher Wunsch des Gebäudeinhabers
Diese Abweichung in der Ausführungsart war jedoch zum einen nicht ursächlich für die Entstehung des Brands. Zum anderen handelte es sich bei der gewählten Ausführungsart um den ausdrücklichen Wunsch des Gebäudeinhabers, der selbst berufsbedingt fachkundig war. Wenn ein Fachkundiger zur Kostenersparnis selbst die Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik wünscht, können weder er noch seine Versicherung sich jedoch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB nachher bei Haftungsfragen auf diese abweichende Ausführungsart berufen.
Landgericht sah keine Verletzung von Sicherheitsvorschriften
Eine Verletzung der Sicherheitsvorschriften der Berufsgenossenschaft über Brandschutz bei feuergefährlichen Arbeiten durch die Beklagten konnte dagegen nicht festgestellt werden. Allein die Entstehung des Brands ist als Nachweis nicht geeignet, da selbst bei Einhaltung dieser Vorschriften die Entstehung eines Brands nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht sicher vermieden werden kann. Durch die bereits vorhandenen alten Dachbahnen und die überlappenden Dachschindeln lag nach dessen Feststellungen bereits ein mehrlagiger Schutz der Dachschalung gegen die Flamme des Schweißgeräts vor. Löcher in den unteren Schichten seien leicht sichtbar und müssten entsprechend zunächst nachgearbeitet werden.
Quelle | LG Koblenz, Urteil vom 2.8.2021, 1 O 234/17, PM vom 15.9.2021
Leistungsphase 8: Bedenkenhinweis auch mündlich möglich
| Ausführende Unternehmen müssen eine schriftliche Meldung beim Auftraggeber einreichen, wenn sie Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung bzw. gegen die Planungsvorgaben haben. So sieht es die „Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen“ vor (§ 4 Abs. 3 VOB/B). Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg entschieden: Auch eine mündliche Bedenkenanmeldung kann wirksam sein. |
Das OLG: Seiner Bedenkenhinweispflicht nach VOB/B kommt der Auftragnehmer nur nach, wenn er die nachteiligen Folgen und sich daraus ergebende Gefahren der unzureichenden Planungsvorgaben konkret darlegt, damit dem Auftraggeber die Tragweite der Nichtbefolgung bzw. der angemeldeten Bedenken hinreichend verdeutlicht wird. Der Bedenkenhinweis muss zwar schriftlich erteilt werden, was aber nicht bedeutet, dass ein mündlicher Hinweis unerheblich ist. Vielmehr reicht dieser aus, wenn er eindeutig, inhaltlich klar, vollständig und erschöpfend ist.
Quelle | OLG Brandenburg, Urteil vom 29.7.2021, 12 U 230/20, Abruf-Nr. 224716 unter www.iww.de
Vertragsrecht: BGH verneint dauerhaftes Zugangsrecht zum Bauwerk zur Erstellung von Fotos
| In etlichen Musterverträgen von Architekten findet sich eine Klausel, nach der Auftragnehmer berechtigt sind, auch nach dem Ende des Vertrags das Bauwerk oder die bauliche Anlage in Abstimmung mit dem Auftraggeber zu betreten, um fotografische oder sonstige Aufnahmen zu fertigen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun entschieden, dass diese Klausel nichtig ist. |
Der BGH: Die Klausel benachteiligt den Vertragspartner des Architekten unangemessen.
Quelle | BGH, Urteil vom 29.4.2021, I ZR 193/20, Abruf-Nr. 224500 unter www.iww.de
Bietergespräch: Angabe von Produkten und Typen ist verbindlich
| Viele Ausschreibungen erfolgen produktneutral, um den Wettbewerb nicht einzuschränken. Daher kommt es bei Bieterverhandlungen zur Klärung der angebotenen Produkte und Typen. Nennt der Bieter in seinem Angebot konkrete Produkte und Typen von Baustoffen und Bauteilen, sind diese Angaben vertragsrelevant. So hat es jetzt die Vergabekammer (VK) Sachsen festgestellt. |
Folge: Der Bieter kann später nicht ohne Zustimmung des Auftraggebers von dieser Verabredung im Aufklärungsgespräch abweichen. Diese Vorgabe gilt generell. Sie betrifft auch Bauteile und Materialien, deren Festlegung für die Funktionalität und Gestaltung erforderlich ist.
Quelle | VK Sachsen, Beschluss vom 17.3.2021, 1/SVK/031-20, Abruf-Nr. 224647 unter www.iww.de
Familien- und Erbrecht
Vaterschaftsanfechtung: Berechtigung ausnahmsweise auch ohne Versicherung an Eides statt möglich
| Eine Berechtigung, die Vaterschaft anzufechten, kann auch ohne Versicherung an Eides statt ausnahmsweise gegeben sein, wenn wegen des übereinstimmenden Vorbringens der Beteiligten die biologische Vaterschaft des Anfechtenden unterstellt werden kann. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken nun entschieden. |
Das OLG schränkt aber ein: Für die Antragsberechtigung einer Vaterschaftsanfechtung des biologischen Vaters ist zwar keine eidesstattliche Versicherung notwendig, wenn sämtliche Beteiligten und vor allem die Kindesmutter das Bestehen der biologischen Vaterschaft bestätigen. Es darf aber auch keine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater bestehen.
Einigkeit über biologische Vaterschaft …
Ein Mann hatte ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren eingeleitet. Als Grund führte er an, er sei der leibliche Vater des Kindes. Das bestätigten die Kindesmutter und ihr Partner, der rechtliche Vater. Letzterer hatte die Vaterschaft kurz nach der Geburt wirksam anerkannt. Eine eidesstattliche Versicherung mit dem Inhalt, dass er der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt habe, legte der anfechtende Vater nicht vor.
… führt trotzdem nicht zum Ziel
Das Amtsgericht (AG) hatte als Vorinstanz seine Vaterschaftsanfechtung zurückgewiesen, denn es bestehe eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zum rechtlichen Vater.
Das OLG hat die Entscheidung des AG bestätigt. Begründung: Für die Vaterschaftsanfechtung des potenziell biologischen Vaters sei zwar grundsätzlich die Vorlage der Versicherung an Eides statt erforderlich. Diese sei aber nicht erforderlich, wenn die Beteiligten des Verfahrens und insbesondere die Kindesmutter übereinstimmend von der leiblichen Vaterschaft des Antragstellers ausgehen.
Kindeswohl entscheidend: sozial-familiäre Beziehung
Das half dem biologischen Vater hier aber nicht. Denn, so das OLG, ein Anfechtungsrecht des leiblichen Vaters bestehe nur, wenn zwischen Kind und rechtlichem Vater keine sozial-familiäre Beziehung bestehe oder im Zeitpunkt seines Todes bestanden hat. Eine sozial-familiäre Beziehung wie sie in diesem Fall vorlag sei anzunehmen, wenn der rechtliche Vater die Verantwortung für das Kind tatsächlich trägt bzw. getragen hat, wenn er mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 8.4.2021, 71 F 175/20, PM vom 26.8.2021
Kindergeldanspruch: Beginn und Beendigung eines Hochschulstudiums
| Kinder, die das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, können während eines Hochschulstudiums kindergeldrechtlich berücksichtigt werden. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat klargestellt, wann ein solches Studium beginnt und wann es endet. |
Die im Mai 1992 geborene Tochter war ab März 2015 an einer Hochschule im Masterstudiengang „Management“ eingeschrieben. Zunächst hatte die Universität ihr den Abschluss mündlich mitgeteilt. Anschließend stellte sie diesen nebst Noten Ende Oktober 2016 online. Ende November 2016 holte sie die Zeugnisse ab. Im März 2017 bewarb sie sich für ein Bachelorstudium im Fach Politikwissenschaft, das sie im April 2017 aufnahm. Die Familienkasse gewährte wegen des Masterstudiums bis einschließlich Oktober 2016 Kindergeld und wegen des Bachelorstudiums ab April 2017. Für März 2017 wurde die Tochter nur wegen ihrer Bewerbung für einen Studienplatz kindergeldrechtlich berücksichtigt. Für den Zeitraum November 2016 bis Februar 2017 lehnten die Familienkasse und das FG eine Kindergeldfestsetzung ab. Die dagegen gerichtete Revision der Mutter der Tochter blieb erfolglos.
Studienbeginn
Eine Berufsausbildung in Form eines Hochschulstudiums beginnt mit der erstmaligen Durchführung von Ausbildungsmaßnahmen. Die Bewerbung um einen Ausbildungsplatz ist, so der BFH, der Ausbildung selbst nicht gleichzusetzen.
Studienende
Ein Hochschulstudium ist beendet, wenn das Kind die letzte nach der einschlägigen Prüfungsordnung erforderliche Prüfungsleistung erfolgreich erbracht hat. Zudem muss die Hochschule dem Kind eine schriftliche Bestätigung über sämtliche Prüfungsergebnisse zugesandt haben. Alternativ muss das Kind jedenfalls objektiv in der Lage gewesen sein, sich eine solche schriftliche Bestätigung über ein Online-Portal der Hochschule erstellen zu können. Entscheidend ist, welches Ereignis früher eingetreten ist. Hier war entscheidend, dass die Hochschule die Abschlussnoten Ende Oktober 2016 online gestellt hatte.
Für den Kindergeldanspruch für volljährige Kinder ist es oft entscheidend, ob sich das Kind in einer Erst- oder einer Zweitausbildung befindet. Denn nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums ist eine Erwerbstätigkeit grundsätzlich schädlich.
In folgenden Fällen der Erwerbstätigkeit bleibt jedoch der Kindergeldanspruch während des Hochschulstudiums erhalten: Es liegt
- eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit,
- ein Ausbildungsdienstverhältnis oder
- ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis vor.
Quelle | BFH, Urteil vom 7.7.2021, III R 40/19, Abruf-Nr. 224820 unter www.iww.de; PM 33/21 vom 23.9.2021
Nachlassverzeichnis: Kein Zwangsgeld gegen den zur Auskunft verpflichteten Erben
| Das Oberlandesgericht (OLG) München widersprach einem pflichtteilsberechtigten Antragsteller, der sich in einem Erbfall bei der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses ausgeschlossen sah. |
Der Erbe (Beklagter) war verurteilt worden, dem Pflichtteilsberechtigten (Kläger) Auskunft über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Bestandsverzeichnisses zu erteilen. Der Kläger meinte, das notarielle Verzeichnis sei unvollständig und wies es zurück. Auf seinen Antrag hin wurde gegen den auskunftsverpflichteten Erben ein Zwangsgeld verhängt. Begründung: Der das Nachlassverzeichnis aufnehmende Notar hatte den Kläger bei der Erstellung nicht hinzugezogen. Das hatte vor dem OLG München keinen Bestand.
Bei einem Zwangsgeld handelt es sich um eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung. Was der Schuldner auf seine Verurteilung hin leisten muss, muss allein aus dem Titel erkennbar sein. Daran fehlte es hier.
Der Beklagte war nämlich nur verurteilt worden, Auskunft über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Bestandsverzeichnisses zu erteilen. Das Anwesenheitsrecht des Gläubigers bei Erstellung dieses Verzeichnisses war also nicht Gegenstand der Verurteilung. Da der Kläger es vorliegend unterlassen hat, seinen Auskunftsanspruch dergestalt geltend zu machen, dass ihm die Anwesenheit bei Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses gestattet wird, hat er insoweit auch keinen im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzbaren Anspruch.
Quelle | OLG München, Beschluss vom 9.8.2021, 33 W 775/21, Abruf-Nr. 224387 unter www.iww.de
Testament auf Werbezetteln: Ist der Testierwille dann ernst gemeint?
| Hin und wieder werden Testamente auf unüblichen Unterlagen angefertigt. Ist dann ein ernsthafter Testierwille gegeben? Das ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. In einem aktuellen Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm war dies schwierig. |
Was war geschehen?
Der Erblasser hatte seinen letzten Willen auf insgesamt fünf mit einem Bleistift handschriftlich beschriebenen Papieren im DIN A4-Format niedergelegt, wobei es sich bei vier dieser Papiere jeweils um die Rückseite von mit Werbung für Kurse einer Schule bedruckten Zetteln handelte. Unter anderem hatten die Papiere folgenden Inhalt: Ein nicht unterschriebenes Schriftstück enthielt z. B. in der Kopfzeile die Aufschrift „Mein Testament S 50!! für Dummies“. Dann findet sich der Satz „Hiermit möchte ich … mein bisheriges Testament vom 20.7.2009 vom Notar … abgefasst für ungültig erklären und hebe hiermit vorsorglich alle bisherigen von mir errichteten Verfügungen von Todes wegen in vollem Umfang auf.“
Das sagte das Oberlandesgericht
Ein Testament ist nur wirksam, wenn der Erblasser einen ernstlichen Testierwillen bei seiner Errichtung hatte. Dabei sind, sofern die Form des Schriftstücks nicht den für Testamente üblichen Gepflogenheiten entspricht, an den Nachweis des Testierwillens strenge Anforderungen zu stellen. Können nach der so vorzunehmenden Auslegung die Zweifel nicht ausgeräumt werden, liegt kein gültiges Testament vor, da hierfür der ernstliche Testierwille außer Zweifel stehen muss. Bei solchen Zweifeln ist stets zu prüfen, ob es sich nicht lediglich um einen Testamentsentwurf handelt.
Auch wenn die Errichtung dieses Schriftstücks auf der Rückseite eines Werbezettels einer Schule nicht grundsätzlich einem ernstlichen Testierwillen entgegensteht, begründet doch die Verwendung dieser für Testamente unüblichen Schreibunterlage Anlass zu Zweifeln an einem ernstlichen Testierwillen. Diese Zweifel sieht das OLG noch verstärkt dadurch, dass der Erblasser den Text durch mit Bleistift geschrieben hat, wodurch eine dauerhafte Beständigkeit des Textes nicht sichergestellt ist. Des Weiteren enthält der Text zu Beginn und am Ende ausdrücklich Auslassungen, indem jeweils hinter der Ortsangabe durch vier Punkte gekennzeichnet worden ist, dass hier noch Eintragungen des Datums erfolgen sollten. Auch weitere Umstände sprachen dafür, dass an einigen Stellen nach der Vorstellung des Erblassers Ergänzungen, etwa die Anschrift des Bedachten, erforderlich waren.
Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 15.6.2021, 10 W 18/21
Mietrecht und WEG
Vermieterpflicht: Das Treppenhaus darf nicht zur Falle werden
| Ist das Treppenhaus so zugestellt, dass die Mieter nicht mehr gefahrlos ins Freie gelangen können, muss die örtliche Bauaufsicht einschreiten. Aber: Kann der Vermieter sich gegenüber einer sofort vollziehbaren Beseitigungsverfügung auf Besitz- und Eigentumsrechte seiner Mieter berufen? Nein, sagt nun das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster. |
Dem Vermieter wurde mit für sofort vollziehbar erklärter Ordnungsverfügung unter Zwangsgeldandrohung aufgegeben, die von seinen Mietern im Treppenhaus des Hauses abgestellten Gegenstände aus Brandschutzgründen zu entfernen. Sein Antrag, vorläufigen Rechtsschutz hiergegen zu gewähren, scheiterte in zweiter Instanz. Das OVG: Mit der Vollstreckung der Ordnungsverfügung ist kein unzulässiger Eingriff in das Eigentum oder den Besitz bzw. ein Besitzrecht der Wohnungsmieter verbunden. Bei sachgerechter Auslegung ist die Anordnung der Antragsgegnerin, die Gegenstände seien zu entfernen, dahin zu verstehen, dass sie ohne Substanzverletzung an einen sicheren Ort zu verbringen sind, an dem sie den im Brandfall erforderlichen ersten Rettungsweg durch das Treppenhaus nicht beeinträchtigen. Die dazu notwendigen Handlungen sind dem Vermieter auch ohne Mitwirkung der Mieter zivilrechtlich gestattet. Eine Notstandslage i.S. dieser Norm ist gegeben, weil nach der Rechtsprechung des OVG bei hier wegen Beeinträchtigung der Passierbarkeit des ersten Rettungswegs im Brandfall gegebenen erheblichen Brandschutzmängeln regelmäßig eine akute Gefahrenlage anzunehmen ist.
In der Praxis passiert es immer wieder, dass Mieter Gegenstände (Blumenständer, Fahrräder, Kinderwagen, Rollatoren, Rollstühle, Schränke etc.) mit oder ohne Gestattung/Duldung des Vermieters in Treppenraum und Hausflur abstellen. Je nach Fallgestaltung kann der Mietgebrauch mit dem öffentlich rechtlichen Brandschutz kollidieren. Lässt die bauliche Gestaltung des Treppenhauses eine Nutzung als Abstellfläche nicht zu oder sind die Gegenstände so abgestellt, dass sie im jederzeit möglichen Brandfall, insbesondere bei Rauchentwicklung zu einer Stolperfalle für die Bewohner werden können, besteht aus Sicht des OVG wegen der Beeinträchtigung des Fluchtwegs eine akute Gefahrenlage. Das Recht zur Mitbenutzung von Gemeinschaftsflächen erlaubt keine Mitbenutzung, wenn von dieser Gefahren ausgehen. Fazit: Der Vermieter darf die störenden Gegenstände dann auch ohne Mitwirken des Mieters entfernen.
Quelle | OVG Münster, Beschluss vom 10.8.2021, 7 B 1083/21
Formerfordernis: Wohnungskündigung mit „i. A.“ unterschreiben genügt nicht!
| Eine mit dem Kürzel i. A. unterschriebene Kündigung wahrt nur unter besonderen Umständen die notwendige gesetzliche Form. Das hat das Landgericht (LG) Wuppertal entschieden. |
Der Vermieter hatte mit zwei Schreiben aus August und Oktober 2020 die Wohnung gekündigt. Die Kündigungsschreiben hatte er jedoch nicht selbst unterschrieben, sondern ein Dritter hatte dies mit dem Zusatz „i. A.“ getan.
Das genügt nicht, so jetzt das LG. Die Kündigungen entsprechen nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform. Sie sind unwirksam. Zwar könne sich der Vermieter bei der Erklärung der Kündigung vertreten lassen. Dann würde die Unterschrift des Vertreters genügen. Dann müsste aber die Stellvertretung vor der Kündigung offengelegt worden sein. Hiervon könne bei einer Unterzeichnung mit dem Zusatz „i. A.“ nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Es sei auch denkbar, dass der Unterzeichnende mit diesem Zusatz nur zu erkennen gebe, dass er lediglich als Erklärungsbote auftrete und nicht von einer Übernahme der Verantwortung des Unterzeichners für den Inhalt des unterzeichneten Schriftstücks auszugehen sei.
Quelle | LG Wuppertal, Urteil vom 4.8.2021, 9 T 128/21
Wohnungseigentum: Eigentümergemeinschaft muss die Selbstbeteiligung aus der Gebäudeversicherung bei Leitungswasserschaden tragen
| Der Selbstbehalt bei einer Gebäudeversicherung ist bei einem Leitungswasserschaden nicht anteilig zwischen geschädigtem Sondereigentümer und ebenfalls geschädigter Wohnungseigentümergemeinschaft aufzuteilen. Vielmehr trägt die Gemeinschaft diesen allein. So hat nun das Landgericht (LG) Frankfurt/Main entschieden. |
Ein Leitungswasserschaden führte zu Schäden an Sonder- und Gemeinschaftseigentum. Die Versicherung regulierte und zog die Selbstbeteiligung ab. Da 85 Prozent des Schadens auf das Sondereigentum entfielen, meint der Verwalter, dass auch die zu zahlende Versicherungssumme an den Sondereigentümer um 85 Prozent des Selbstbehalts zu kürzen sei.
Das LG: Dem Eigentümer steht die auf den Schaden am Sondereigentum gezahlte Versicherungsleistung in voller Höhe zu, ohne dass ein Abzug in anteiliger Höhe für den Selbstbehalt erfolgen darf. Die Wohnungseigentümergemeinschaft muss auch bei einem Schadenseintritt in nur einer Sondereigentumseinheit mit eigenen finanziellen Mitteln die Schadensbeseitigung dort in vollem Umfang ermöglichen und den Aufwand für den Selbstbehalt auf der zweiten Stufe in der Jahresabrechnung (auf alle Eigentümer) umlegen. Denn eigentlich ist der Selbstbehalt nur ein verkappter Bestandteil der Versicherungsprämie, weshalb alle von der wegen des Selbstbehalts niedrigeren laufenden Prämie profitieren. Im Zuge der Treuepflicht sind dann aber im Schadensfall auch solche Kosten zu „solidarisieren“. Der Ort des Schadenseintritts kann nicht zu einer ungleichen Kostenbelastung dadurch führen, dass der volle oder anteilige Selbstbehalt denjenigen Eigentümern aufgebürdet wird, bei denen sich (gegebenenfalls zufällig wie hier bei einem Leitungswasserschaden) das Schadensergebnis zeigt.
Quelle | LG Frankfurt/Main, Urteil vom 20.5.2021, 2-13 S 149/19
Mietbeendigung: Renovierung „um des lieben Friedens willen“
| Führt ein Mieter nach Mietende unter Vorbehalt Schönheitsreparaturen durch, die er, wie sich später zeigt, nicht schuldete, hat er gegenüber dem ehemaligen Vermieter einen Zahlungsanspruch. Das entschied jetzt das Landgericht (LG) Berlin. |
Zwar gilt der Grundsatz, dass das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht mehr zurückgefordert werden kann, wenn der Leistende (hier: der Mieter) positiv gewusst hat, dass er zur Leistung (hier: zur Renovierung) nicht verpflichtet ist. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn er „um des lieben Friedens willen“ oder unter Druck leistet.
Quelle | LG Berlin, Urteil vom 20.7.2020, 65 S 112/20
Verbraucherrecht
Patienteninformationsblätter: Ärztliche Aufklärungsformulare unterliegen nur eingeschränkt der AGB-Kontrolle
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Ärztliche Aufklärungsformulare unterliegen nur einer eingeschränkten Kontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). |
Das war geschehen
Der Beklagte ist ein Verband von Augenärzten. Er empfiehlt seinen Mitgliedern, ein Patienteninformationsblatt zu verwenden. Dort werden die Patienten zunächst darüber aufgeklärt, dass ab einem Alter von 40 Jahren die Gefahr besteht, dass sich ein Glaukom (sog. Grüner Star) entwickelt, ohne dass frühzeitig Symptome auftreten. Deshalb werde eine allerdings von den gesetzlichen Krankenkassen nicht bezahlte Früherkennungsuntersuchung angeraten. Das Formular enthält anschließend folgende Passage: „Ich habe die Patienteninformation zur Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom) gelesen und wurde darüber aufgeklärt, dass trotz des Fehlens typischer Beschwerden eine Früherkennungsuntersuchung ärztlich geboten ist.“
Darunter kann der Patient die Erklärungen „Ich wünsche eine Untersuchung zur Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom).“ oder „Ich wünsche zurzeit keine Glaukom-Früherkennungsuntersuchung.“ ankreuzen. Schließlich sind die Unterschriften des Patienten und des Arztes vorgesehen.
Verbraucherschutzverband klagt
Der Kläger, ein Verbraucherschutzverband, meint, bei der Erklärung, die Patienteninformation gelesen und darüber aufgeklärt worden zu sein, dass die Früherkennungsuntersuchung ärztlich geboten sei, handele es sich um eine unzulässige Tatsachenbestätigung. Er hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, seinen Mitgliedern die Verwendung dieser Klausel (ggf. mit dem Zusatz „Ich wünsche zurzeit keine Glaukom-Früherkennungsuntersuchung“) zu empfehlen.
So sieht es der Bundesgerichtshof
Das Landgericht (LG) hatte der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat sie das Oberlandesgericht (OLG) abgewiesen. Die Revision des Klägers beim BGH hatte keinen Erfolg.
Der BGH: Die angegriffene Klausel ist wirksam. Das Informationsblatt unterrichtet die Patienten über das Risiko eines symptomlosen Glaukoms und über die Möglichkeit einer (auf eigene Kosten durchzuführenden) Früherkennungsuntersuchung. Die umstrittene Klausel dient der Dokumentation der hierüber erfolgten Aufklärung und der Entscheidung des Patienten, ob er die angeratene Untersuchung vornehmen lassen möchte.
Vom Patienten unterzeichnetes Aufklärungs- oder Einwilligungsformular
Für die ärztliche Aufklärung gelten durch die Rechtsprechung des BGH entwickelte eigenständige Regeln, die auch das Beweisregime erfassen. Hiernach können unter anderem die Aufzeichnungen des Arztes im Krankenblatt herangezogen werden. Einen wesentlichen Anhaltspunkt für den Inhalt der dem Patienten erteilten Aufklärung stellt in positiver wie auch in negativer Hinsicht insbesondere ein dem Patienten zur Verfügung gestelltes oder von diesem unterzeichnetes Aufklärungs- oder Einwilligungsformular dar. Dem Umstand, dass es sich um formularmäßige Mitteilungen, Merkblätter oder ähnliche allgemein gefasste Erklärungen handelt, hat der BGH dabei jeweils keine einer Beweiswirkung entgegenstehende Bedeutung beigemessen. Vielmehr hat er auf die Vorteile vorformulierter Informationen für den Patienten hingewiesen und diesen selbst dann einen Beweiswert beigemessen, wenn sie nicht unterschrieben sind. An diese Grundsätze hat der Gesetzgeber bei der Schaffung des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013 angeknüpft.
In dieses besondere Aufklärungs- und Beweisregime des Rechts des Behandlungsvertrags fügt sich die angegriffene Klausel ein, sodass sie mit der Rechtslage übereinstimmt.
Quelle | BGH, Urteil vom 2.9.2021, III ZR 63/20, PM 168/21
Vereinsrecht: Virtuelle Mitgliederversammlungen können weiter stattfinden
| Virtuelle Mitgliederversammlungen sind auch ohne entsprechende Satzungsregelung nun bis zum 31.8.2022 möglich. Das sehen die neuen Übergangsregelungen im „Aufbauhilfegesetz 2021“ vor (zuletzt bis Ende 2021). Es empfiehlt sich aber, die Möglichkeit zur virtuellen Versammlung in der Vereinssatzung zu regeln, wenn diese weiter genutzt werden soll.
Quelle | AufbhG 2021 vom 10.9.2021, Art. 16 des „Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Aufbauhilfe 2021“ und zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 sowie zur Änderung weiterer Gesetze“
Corona-Sonderregeln: Telefonische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis 31.12.2021 verlängert
| Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat die Corona-Sonderregeln für die telefonische Krankschreibung bei leichten Atemwegsinfekten um weitere drei Monate bis zum 31.12.2021 verlängert. Die Beschlüsse sind zum 1.10.2021 in Kraft getreten. |
Patienten, die an leichten Atemwegserkrankungen leiden, können wie bisher telefonisch für bis zu sieben Kalendertage krankgeschrieben werden. Eine einmalige Verlängerung der Krankschreibung kann telefonisch für weitere sieben Kalendertage ausgestellt werden.
Quelle | GB-A, „G-BA verlängert Möglichkeit zur telefonischen Krankschreibung und weitere Corona-Sonderregeln bis 31. Dezember 2021“, PM vom 16.9.2021
Zusatzversorgungskasse: Falsche Rentenauskunft: Kein Erfüllungsanspruch, aber Schadenersatzanspruch
| Eine fehlerhafte, weil zu hohe Rentenauskunft einer Zusatzversorgungskasse des öffentlichen Dienstes begründet keinen Erfüllungsanspruch des Versicherungsnehmers. Die Rentenauskunft ist weder ein Verwaltungsakt mit Bindungswirkung noch eine zivilrechtliche Willenserklärung im Sinne eines Anerkenntnisses. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe. |
Das OLG wies aber auch darauf hin, dass eine falsche Rentenauskunft einer Zusatzversorgungskasse eine Pflichtverletzung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist (§ 280 Abs. 1 BGB). Sie kann daher einen Schadenersatzanspruch des Versicherungsnehmers auslösen, wenn die Auskunft ursächlich für eine wirtschaftlich nachteilige Entscheidung des Versicherungsnehmers ist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn sich der Versicherungsnehmer aufgrund der fehlerhaften Auskunft für ein Altersteilzeitmodell oder für eine vorgezogene Altersrente ab 63 entscheidet.
Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 6.5.2021, 9 U 30/18, Abruf-Nr. 224564 unter www.iww.de
Lebensversicherung: Nach irrtümlicher Auszahlung kann Leistungshöhe nicht herabgesetzt werden
| Hat eine Lebensversicherung irrtümlich den Rückkaufswert ausgezahlt, kann sie die Höhe der künftigen Leistungen aus dem Rentenversicherungsvertrag nicht einseitig unter Verrechnung mit seinem (vermeintlichen) Rückforderungsanspruch herabsetzen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken. |
Die Versicherung hatte versehentlich eine Lebensversicherung abgewickelt und war verurteilt worden, den Vertrag wiederherzustellen. Dabei legte sie aber nicht die ursprünglichen Bestimmungen zugrunde, sondern die derzeit aktuellen. Der Versicherungsnehmer stand sich dadurch schlechter.
Das OLG: Die Versicherung hatte dazu weder eine vertragliche noch eine gesetzliche Änderungsbefugnis. Sie muss also den versehentlich von ihr aufgelösten Vertrag zu den ursprünglich vereinbarten Bestimmungen wieder herstellen.
Das OLG betont, dass die Versicherung dem wiederhergestellten Vertrag nicht andere aktuellere, den Versicherungsnehmer schlechter stellende Bedingungen zugrunde legen darf.
Quelle | OLG Saarbrücken, Urteil vom 16.7.2021, 5 U 2/21, Abruf-Nr. 225013 unter www.iww.de
Schmerzensgeld: Unfall beim Überholvorgang mit einem Fahrrad
| Fast 44 Prozent der Deutschen benutzen regelmäßig ihr Fahrrad. Bei den Oldenburgern sind es sogar fast 80 Prozent. Dabei kommt es manchmal auch zu Gefahrensituationen und Unfällen. Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hat jetzt in einem solchen Fall ein Urteil gefällt. |
Der Kläger war mit seinem Rad auf einer Straße unterwegs. Der Beklagte kam mit seinem Fahrrad aus der Einfahrt des dort befindlichen Häuserblocks. Er fuhr langsam und unsicher. Der Kläger fuhr eine kurze Strecke hinter dem Beklagten her und setze dann zum Überholen an. Weil der Beklagte in diesem Moment mit seinem Fahrrad erheblich nach links ausschwenkte, kam es zu einer Kollision. Der Kläger fiel zu Boden, seine Schulter war verrenkt, eine Sehne abgerissen. Er musste zwei Tage im Krankenhaus behandelt werden und war eine Woche krankgeschrieben. Es folgte eine längere Physiotherapie.
Das Landgericht (LG) hatte das Begehren des Klägers nach Schmerzensgeld und Schadenersatz zurückgewiesen. Der Kläger, so das LG, hätte nicht überholen dürfen, weil er den erforderlichen Sicherheitsabstand von 1,5 bis 2 m zu dem Beklagten nicht habe einhalten können.
Das OLG sah dies anders: Ein Überholen setze nicht generell einen Sicherheitsabstand von 1,5 bis 2 m voraus dies würde bedeuten, dass Fahrradfahrer sich fast im gesamten Stadtgebiet nicht überholen dürften. Es komme vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an. Im konkreten Fall weise der Radweg eine ausreichende Breite zum Überholen aus, zumal der Radweg nur optisch von dem breiten Fußweg abgegrenzt ist. Der Beklagte habe durch seinen Linksschwenk gegen das Gebot der Rücksichtnahme (§ 1 Straßenverkehrsordnung) verstoßen, nach dem sich jeder Verkehrsteilnehmer so verhalten müsse, dass kein anderer gefährdet oder behindert werde. Den Kläger treffe aber ein Mitverschulden von 50 Prozent, weil er hätte erkennen können, dass der Beklagte unsicher fuhr. Der Beklagte muss dem Kläger jetzt ein Schmerzensgeld von 3.500 Euro zahlen, sowie die Hälfte seines Sachschadens ersetzen (Fahrten zur Physiotherapie, beschädigte Kleidung). Die Entscheidung ist rechtskräftig.
Quelle | OLG Oldenburg, Urteil vom 21.9.2021, 2 U 121/21, PM vom 27.9.2021
Allgemeine Geschäftsbedingungen: Mahnspesen nur in Höhe der Sachkosten erstattungsfähig
| Ein Anspruch auf Mahngebühren für per E-Mail versandte Mahnungen besteht grundsätzlich nicht. Dies gilt auch bei einem pauschalierten Mahnspesenersatzanspruch in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Gläubigers. Das hat das Amtsgericht (AG) Stuttgart entschieden. |
Dabei hat sich das AG auf die Rechtsprechung des BGH bezogen. Ersatzfähig und durch AGB pauschalierbar ist danach nur der Verzugsschaden, der nicht im grundsätzlich nicht zu erstattenden Zeit- und Arbeitsaufwand des Geschädigten liegt. Bei der die materielle Mahnwirkung nicht beeinträchtigenden Versendung einer Mahnung per E-Mail ist für das Entstehen erstattungsfähiger Sachkosten, etwa Druck- und Portokosten, nichts ersichtlich. Das AG hatte deshalb auch keine Grundlage für eine Schadensschätzung. Die Sachkosten müssen vorgetragen werden.
Quelle | AG Stuttgart, Urteil vom 22.6.2021, 3 C 22/21
Verkehrsrecht
Aktuelle Gesetzgebung: Neuer Bußgeldkatalog zum 9.11.2021
| Am 9.11.2021 ist der neue Bußgeldkatalog in Kraft getreten. Er beinhaltet zum Teil deutlich höhere Geldbußen als bisher. Hier ein Auszug der wichtigsten Änderungen. |
1. Parken und Halten
Verbotswidriges Parken auf Geh- und Radwegen sowie das jetzt verbotene Halten auf Schutzstreifen und das Parken und Halten in zweiter Reihe ist teurer geworden. Verstöße kosten bis zu 110 Euro. Bei schwereren Verstößen kann darüber hinaus ein Punkt im Fahreignungsregister („Flensburg“) eingetragen werden.
Darüber hinaus sind für das unberechtigte Parken auf einem Schwerbehinderten-Parkplatz Geldbußen von 55 Euro vorgesehen. Ebenfalls für das unberechtigte Parken auf einem Parkplatz für elektrisch betriebene Fahrzeuge oder einem Parkplatz für Carsharing-Fahrzeuge werden 55 Euro fällig. Für das rechtswidrige Parken an engen oder unübersichtlichen Straßenstellen bzw. im Bereich einer scharfen Kurve sieht der neue Bußgeldkatalog eine Geldbuße von 35 Euro vor.
Für einen allgemeinen Halt- und Parkverstoß werden jetzt bis zu 25 Euro fällig.
2. Rettungsgasse
Die unerlaubte Nutzung einer Rettungsgasse wird jetzt genauso verfolgt und geahndet wie das Nichtbilden einer Rettungsgasse. Es drohen Bußgelder zwischen 200 und 320 Euro sowie ein Monat Fahrverbot. Als Folge dieser Sanktionen ist die Eintragung von zwei Punkten im Fahreignungsregister vorgesehen.
3. Sonstige Regelverstöße
Die vorschriftswidrige Nutzung von Gehwegen, linksseitig angelegten Radwegen und Seitenstreifen durch Fahrzeuge wird nun mit bis zu 100 Euro Geldbuße geahndet.
Für das sogenannte Auto-Posing (Verursachen von unnötigem Lärm und einer vermeidbaren Abgasbelästigung sowie unnützes Hin- und Herfahren) sind Bußgelder bis zu 100 Euro vorgesehen.
Für rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge über 3,5 t ist innerorts Schrittgeschwindigkeit (4 bis 7, max. 11 km/h) vorgeschrieben. Verstöße hiergegen können nun mit einem Bußgeld in Höhe von 70 Euro sanktioniert werden. Außerdem wird ein Punkt im Fahreignungsregister eingetragen.
4. Geschwindigkeitsverstöße
Für normale Pkw bis 3,5 t gelten bei Geschwindigkeitsüberschreitungen künftig folgende Geldbußen:
- Überschreitung bis 10 km/h: 30 Euro innerorts / 20 Euro außerorts
- Überschreitung 11 bis 15 km/h: 50 Euro innerorts / 40 Euro außerorts
- Überschreitung 16 bis 20 km/h: 70 Euro innerorts / 60 Euro außerorts
- Überschreitung 21 bis 25 km/h: 115 Euro innerorts / 100 Euro außerorts
- Überschreitung 26 bis 30 km/h: 180 Euro innerorts / 150 Euro außerorts
- Überschreitung 31 bis 40 km/h: 260 Euro innerorts / 200 Euro außerorts
- Überschreitung 41 bis 50 km/h: 400 Euro innerorts / 320 Euro außerorts
- Überschreitung 51 bis 60 km/h: 560 Euro innerorts / 480 Euro außerorts
- Überschreitung 61 bis 70 km/h: 700 Euro innerorts / 600 Euro außerorts
- Überschreitung über 70 km/h: 800 Euro innerorts / 700 Euro außerorts
Für Pkw mit Anhänger und Fahrzeuge, die schwerer als 3,5 Tonnen sind, sowie Fahrzeuge mit gefährlichen Gütern oder Passagierbusse gelten andere Geldbußen.
Quelle | Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Informationen zum neuen Bußgeldkatalog vom 21.10.2021, siehe auch online www.iww.de/s5645
Nutzungsausfall: Rechtfertigen 18 Kilometer am Tag zu Pandemiebeginn einen Mietwagen?
| Ja. Das Amtsgericht (AG) Braunschweig hat jetzt die Verweisung des Geschädigten mit niedrigem Fahrbedarf auf Bus und Bahn unter den Corona-Verhältnissen für unzumutbar gehalten. Es genügen nach seiner Entscheidung ca. 18 km pro Tag, um die Mietwagennutzung zu rechtfertigen. |
Ebenso haben bereits kürzlich die AG Duisburg Hamborn und Kassel entschieden.
Quelle | AG Braunschweig, Urteil vom 17.6.2021, 111 C 2148/20, Abruf-Nr. 224497 unter www.iww.de; AG Duisburg-Hamborn, Urteil vom 15.6.2021, 9 C 108/21, Abruf-Nr. 223183 unter www.iww.de; AG Kassel, Urteil vom 28.4.2021, 421 C 3709/21, Abruf-Nr. 223758 unter www.iww.de
Kfz-Versicherung: Vollkasko ist auch für Grillhähnchen-Verkaufswagen zuständig
| Bleibt ein Grillhähnchen-Verkaufswagen beim Vorbeifahren an einer Hausecke hängen, weil sich die seitliche Verkaufsklappe während der Vorbeifahrt geöffnet hat, gilt Folgendes: Es handelt es sich um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis im Sinne der Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung, also um einen Unfall im Sinne der Vollkaskoversicherung. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe. |
Das OLG wies darauf hin, dass die Regelung in den Versicherungsbedingungen, wonach „Schäden aufgrund eines Brems- oder Betriebsvorgangs nicht als Unfallschäden gelten“ keine Ausschlussklausel enthält. Die Regelung hat lediglich klarstellenden Charakter.
Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 1.6.2021, 9 U 54/19, Abruf-Nr. 224087 unter www.iww.de
Verkehrssicherheit: Ende der Geschwindigkeitsbegrenzung bei auf der Straße montierten Bodenwellen
| Wird zur Verkehrsberuhigung im Hinblick auf eine unfallträchtige Kreuzung eine Bodenwelle (sog. „sleeping policeman“) errichtet, endet eine ihretwegen angeordnete streckenbezogene Geschwindigkeitsbegrenzung, deren Länge nicht ausdrücklich vorgegeben wird, dort, wo die Gefahr auch aus Sicht eines Ortsunkundigen vorüber ist. So entschied das Oberlandesgericht (OLG) Hamm. |
Das OLG: Die Gefahr endet aus Fahrtrichtung jeweils hinter der Bodenwelle und der gefährlichen Kreuzung, wenn keine weiteren Bodenwellen mehr angezeigt oder ersichtlich sind. Ab dort darf dann wieder mit der ursprünglich zulässigen Geschwindigkeit gefahren werden.
Quelle | OLG Hamm, Urteil vom 11.5.2021, 7 U 104/19
Autokauf: Verschweigen der Reimporteigenschaft eines Fahrzeugs
| Unterlässt der Verkäufer den Hinweis auf die Reimporteigenschaft eines Fahrzeugs, täuscht er den Käufer nicht arglistig. Ausnahme: Der Käufer hat ausdrücklich danach gefragt. So entschied es jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken. Bemerkenswert: Es gab damit seine frühere Rechtsprechung auf. |
Was war geschehen?
Die Klägerin hatte einen gebrauchten Pkw der Marke Porsche von einem privaten Verkäufer gekauft. Im schriftlichen Kaufvertrag wurde die Haftung des Verkäufers für Sachmängel ausgeschlossen. Kurze Zeit nach dem Kauf des Fahrzeugs stellte sich heraus, dass es sich bei dem Porsche um ein Reimportfahrzeug handelte.
Die Käuferin fühlte sich vom Verkäufer getäuscht. Sie erklärte die Anfechtung des Kaufvertrags. Begründung: Das Fahrzeug sei aufgrund seiner Reimporteigenschaft weniger wert.
Der Verkäufer weigerte sich, der Käuferin den Kaufpreis zurückzuerstatten. Diese klagte nun auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.
So sah es die Vorinstanz
Das Landgericht (LG) hatte in der ersten Instanz die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung scheide aufgrund des fehlenden Hinweises auf die Reimporteigenschaft des Fahrzeugs aus. Die Käuferin habe nämlich beim Verkaufsgespräch nicht explizit darauf hingewiesen, dass sie kein Reimportfahrzeug haben wolle.
So sah es das Oberlandesgericht
Das OLG Zweibrücken hat das Urteil des LG bestätigt. Es argumentiert, dass man aufgrund des geänderten Marktverhaltens beim Autokauf nicht mehr generell davon ausgehen könne, dass sich die Reimporteigenschaft eines Fahrzeuges stets mindernd auf den Verkehrswert des Fahrzeugs auswirke. Insbesondere bei älteren Gebrauchtwagen könne dies nicht angenommen werden. Der fehlende Hinweis des Verkäufers rechtfertige daher keine Anfechtung des Kaufvertrags.
Quelle | OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.1.2021, 8 U 85/17, Abruf-Nr. 223721 unter www.iww.de
Steuerrecht
Steuernachzahlungen und -erstattungen: Finanzämter: 6 Prozent verfassungswidrig – vorerst keine Zinsfestsetzungen
| Nach Ablauf einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten wird bei Steuernachzahlungen und -erstattungen ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat zugrunde gelegt. Mit Beschluss vom 8.7.2021 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die jährliche 6%ige Verzinsung für Zeiträume seit 2014 für verfassungswidrig erklärt. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat sich nun in einem umfangreichen Schreiben zu Anwendungsfragen geäußert. |
Nach dem Beschluss des BVerfG ist das bisherige Recht für Verzinsungszeiträume vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2018 weiter anwendbar. Für Verzinsungszeiträume seit 2019 sind die Vorschriften dagegen unanwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31.7.2022 eine Neuregelung zu treffen, die sich rückwirkend auf alle Verzinsungszeiträume seit dem Jahr 2019 erstreckt.
Das Schreiben des Bundesfinanzministeriums enthält folgende Grundsätze:
Zeiträume bis 31.12.2018: Endgültige Festsetzung
Für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 ergeht die Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nun endgültig. Die Vorläufigkeit der Zinsfestsetzungen wird also aufgehoben. Werden etwaige Einsprüche hinsichtlich der Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 nicht zurückgenommen, wird der Einspruch (ggf. durch eine Teileinspruchsentscheidung) als unbegründet zurückgewiesen.
Zeiträume seit 1.1.2019: Festsetzung muss nachgeholt werden
Für Verzinsungszeiträume seit dem 1.1.2019 werden erstmalige Festsetzungen von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen ausgesetzt. Die Zinsfestsetzung wird nachgeholt, sobald die Ungewissheit durch eine rückwirkende Gesetzesänderung beseitigt ist.
Bescheide vorläufig
Sind Bescheide vor dem Beschluss des BVerfG ergangen und sind diese noch nicht endgültig, bleiben sie grundsätzlich weiterhin vorläufig, d. h., bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber.
Beachten Sie | Die Unvereinbarkeitserklärung erstreckt sich nicht auf andere Verzinsungstatbestände der Abgabenordnung, so z. B. nicht auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen.
Quelle | BMF-Schreiben vom 17.9.2021, IV A 3 – S 0338/19/10004 :005, Abruf-Nr. 225224 unter www.iww.de
Steuernachforderung: Keine Rückstellung im Steuerentstehungsjahr
| Für die Nachforderung nicht hinterzogener Steuern kann im Steuerentstehungsjahr noch keine Rückstellung gebildet werden. Auch die Bildung einer Rückstellung für Steuerberatungskosten im Zusammenhang mit einer Betriebsprüfung kommt bei einem Klein- bzw. Kleinstbetrieb vor Beginn der Prüfung regelmäßig nicht in Betracht. Dies hat aktuell das Finanzgericht (FG) Münster entschieden. |
Sachverhalt
Ein Taxiunternehmen in der Rechtsform einer GmbH wurde nach der Betriebsprüfungsordnung bis 2012 als Kleinst- und ab 2013 als Kleinbetrieb eingestuft. 2017 führte das Finanzamt eine Lohnsteueraußenprüfung für 2013 und 2014 und eine Betriebsprüfung für 2012 bis 2014 als Kombiprüfung durch. Dies führte zu höheren Umsätzen und Gewinnen sowie zu zusätzlichen Arbeitslöhnen.
Daraufhin wollte das Taxiunternehmen für 2012 eine Rückstellung für zusätzlichen Steuerberatungsaufwand im Zusammenhang mit der Prüfung und für 2014 eine Rückstellung für die Lohnsteuerhaftungsbeträge bilden. Doch beides lehnte das Finanzamt ab. Auch das FG Münster versagte in beiden Punkten die Bildung von Rückstellungen.
Auslösendes Ereignis für Aufwendungen = Betriebsprüfung
Für den zusätzlichen Beratungsaufwand konnte in 2012 noch keine Rückstellung gebildet werden, da das auslösende Ereignis für die Aufwendungen erst die Durchführung der Betriebsprüfung war. Die Prüfungsanordnung für die Betriebsprüfung wurde unter dem 14.2.2017, die für die Lohnsteueraußenprüfung unter dem 24.2.2017 erlassen und die Kombiprüfung nachfolgend ab April 2017 durchgeführt.
Ende 2012 musste das Taxiunternehmen auch noch nicht mit einer späteren Prüfung rechnen, da es als Kleinst- bzw. Kleinbetrieb nicht der Anschlussprüfung unterliegt. Für die Lohnsteuernachforderung wurde durch Haftungsbescheid erst in 2017 eine Zahlungsverpflichtung begründet.
Eine Rückstellung für hinterzogene Steuern kann erst zu dem Bilanzstichtag gebildet werden, zu dem der Steuerpflichtige mit der Aufdeckung der Steuerhinterziehung rechnen musste. Für nicht hinterzogene Steuern ist diese Frage noch nicht abschließend geklärt.
Nach Meinung des FG Münster ist auch insoweit erst dann eine Rückstellung zu bilden, wenn ernsthaft mit einer quantifizierbaren Inanspruchnahme durch das Finanzamt gerechnet werden kann. Dies war hier frühestens mit Beginn der Prüfung im Jahr 2017 der Fall.
Bundesfinanzhof ist gefragt
In der anhängigen Revision kann der Bundesfinanzhof (BFH) nun klären, ob eine Rückstellung für die Nachforderung nicht hinterzogener Steuerbeträge wegen einer Betriebsprüfung im Jahr der wirtschaftlichen Veranlassung oder in dem Jahr zu bilden ist, in dem der Sachverhalt von der Betriebsprüfung „aufgegriffen” wird.
Quelle | FG Münster, Urteil vom 24.6.2021, 10 K 2084/18, K, G, Rev. BFH, XI R 19/21, Abruf-Nr. 224715 unter www.iww.de
Arbeitgeber: Elektronische Lohnsteuerbescheinigung 2022
| Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat das Muster für den Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung 2022 bekannt gegeben. |
Bei der Ausstellung des Ausdrucks der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung sind die Vorgaben des BMF im Schreiben vom 9.9.2019 zu beachten.
Quelle | BMF vom 18.8.2021, IV C 5 – S 2533/19/10030 :003, Abruf-Nr. 224479 unter www.iww.de; BMF-Schreiben vom 9.9.2019, IV C 5 – S 2378/19/10002 :001, Abruf-Nr. 211214 unter www.iww.de
Keine steuerliche Abzugsbeschränkung: Pilates-Raum hinter Durchgangszimmer ist Betriebsstätte
| Ein betrieblich genutzter Raum kann wegen seiner Ausstattung von der Abzugsbeschränkung für ein häusliches Arbeitszimmer auch dann ausgenommen sein, wenn Dritte (Kunden) ein dem privaten Bereich zuzuordnendes Durchgangszimmer durchqueren müssen, um in den Raum zu gelangen. Das hat das Finanzgericht München (FG) bei einer selbstständigen Pilates-Trainerin entschieden. |
Häusliches Arbeitszimmer
Aufwendungen (beispielsweise anteilige Miete, Abschreibungen, Energiekosten) für ein häusliches Arbeitszimmer sind nur in den folgenden Fällen abzugsfähig:
- bis zu 1.250 Euro jährlich, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht,
- ohne Höchstgrenze, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.
Außerhäusliches Arbeitszimmer oder (häusliche) Betriebsstätte
Liegt jedoch ein außerhäusliches Arbeitszimmer oder eine (häusliche) Betriebsstätte vor, gelten die vorgenannten Abzugsbeschränkungen nicht und die Kosten sind in voller Höhe abzugsfähig. Die Abgrenzung ist oft schwierig und beschäftigt häufig die Gerichte wie zuletzt das FG München.
Abzugsfähigkeit ohne Höchstgrenze
Aufwendungen für Räume innerhalb des privaten Wohnbereichs, die nicht dem Typus des häuslichen Arbeitszimmers entsprechen, können unbeschränkt abziehbar sein, wenn sie betrieblich bzw. beruflich genutzt werden und sich der betriebliche bzw. berufliche Charakter des Raums und dessen Nutzung anhand objektiver Kriterien feststellen lassen.
Der für die Abzugsbeschränkung maßgebliche Grund der nicht auszuschließenden privaten Mitbenutzung gilt für diese Räume nicht. Denn bereits aus ihrer Ausstattung (z. B. als Werkstatt) bzw. wegen ihrer Zugänglichkeit durch dritte Personen lässt sich eine private Mitbenutzung ausschließen.
Finanzgericht: Pilates-Zimmer ist betriebsstättenähnlicher Raum
Im konkreten Fall handelte es sich bei dem Pilates-Zimmer nach Ansicht des FG deshalb um einen betriebsstättenähnlichen Raum, weil er als Trainings- und Unterrichtsraum eingerichtet und auch als solcher genutzt wurde. Zwar mussten, soweit die Trainerin dort zusammen mit anderen Trainern arbeitete und Trainings für Kunden anbot, diese ein dem privaten Bereich zuzuordnendes Durchgangszimmer durchqueren. Allerdings war die dadurch gegebene räumliche Verbindung zu den privat genutzten Räumen gering ausgeprägt. Sie fiel angesichts der Ausstattung des Raums und der tatsächlichen betrieblichen Nutzung nicht entscheidend ins Gewicht.
Quelle | FG München, Urteil vom 2.3.2021, 10 K 1251/18, Abruf-Nr. 223940 unter www.iww.de
Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht
IHK Düsseldorf: Mitgliedsbeiträge weiter rechtswidrig
| Beitragsbescheide der Industrie- und Handelskammer (IHK) Düsseldorf für die Jahre 2014 und 2015 sind wegen fehlerhafter Rücklagenbildung in der Wirtschaftsplanung rechtswidrig. Die rückwirkende Änderung der Wirtschaftssatzungen durch die Vollversammlung der IHK führt nicht zu einer Heilung des Fehlers. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf entschieden und damit den Klagen zweier gesetzlicher Mitglieder der IHK stattgegeben. |
Durch rechtskräftige Urteile vom 10.9.2018 hatte das Gericht Beitragsbescheide der IHK Düsseldorf für die Jahre 2014 und 2015 aufgehoben. Die gerichtliche Kontrolle der Wirtschaftspläne dieser Jahre hatte ergeben, dass die IHK dem haushaltsrechtlichen Gebot der Schätzgenauigkeit in diesen Haushaltsjahren nicht hinreichend Rechnung getragen hatte.
Daraufhin beschloss die Vollversammlung der IHK im November 2018 eine rückwirkende Änderung der Wirtschaftssatzungen für 2014 und 2015. Gegen die in der Folge erlassenen berichtigten Beitragsbescheide für jene Jahre erhoben zwei Mitglieder der IHK die vorliegenden Klagen, die Erfolg hatten.
Nach Auffassung des Gerichts gibt es für die von der IHK vorgenommene rückwirkende Heilung der fehlerhaften Wirtschaftsplanung keinen rechtlichen Ansatz. Unzulässig ist insbesondere, die Beitragserhebung nachträglich von der ursprünglichen Wirtschaftsplanung zu entkoppeln, wie es hier geschehen ist.
Gegen die Urteile ist die Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster möglich. Diese hat das VG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.
Quelle | VG Düsseldorf, Urteile vom 3.11.2021, 20 K 551/19 und 20 K 559/19, PM vom 3.11.2021
Werbeverbot: Werbung mit der Aussage „E-Zigaretten retten Leben“ ist wettbewerbswidrig
| E-Zigaretten sind aus dem Stadtbild heute kaum mehr wegzudenken. Oft werden sie für „gesünder“ als normale Zigaretten gehalten was etwa aktuellen Imagekampagnen, wie „E-ZigaRETTEN Leben“, geschuldet ist. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg mahnte deshalb bereits mehrere Onlineshops und Händler erfolgreich ab, die mit einem Link für diese Kampagne auf ihren Websites warben, und erstritt 2020 auch ein Urteil vor dem Landgericht (LG) Saarbrücken. Jetzt bestätigte das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken die Auffassung der Verbraucherzentrale. |
Bereits im Jahr 2020 ging die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg in mehreren Fällen erfolgreich gegen unzulässige Online-Werbung für E-Zigaretten vor. Onlineshops hatten mit Link und dem Logo auf die E-Zigaretten-Lobby-Kampagne „E-ZigaRETTEN Leben“ verwiesen und damit auch nach Auffassung der Verbraucherzentrale unzulässige Werbung im Sinne des Gesetzes über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse (TabakErzG) betrieben.
Nachdem ein Online-Anbieter von E-Zigaretten das Urteil des LG Saarbrücken nicht akzeptieren wollte und in Revision ging, macht jetzt auch das OLG in der nächsten Instanz klar: So nicht. Wer auf der Seite seines E-Zigaretten-Onlineshops mit Buttons und Links für die Kampagne „E-ZigaRETTEN Leben“ wirbt, verstößt gegen das Werbeverbot gemäß TabakErzG. Das Argument des Online-Anbieters, es gehe bloß um Informationen, zog vor dem OLG nicht, denn die Kampagne gehe darüber hinaus.
Das LG: Der Betrachter versteht den Text in dem Logo so, dass der Konsum von E-Zigaretten positiv sei, da er Leben rette. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage ist eine solche Werbung für E-Zigaretten im Internet verboten. Außerdem bringe eine solche Imagewerbung für E-Zigaretten laut OLG insgesamt die Gefahr mit sich, dass diese als wenig schädliches „hippes“ Lifestyleprodukt wahrgenommen werden und sich zu einer Art Trend verfestigen.
Bemerkenswert: Das OLG hat die Revision abgelehnt und klargemacht, dass Händler, die Imagewerbung für E-Zigaretten im Internet betreiben, gegen das TabakErzG verstoßen ein solcher Verstoß kann auch eine hohe Geldstrafe nach sich ziehen.
Quelle | OLG Saarbrücken, Urteil vom 3.11.2021, 1 U 68/20, Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, PM vom 3.11.2021
Unternehmensnachfolgeregelung: Schenkung von GmbH-Anteilen an Angestellte kein Arbeitslohn
| Haben Unternehmer keinen Nachfolger in der Familie, ist die Suche unter den leitenden Mitarbeitern zumindest eine Option. Zu den steuerlichen Auswirkungen einer unentgeltlichen Übertragung von GmbH-Anteilen auf leitende Angestellte hat nun das Finanzgericht (FG) Sachsen-Anhalt Stellung bezogen. |
Sachverhalt
Ehegatten wollten als Gesellschafter einer GmbH eine Nachfolgeregelung innerhalb der Familie herbeiführen. Da ihrem Sohn allerdings die Branchenkenntnis fehlte und er auch nicht über unternehmerische Erfahrungen verfügte, sahen sie eine alleinige Übertragung der Anteile auf ihren Sohn als kritisch an. Die Lösung bestand dann schließlich darin, dem Sohn die wesentlichen Anteile zu übertragen und fünf leitenden Angestellten ebenfalls Anteile an der GmbH zu gewähren (jeweils 5,08 %).
Unterschiedliche Sichtweisen bei Finanzamt und Finanzgericht
Das Finanzamt wertete die Zuwendung an die Mitarbeiter als lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn. Demgegenüber hielt es das FG Sachsen-Anhalt in dem Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung für ernstlich zweifelhaft, dass die Übertragung der Anteile bei den leitenden Angestellten zu steuerpflichtigem Arbeitslohn geführt hat.
Finanzgericht: kein Arbeitslohn
Aus folgenden Gründen hat das FG im Streitfall keinen Arbeitslohn angenommen:
Im Geschäftsanteilsübertragungsvertrag wurde kein Grund für die Übertragung angegeben; eine Gegenleistung wurde nicht verlangt. Es war auch nicht geregelt, dass die Übertragung der Anteile in der Vergangenheit erfolgte oder in der Zukunft zu erwartende Dienste der leitenden Angestellten für die Gesellschaft abgelten soll.
Es war keinerlei Haltefrist für die Anteile vereinbart. Und es war auch nicht geregelt, dass die „Beschenkten“ die Anteile erst nach einer bestimmten Frist der Weiterbeschäftigung bei der GmbH veräußern dürfen. Die Übertragung war vorbehalts- und bedingungslos erfolgt.
Letztlich führte der Vorgang zu einer Übertragung der Anteile im Rahmen der Unternehmensnachfolge. Ziel war es, den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Dabei standen gesellschaftsrechtliche strategische Überlegungen im Vordergrund. Der gesellschaftsrechtlich motivierten Schenkung lag eine Sonderrechtsbeziehung zugrunde, die auch selbstständig und losgelöst vom Arbeitsverhältnis bestehen kann und somit nicht zu Arbeitslohn führt.
Beachten Sie | Es handelt sich zwar „nur“ um eine summarische Prüfung des FG im Aussetzungsverfahren. Gleichwohl ist dem Beschluss eindeutig zu entnehmen, dass die Übertragung der GmbH-Anteile auf die leitenden Angestellten des Unternehmens nicht maßgeblich durch das Dienstverhältnis veranlasst war. Die Zuwendung ist vielmehr dem nicht einkommensteuerbaren, allenfalls schenkungsteuerlich relevanten Bereich zuzuordnen.
Quelle | FG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14.6.2021, 3 V 276/21, Abruf-Nr. 224163 unter www.iww.de
Kapitalgesellschaften: Der Jahresabschluss 2020 ist bis Ende 2021 offenzulegen
| Offenlegungspflichtige Gesellschaften (vor allem AG, GmbH und GmbH & Co. KG) müssen ihre Jahresabschlüsse spätestens zwölf Monate nach Ablauf des Geschäftsjahrs beim Bundesanzeiger elektronisch einreichen. Das heißt: Ist das Geschäftsjahr das Kalenderjahr, muss der Jahresabschluss für 2020 bis zum 31.12.2021 eingereicht werden. |
Kommt das Unternehmen der Offenlegungspflicht nicht rechtzeitig oder nicht vollständig nach, leitet das Bundesamt für Justiz ein Ordnungsgeldverfahren ein. Das Unternehmen wird aufgefordert, seinen Offenlegungspflichten innerhalb einer sechswöchigen Nachfrist nachzukommen. Gleichzeitig wird ein Ordnungsgeld angedroht (regelmäßig in Höhe von 2.500 Euro). Entspricht das Unternehmen der Aufforderung nicht, wird das Ordnungsgeld festgesetzt.
Beachten Sie | Ordnungsgeldandrohungen und -festsetzungen können so lange wiederholt werden, bis die Veröffentlichung erfolgt ist. Die Ordnungsgelder werden dabei schrittweise erhöht. Mit der Androhung werden den Beteiligten zugleich die Verfahrenskosten auferlegt. Diese entfallen nicht dadurch, dass der Offenlegungspflicht innerhalb der gesetzten Nachfrist nachgekommen wird.
Beachten Sie | Kleinstkapitalgesellschaften müssen nur ihre Bilanz (also keinen Anhang und keine Gewinn- und Verlustrechnung) einreichen. Zudem haben sie ein Wahlrecht: Sie können ihre Publizitätsverpflichtung durch Offenlegung oder dauerhafte Hinterlegung der Bilanz erfüllen. Hinterlegte Bilanzen sind nicht unmittelbar zugänglich; auf Antrag werden diese kostenpflichtig an Dritte übermittelt.
Quelle | Website des Bundesamts für Justiz, „Offenlegungspflichten“ (siehe www.iww.de/s5647)
Künstlersozialabgabe: Unveränderter Abgabesatz im Jahr 2022
| Der Abgabesatz zur Künstlersozialversicherung wird auch in 2022 bei 4,2 % liegen. Ermöglicht wurde dies durch den Einsatz zusätzlicher Bundesmittel in Höhe von knapp 84,6 Millionen Euro. |
Quelle | Künstlersozialabgabe-Verordnung 2022, BGBl I 2021, S. 4243; BMAS, „Künstlersozialabgabe auch im Jahr 2022 bei 4,2 Prozent“, Mitteilung vom 6.8.2021
Abschließende Hinweise
Berechnung der Verzugszinsen
| Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten. |
Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Juli 2021 bis zum 31. Dezember 2021 beträgt -0,88 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:
- für Verbraucher (§ 288 Abs. 1 BGB): 4,12 Prozent
- für den unternehmerischen Geschäftsverkehr (§ 288 Abs. 2 BGB): 8,12 Prozent
Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).
Übersicht / Basiszinssätze | |
Zeitraum |
Zinssatz |
01.07.2021 bis 31.12.2021 |
-0,88 Prozent |
01.01.2021 bis 30.06.2021 |
-0,88 Prozent |
01.07.2020 bis 31.12.2020 |
-0,88 Prozent |
01.01.2020 bis 30.06.2020 |
-0,88 Prozent |
01.07.2019 bis 31.12.2019 |
-0,88 Prozent |
01.01.2019 bis 30.06.2019 |
-0,88 Prozent |
01.07.2018 bis 31.12.2018 |
-0,88 Prozent |
01.01.2018 bis 30.06.2018 |
-0,88 Prozent |
01.07.2017 bis 31.12.2017 |
-0,88 Prozent |
01.01.2017 bis 30.06.2017 |
-0,88 Prozent |
01.07.2016 bis 31.12.2016 |
-0,88 Prozent |
01.01.2016 bis 30.06.2016 |
-0,83 Prozent |
01.07.2015 bis 31.12.2015 |
-0,83 Prozent |
01.01.2015 bis 30.06.2015 |
-0,83 Prozent |
01.07.2014 bis 31.12.2014 |
-0,73 Prozent |
01.01.2014 bis 30.06.2014 |
-0,63 Prozent |
01.07.2013 bis 31.12.2013 |
-0,38 Prozent |
01.01.2013 bis 30.06.2013 |
-0,13 Prozent |
01.07.2012 bis 31.12.2012 |
0,12 Prozent |
01.01.2012 bis 30.06.2012 |
0,12 Prozent |
01.07.2011 bis 31.12.2011 |
0,37 Prozent |
01.01.2011 bis 30.06.2011 |
0,12 Prozent |
01.07 2010 bis 31.12.2010 |
0,12 Prozent |
01.01.2010 bis 30.06.2010 |
0,12 Prozent |
01.07 2009 bis 31.12.2009 |
0,12 Prozent |
01.01.2009 bis 30.06.2009 |
1,62 Prozent |
01.07.2008 bis 31.12.2008 |
3,19 Prozent |
01.01.2008 bis 30.06.2008 |
3,32 Prozent |
01.07.2007 bis 31.12.2007 |
3,19 Prozent |
Steuern und Beiträge Sozialversicherung: Fälligkeitstermine in 12/2021
| Im Monat Dezember 2021 sollten Sie insbesondere folgende Fälligkeitstermine beachten: |
Steuertermine (Fälligkeit):
- Umsatzsteuer (Monatszahler): 10.12.2021
- Lohnsteuer (Monatszahler): 10.12.2021
- Kirchensteuer (vierteljährlich): 10.12.2021
- Körperschaftsteuer (vierteljährlich): 10.12.2021
Bei einer Scheckzahlung muss der Scheck dem Finanzamt spätestens drei Tage vor dem Fälligkeitstermin vorliegen.
Beachten Sie | Die für alle Steuern geltende dreitägige Zahlungsschonfrist bei einer verspäteten Zahlung durch Überweisung endet am 13.12.2021. Es wird an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass diese Zahlungsschonfrist ausdrücklich nicht für Zahlung per Scheck gilt.
Beiträge Sozialversicherung (Fälligkeit):
Sozialversicherungsbeiträge sind spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden
Monats fällig, für den Beitragsmonat Dezember 2021 am 28.12.2021.