Ausgabe 12/2023

Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 12/2023:

Arbeitsrecht

Baurecht

Familien- und Erbrecht

Mietrecht und WEG

Verbraucherrecht

Verkehrsrecht

Steuerrecht

Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht

Abschließende Hinweise

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Arbeitsrecht

Kündigung: Doppelt riskant: Schwimmen während des Betriebsfestes

| Schwimmen im Rhein während einer Firmenfeier ist wegen der potenziellen Eigen- und Fremdgefährdung eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten. So sieht es das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf. |

Das war geschehen

Der Arbeitnehmer ist seit dem 1.1.2021 als Trainee bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Dieser veranstaltete im Spätsommer 2022 eine Betriebsfeier auf einem Restaurant- und Partyschiff am Kölner Rheinufer. Nach 22.00 Uhr soll der Arbeitnehmer auf der Toilette von einer Reinigungskraft beim Konsumieren eines weißen Pulvers beobachtet worden sein. Danach sei er vom Schiff gegangen und in den Rhein gesprungen. Er sei um das Schiff herumgeschwommen und wild gestikulierend und nur mit einer Unterhose bekleidet über das Boot an den versammelten Mitarbeitern vorbei zum Ausgang gelaufen. Wieder angekleidet und vom Arbeitgeber zur Rede gestellt, habe er nur erklärt, Spaß haben zu wollen. Einen Drogenkonsum bestritt er.

Der Arbeitgeber wirft ihm vor, er habe mit seinem Verhalten massiv den Betriebsfrieden gestört. Er habe sich selbst und andere erheblichen Gefahren ausgesetzt. Die Strömung im Rhein sei an der Anlegestelle sehr stark und es herrsche dort reger Schiffsverkehr. Die Stimmung auf der Feier sei nach dem Zwischenfall jäh gekippt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats fristlos. Der Arbeitnehmer ist der Ansicht, die Betriebsratsanhörung sei unwirksam, denn dem Gremium sei fälschlich mitgeteilt worden, dass er „unbekleidet“ in den Rhein gesprungen sei. Das Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf erklärte die Kündigung für unwirksam.

Landesarbeitsgericht: Vorherige Abmahnung fehlte

Das LAG wäre zum gleichen Ergebnis wie das ArbG gekommen. Es teilte die Argumentation des ArbG zur fehlerhaften Betriebsratsanhörung zwar nicht und sah in dem Verhalten des Arbeitnehmers eine Pflichtverletzung mit Bezug zum Arbeitsverhältnis. Er habe sich selbst aufgrund der Strömungen und des Schiffsverkehrs in Lebensgefahr begeben und potenziell Dritte gefährdet, die zum Helfen hätten veranlasst werden können. Die Kündigung scheitere aber an der fehlenden vorherigen Abmahnung. Diese sei auch nicht entbehrlich gewesen.

Der vom Arbeitgeber gestellte Auflösungsantrag sei erfolglos. Zwar habe der Arbeitnehmer auf einer Firmenveranstaltung im Juni 2022 mit einem lebensgroßen Deko-Plastik-Flamingo getanzt, sei mit diesem zu einem Bildautomaten gefahren und habe Selfies gemacht. Für dieses Verhalten sei er aber nur ermahnt worden.

So endete das Verfahren

Auf Vorschlag des LAG verständigten die Parteien sich: Das Arbeitsverhältnis wird fortgesetzt, der Arbeitnehmer tritt seinen Dienst wieder an. Der Arbeitgeber erteilt dem Arbeitnehmer eine Abmahnung wegen Störung des Betriebsfriedens, die der Arbeitnehmer akzeptiert.

Quelle | LAG Düsseldorf, Urteil vom 18.7.2023, 3 Sa 211/23, Abruf-Nr. 236360 unter www.iww.de

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Bewerbungsabsage: Verfassungsfeindliche Chatnachrichten können Einstellung in die Polizei verhindern

| Ein Bewerber für die Polizei, der in privaten Chatnachrichten verfassungsfeindliche Symbole empfangen und versendet hat, darf wegen fehlender charakterlicher Eignung abgelehnt werden. Das hat das Verwaltungsgericht (VG) Berlin jetzt entschieden. |

Verfassungsfeindliche Symbole auf dem Handy

Der im Jahr 2000 geborene Kläger bewarb sich 2022 für die Einstellung in den Berliner Polizeidienst. Im Rahmen eines später wegen nicht ausreichenden Tatverdachts eingestellten Ermittlungsverfahrens wurden auf seinem Handy mehrere Chat-Verläufe sichergestellt, in denen er drei Bilder mit verfassungsfeindlichen Symbolen empfangen und diese an mindestens drei weitere Personen weitergeleitet hatte. Bild 1 und 2 zeigen Adolf Hitler, Bild 3 zeigt eine männliche Person mit schwarzer Hautfarbe, welche ein T-Shirt mit einem Hakenkreuz trägt. Die Polizei lehnte die Bewerbung des Klägers ab.

Bewerbung zu Recht abgelehnt

Das VG hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Die Polizei habe aufgrund des mehrfachen kommentarlosen Versendens verfassungsfeindlicher Symbole über den Messenger-Dienst WhatsApp die charakterliche Eignung des Klägers für den Polizeiberuf verneinen dürfen. Aus dem Weiterleiten der rassistischen und den Holocaust verharmlosenden Bilder könne zwar noch keine rechtsradikale Überzeugung des Klägers abgeleitet werden. Für die Ablehnung der Bewerbung sei aber bereits das unreflektierte, jedoch bewusste Versenden der Bilder mit menschenverachtenden und antisemitischen Bezügen ausreichend.

Besonders hohe Anforderungen an Polizeibedienstete

An Polizisten dürften besonders hohe Anforderungen an die charakterliche Stabilität gestellt werden, weil sie sich jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einsetzen und Menschen jeglicher Herkunft unabhängig von ihrer Religion achten und schützen müssten. Unerheblich sei, ob das Versenden der Bilder strafrechtlich relevant sei. Denn der Kläger habe nicht erkennen lassen, dass er sein nur neun Monate vor der Bewerbung liegendes Fehlverhalten reflektiert, das Unrecht erkannt und daraus Schlüsse für die Zukunft gezogen habe.

Quelle | VG Berlin, Urteil vom 21.6.2023, VG 36 K 384/22, PM 31/23

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Bundesarbeitsgericht: Kündigung wegen Äußerung in einer Chatgruppe

| Ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, kann sich gegen eine daraus folgende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen. So hat es das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden. |

Chatgruppe mehrerer Arbeitnehmer

Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger gehörte seit 2014 einer Chatgruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied aufgenommen. Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder in beleidigender und menschenverachtender Weise u. a. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Nachdem die Beklagte hiervon zufällig Kenntnis erhielt, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.

Gerichte unterschiedlicher Meinung: Bundesarbeitsgericht spricht Machtwort

Beide Vorinstanzen haben der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG jedoch Erfolg. Die Vertraulichkeitserwartung des Klägers in Bezug auf die ihm vorgeworfenen Äußerungen war nicht berechtigt. Eine Vertraulichkeitserwartung ist nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten wie vorliegend beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigterweise erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.

Das BAG hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache an das LAG zurückverwiesen. Dieses wird dem Kläger Gelegenheit geben, darzulegen, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.

Quelle | BAG, Urteil vom 24.8.2023, 2 AZR 17/23, PM 33/23

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Kündigung: Wenn der Kirchenmusiker die Trauerfeier versäumt …

| Die Gemeinde hatte den Termin für eine Trauerfeier mit einem Kirchenmusiker abgestimmt und ihn dann absprachegemäß angesetzt. Der Kirchenmusiker kümmerte sich jedoch stattdessen um ein Kindermusical und erschien nicht. Die Gemeinde kündigte ihm daraufhin fristlos. Doch das war unzulässig, so das Arbeitsgericht (ArbG) Lübeck. |

Versäumter Termin nicht das einzige Fehlverhalten

Der Kirchenmusiker wandte z. B. ein: Dass der Pfarrer die Musikauswahl auf seinen Anrufbeantworter gesprochen habe, habe er nicht mitbekommen. Er habe so viel zu tun, dass er diesen kaum noch abhöre. Er habe sich so sehr um das nicht von der Gemeinde beauftragte Musical gekümmert, dass er seinen Kalender kaum mehr beachtet habe. Am Tag der Trauerfeier habe er weder Anrufe des Pfarrers noch des Beerdigungsunternehmens angenommen. Der Mann war jedoch nicht „unbescholten“: Wegen anderer Vorfälle hatte er bereits drei Abmahnungen „kassiert“ und das innerhalb weniger Monate. Aus der Sicht der Gemeinde war die Sache daher klar: Sie kündigte dem Kirchenmusiker fristlos.

Kein wichtiger Grund für eine Kündigung

Das ArbG: Es liegt kein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 626 Abs. 1 BGB) für die fristlose Kündigung vor. Der Musiker habe seine Arbeit nicht beharrlich und vorsätzlich verweigert. Dass er sich erst spät und dies auch nur per E-Mail entschuldigt habe, belege keinen Vorsatz.

Die Gemeinde hätte den Musiker auch zunächst abmahnen müssen. Der 61-Jährige war bereits seit 15 Jahren bei der Gemeinde angestellt. Es sei daher zu erwarten, dass er sein Verhalten künftig ändere.

Das ArbG: Die lange Beschäftigungsdauer führte auch zum Ausschluss der ordentlichen Kündigung entsprechend dem Tarifvertrag kirchlicher Arbeitnehmer (hier: § 27 Abs. 3 KAT).

Quelle | ArbG Lübeck, Urteil vom 15.6.2023, 1 Ca 323 öD/23

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Baurecht

Betriebserlaubnis: Schon ansässiges erlaubtes Glücksspielangebot in einem Gebäudekomplex ist privilegiert

| Die Ansiedlung von Stellen zur Vermittlung von Sportwetten in einem Gebäudekomplex, in dem sich bereits eine glücksspielrechtlich erlaubte Spielhalle oder Spielbank befindet, ist unzulässig. Dies hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf mit zwei Urteilen entschieden und damit die Klagen einer Veranstalterin von Sportwetten und einer Wettvermittlerin abgewiesen. |

Wenn Spielhalle oder Spielbank vorhanden ist, sind keine Sportwetten möglich

Seit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags 2021 dürfen konzessionierte Wettveranstalter in Deutschland Sportwetten über stationäre Wettvermittlungsstellen anbieten. Für den Betrieb einer stationären Wettvermittlungsstelle bedarf es einer Erlaubnis. Gesetzlich vorgesehen ist zudem, dass in einem Gebäude oder Gebäudekomplex, in dem sich eine Spielhalle oder eine Spielbank befindet, Sportwetten nicht vermittelt werden dürfen.

Trennungsgebot

Unter Berufung auf dieses sog. Trennungsgebot lehnte die Bezirksregierung Düsseldorf den Antrag einer Wettveranstalterin und einer Wettvermittlerin auf Erteilung einer Betriebserlaubnis in Mülheim/Ruhr ab. Das VG hat diese Bescheide in ihren Urteilen bestätigt und ausgeführt: Das Trennungsgebot begründet grundsätzlich keine einseitige Privilegierung von Spielhallen bzw. Spielbanken gegenüber Wettvermittlungsstellen.

Vielmehr setzt sich im Fall des Zusammentreffens der unterschiedlichen Glücksspielangebote in einem Gebäude oder Gebäudekomplex regelmäßig das am jeweiligen Standort bereits ansässige glücksspielrechtlich erlaubte Spielangebot gegenüber der hinzutretenden Glücksspielstätte durch, unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Spielhalle bzw. Spielbank oder eine Wettvermittlungsstelle handelt.

Gemeinwohl überwiegt

Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen das Trennungsgebot bestehen nicht. Denn das Gemeinwohlziel, einem übermäßigen Spieltrieb zu begegnen, indem der unmittelbare Kontakt zwischen den verschiedenen Glücksspielarten in räumlicher Nähe vermieden wird, ist von überragender Bedeutung. Demgegenüber tritt der Eingriff in die Rechte von Wettveranstaltern und Wettvermittlern zurück.

Gegen die Urteile kann jeweils die Zulassung der Berufung beantragt werden, über die das Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.

Quelle | VG Düsseldorf, Urteile vom 4.10.2023, 3 K 7177/21 und 3 K 7178/21, PM vom 4.10.2023

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Lärmimmissionen: Tischtennisplatte auf Spielplatz darf bleiben

| Das Verwaltungsgericht (VG) Trier hat die Klage der Eigentümerin eines Wohnhauses abgewiesen, mit der sie im Wesentlichen die Entfernung einer Tischtennisplatte von dem in ihrer Nachbarschaft gelegenen Spielplatz begehrt. |

Lärmbelästigung durch Tischtennisplatte?

Der Klägerin gehört ein Einfamilienhaus in einem Dorfgebiet der beklagten Ortsgemeinde. Auf dem angrenzenden Grundstück befindet sich ein von der Ortsgemeinde betriebener Kinderspielplatz, der ausweislich der Beschilderung die Benutzung für Kinder unter 14 Jahre in der Zeit von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr gestattet. Im Frühjahr 2023 wurde zusätzlich zu den vorhandenen Spielgeräten eine Tischtennisplatte auf dem Spielplatz aufgestellt. Hiergegen setzte sich die Klägerin mit der beim erkennenden Gericht erhobenen Klage zur Wehr, mit der sie die Entfernung der Tischtennisplatte, hilfsweise die zeitliche Einschränkung des Spielbetriebs von Dritten begehrt. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, die Benutzung der Tischtennisplatte gehe mit erheblichen Lärmbelästigungen, auch während der Ruhezeiten, einher. Zudem werde die Tischtennisplatte nicht nur von Kindern, sondern auch von älteren Jugendlichen und Erwachsenen bespielt.

Ortsbesichtigung

Das VG hat die Klage nach einer Ortbesichtigung abgewiesen. Ein Anspruch auf Entfernung der Tischtennisplatte bestehe nicht. Schädliche, der Beklagten zurechenbare Umwelteinwirkungen im Sinne der einschlägigen Vorschriften lägen hier nicht vor.

Privilegierte und sozialadäquate Geräusche

Geräuscheinwirkungen, die von Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen ausgingen, würden vom Gesetzgeber privilegiert und stellten im Regelfall keine immissionsschutzrechtlich relevante Störung dar. Dies treffe auch auf den vorliegenden Spielplatz zu. Dieser sei nach seiner Gesamtkonzeption auf spielerische oder körperlich spielerische Aktivitäten von Kindern bis 14 Jahre aus der umliegenden Umgebung zugeschnitten. Die Tischtennisplatte als kleinräumige Anlage ergänze das bestehende Angebot, diene dem Bewegungsbedürfnis von Kindern bis 14 Jahren und sei auch nicht als Sportanlage zu qualifizieren. Der Spielplatz mitsamt Tischtennisplatte stelle auch keinen von der Privilegierung abweichenden Sonderfall dar. Der Spielbetrieb auf einem Spielplatz sei typischerweise mit einer deutlich wahrnehmbaren Geräuschkulisse verbunden, von der sich die unregelmäßigen und impulsartigen Spielgeräusche beim Tischtennis samt Anfeuerungsrufen nicht nennenswert abheben. Die hiervon ausgehenden Lärmimmissionen stellten somit keine wesentliche Störung dar und seien von den Nachbarn als sozialadäquat hinzunehmen.

Keine Schutzbedürftigkeit

Zudem sei die Nachbarschaft des im Dorfgebiet angesiedelten Spielplatzes aufgrund dessen Gebietscharakters weniger sensibel und schutzbedürftig als in anderen Gebieten, sodass entsprechend höhere Anforderungen an eine Ausnahme von der Privilegierung zu stellen seien.

Missbräuchliche Nutzung ist durch Polizei und Ordnungsrecht zu unterbinden

Schließlich habe die Klägerin mangels subjektiv-rechtlichen Anspruchs auch keinen Abwehranspruch gegen Geräuschimmissionen, die auf die Benutzung außerhalb der festgelegten Öffnungszeiten bzw. die Benutzung durch Jugendliche oder Erwachsene zurückzuführen seien. Eine solche Benutzung außerhalb des Widmungszwecks sei missbräuchlich und der Beklagten mangels Schaffung besonderer Anreize nicht zuzurechnen. Störungen dieser Art seien daher polizei- und ordnungsrechtlich zu beseitigen.

Gegen die Entscheidung können die Beteiligten die Zulassung der Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz beantragen.

Quelle | VG Trier, Urteil vom 24.7.2023, 9 K 1721/23.TR, PM 14/23

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Familien- und Erbrecht

Schadenersatz: Fortdauernde Unterbringung in einem Kinderheim

| Die Fremdunterbringung eines Kindes wegen seiner Belastung durch den zwischen seinen getrenntlebenden Eltern schwelenden Sorgerechtsstreit ist regelmäßig unverhältnismäßig. Wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sprach das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro zu. |

Das war geschehen

Der Kläger nimmt die beklagte Stadt Frankfurt am Main auf Schadenersatz wegen seiner Unterbringung in einem Kinderheim in Anspruch. Seine getrenntlebenden Eltern stritten über das Sorgerecht. Der damals Sechsjährige lebte bei seiner Mutter und hatte regelmäßig Umgang mit seinem Vater. Der Vater informierte das Jugendamt, dass der Kläger ihm mitgeteilt habe, von der Mutter geschlagen worden zu sein; das Jugendamt erhielt auch ein entsprechendes ärztliches Attest. Daraufhin nahm das Jugendamt den Kläger in Obhut und brachte den Kläger in einem Kinderheim unter. Das Familiengericht übertrug dem Jugendamt das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Die Eltern widerriefen knapp drei Wochen nach der Unterbringung ihre zunächst erteilte Zustimmung. Knapp vier Monate später wurde der familiengerichtliche Beschluss vorläufig ausgesetzt und der Kläger kehrte zu seiner Mutter zurück. Nachfolgend hob das OLG im Sorgerechtsverfahren den Beschluss auf und übertrug das Sorgerecht auf den Vater. Dort lebt der Kläger seitdem. Der Kläger begehrte Entschädigung wegen der erlittenen Trennung von seinen Eltern.

Erfolg in der höheren Instanz

Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte vor dem OLG teilweise Erfolg. Die Stadt als Trägerin des Jugendamts wurde verurteilt, wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts an den Kläger 3.000 Euro zu zahlen und für künftige Schäden einzustehen.

Anfängliche Inobhutnahme war rechtens…

Zur Begründung betonte das OLG zunächst, dass die anfängliche Inobhutnahme keine schuldhafte Amtspflichtverletzung dargestellt habe. Insbesondere sei nicht feststellbar, dass das Jugendamt den Sachverhalt unzureichend ermittelt oder durch eine fehlerhafte Antragstellung die gerichtliche Entscheidung maßgeblich beeinflusst habe. Darüber hinaus liege die Verantwortung für die Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein beim Familiengericht. Zum Zeitpunkt der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt hätten die Eltern der Übertragung auch zugestimmt.

… aber Fremdunterbringung war unverhältnismäßig

Pflichtwidrig habe aber die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamts das Aufenthaltsbestimmungsrecht auch nach Ablauf einer kurzen Zeitspanne weiterhin zugunsten einer Fremdunterbringung ausgeübt. Die Fremdunterbringung eines Kindes aus Anlass eines tiefgreifenden Elternkonfliktes sei nur dann gerechtfertigt, „wenn der permanente Elternkonflikt das Kindeswohl in hohem Maße und mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet“. Zu berücksichtigen sei dabei stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. „Die Folgen der Fremdunterbringung dürften für das Kind nicht gravierender sein als die Folgen eines Verbleibs in der Herkunftsfamilie“, stellte das OLG klar.

Hier könne die Inobhutnahme und Unterbringung in einem Kinderheim abgesehen von einer kurzen Übergangszeit nicht damit gerechtfertigt werden, dass der Kläger von seiner Mutter geschlagen wurde. Der Gefahr erneuter Misshandlungen habe vielmehr dadurch begegnet werden können, dass der Kläger bis zur endgültigen Entscheidung über das Sorgerecht bei seinem Vater untergebracht wurde. Ein solcher sofortiger Ortswechsel habe mit entsprechenden Unterstützungsleistungen auch begleitet werden können.

Der heftige und langwierige Streit der Eltern über das Sorge- und Umgangsrecht rechtfertige dagegen angesichts der mit der Fremdunterbringung einhergehenden Belastungen nicht deren Fortdauer. Die ursprüngliche Herausnahme aus der Familie sei lediglich als kurzfristige Maßnahme veranlasst gewesen, in deren Verlauf eine Beruhigung eintreten sollte. Eine längere, monatelange Trennung von den Eltern habe der Kläger dagegen nicht als Entlastung von dem elterlichen Konflikt erleben können, sondern als ungerechtfertigte Folge dessen, dass er sich über die Misshandlungen durch seine Mutter beschwert habe.

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.7.2023, 1 U 6/21

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Unterhaltsvorschuss: Ein mit Samenspende gezeugtes Kind ohne rechtlichen Vater

| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat heute in drei Berufungsverfahren entschieden, dass eine alleinerziehende Mutter für ihr Kind, das unter Verwendung einer offiziellen Samenspende nach dem Samenspenderregistergesetz gezeugt worden ist, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz hat. |

Die Klägerinnen hatten sich mit ihren Berufungsverfahren gegen Urteile des Verwaltungsgerichts (VG) gewandt. Dieses hatte entschieden, Unterhaltsvorschuss sei nicht zu gewähren, weil dies der gesetzgeberischen Konzeption widerspreche, die öffentliche Unterhaltsleistung in erster Linie als Vorschuss zu zahlen und von dem säumigen zum Barunterhalt verpflichteten anderen Elternteil zurückzufordern.

Dieser Würdigung ist das OVG gefolgt. Zwar habe das Kind nach dem Samenspenderregistergesetz einen Anspruch darauf, zu erfahren, wer sein biologischer Vater sei. Ein Rückgriff der Unterhaltsvorschussstelle auf den anderen Elternteil sei aber von vornherein aussichtslos, weil die mit dem Samenspenderregistergesetz (SaRegG) am 1.7.2018 in Kraft getretene einschlägige Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 1600d Abs. 4 BGB) es ausschließe, dass der offizielle Samenspender als rechtlicher Vater festgestellt werde.

Quelle | OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 10.8.2023, OVG 6 B 15/22, OVG 6 B 16/22, OVG 6 B 17/22, PM 19/23

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Schulpflicht: Zwangsgeld gegen Eltern möglich

| Das Verwaltungsgericht (VG) Schleswig-Holstein stellte jetzt fest: Die Schulen und Schulämter können Zwangsmittel auch gegenüber den Eltern schulpflichtiger Kinder anwenden, um die Schulpflicht durchzusetzen. |

Zwangsgelder in fünf Fällen

In fünf ähnlich gelagerten Fällen wandten sich betroffene Eltern gegen die ihnen durch Schulen bzw. Schulämter auferlegte Verpflichtung, ihr Kind an einer Schule anzumelden bzw. dafür zu sorgen, dass es am Schulunterricht teilnimmt. Diese Verpflichtung war in den meisten Fällen mit der Androhung eines Zwangsgelds verbunden. Die Zwangsgelder in Höhe zwischen 300 und 800 Euro wurden teilweise auch zur Zahlung festgesetzt, nachdem die Eltern der Pflicht zur Schulanmeldung und Schulpflichtsicherstellung nicht nachgekommen waren.

Wille des Kindes gegen Schulbesuch „ist aufzulösen“

Das Gericht beurteilte das Vorgehen der Schulen und Ämter als rechtmäßig. Das Schleswig-Holsteinische Schulgesetz halte für Zwangsmittel hinreichende Rechtsgrundlagen vor. Die Eltern hätten nicht dargelegt, ihrer gesetzlichen Verantwortung für den Schulbesuch ihrer Kinder nachgekommen zu sein. Für Geltung und Durchsetzung der Schulpflicht komme es nicht darauf an, dass ein Kind (auch) aus eigenem Willen nicht zur Schule gehe, weil es außerhalb der Schule selbstbestimmt lernen wolle. Ein solcher Kindeswille mache den Eltern die Erfüllung der gegen sie gerichteten Verpflichtungsanordnung weder unmöglich noch führe er zur Nichtigkeit des Bescheids. Vielmehr müssen Eltern aufgrund ihrer Sorgepflicht auch versuchen, einen etwa entgegenstehenden Willen des Kindes aufzulösen. Auch ein vorgetragener Umzug ins Ausland tangiere die Schulpflicht nicht, solange in Wirklichkeit von einem Hauptwohnsitz der Familie in Deutschland auszugehen sei.

Quelle | VG Schleswig-Holstein, Urteile vom 8.5.2023, 9 A 174/22, 9 A 53/23, 9 A 57/23, 9 A 98/23 und 9 A 130/23, PM vom 14.8.2023

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Testament: Ersatzerben trotz namentlicher Bestimmung von Schlusserben

| Nennen die Erblasser in einem gemeinschaftlichen Testament ausschließlich bestimmte Schlusserben namentlich, schließt dies nicht aus, dass später Ersatzerben eintreten können. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg entschieden. |

Zwei Kinder als Schlusserben, eines verstarb

Die Eheleute setzten sich in einem handschriftlichen Testament gegenseitig als Erben und die beiden erstehelichen Kinder der Ehefrau zu Schlusserben nach dem Überlebenden ein. Dabei führten sie die beiden Kinder namentlich auf. Vor dem Schlusserbfall verstarb eines der beiden Kinder und hinterließ seinerseits ein Kind. Nach dem Tod der zunächst überlebenden Ehefrau beantragte das andere Kind der Eheleute einen ihn als Alleinerben ausweisenden Erbschein, der zunächst erteilt und später eingezogen wurde. Dieses Kind der Eheleute ist der Auffassung, dass durch die ausdrückliche namentliche Benennung der Schlusserben im Testament sichergestellt sein sollte, dass einzig und allein diesen beiden bzw. bei Vorversterben eines Schlusserben nur einem von ihnen allein der Nachlass zufließen sollte. Hätten die Erblasser gewollt, dass eines der Enkelkinder anstelle eines der benannten Schlusserben an dessen Stelle treten solle, hätten sie dies im Testament auch niedergeschrieben. Dem folgt das OLG Brandenburg jedoch nicht.

Oberlandesgericht: Auch Enkelkind kann erben

Das OLG: Nach einer gesetzlichen Auslegungsregel im Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 2069 BGB) ist das Enkelkind als Abkömmling seines als Schlusserben eingesetzten, vorverstorbenen Vaters an dessen Stelle als Ersatzerbe getreten. Es ist gerade keine Anwachsung des Erbteils seines vorverstorbenen Vaters auf das überlebende Kind erfolgt.

Zuwendungen an einen Abkömmling werden durch die o. g. Vorschrift im Zweifel auf dessen Abkömmlinge erstreckt, wenn der ursprünglich Bedachte nach Errichtung des Testaments weggefallen ist. § 2069 BGB ist unabhängig davon anzuwenden, ob die Abkömmlinge namentlich benannt sind oder sich die Zuwendung an diese aus anderen Formulierungen ergibt. Die namentliche Benennung der Söhne als Schlusserben ist kein hinreichender Anhaltspunkt dafür, dass die Erstreckung auf die Abkömmlinge der Bedachten dem Willen des Erblassers widerspricht.

Quelle | OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.6.2023, 3 W 41/23, Abruf-Nr. 236400 unter www.iww.de

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Mietrecht und WEG

WEG: Entscheidung über den Abschluss einer anwaltlichen Vergütungsvereinbarung

| Das Landgericht (LG) Karlsruhe hat festgestellt: Bei einer die Wohnungseigentümergemeinschaft verpflichtenden anwaltlichen Vergütungsvereinbarung muss zumindest die Person des Anwalts durch die Eigentümerversammlung bestimmt werden. Eine weitergehende Delegation an den Verwalter ist abgesehen von tatsächlich geringfügigen Vergütungsbeträgen durch Beschluss nicht möglich. |

Das war geschehen

Die Eigentümer hatten beschlossen, dem Verwalter die Befugnis zum Führen von Beschlussklagen auf Passivseite zu erteilen. Darüber hinaus durfte der Verwalter nach dem Beschluss selbst über die Auswahl eines Rechtsanwalts, den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung und die Abstimmung der Strategie entscheiden sowie darüber, ob Rechtsmittel eingelegt werden.

Entscheidungskompetenz überschritten

Das LG: Der Beschluss ist hinsichtlich der geregelten Entscheidungskompetenz des Verwalters ungültig, da er ordnungsgemäßer Verwaltung widerspricht. Denn bei einer Vergütungsvereinbarung müsse zumindest die Person des Anwalts durch die Eigentümerversammlung bestimmt werden. Auch wenn nicht genau dieser Aspekt in der Klagebegründung angeführt worden sei, sei doch im Kern innerhalb der Klagebegründungsfrist deutlich beanstandet worden, dass insbesondere wegen der Kostenmehrung diese Delegation auf die Verwalterin gerügt werde. Auch zum alten Recht habe nichts anderes gegolten: Jenseits der Streitwertvereinbarungen bedürfe es für eine sonstige („echte“) Vergütungsvereinbarung (mit Zeithonorar o.ä.) für eine Angelegenheit, die den Verband betreffe, eines Beschlusses der Wohnungseigentümer. Damit dieser den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Verwaltung entspreche, müssten (nach altem und neuem Recht) besondere Gründe vorliegen.

Ein praktischer Bedarf für Vergütungsvereinbarungen bestehe in der Regel in WEG-Sachen nicht. Hinzu komme, dass nur bei einer Abrechnung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) gewährleistet sei, dass im Obsiegensfall alle Kosten vom Gegner im Rahmen der Kostenfestsetzung erlangt werden können. Bei einer Abrechnung außerhalb des gesetzlichen Preisrechts würde sich selbst bei der Beauftragung eines Freiberuflers außerdem die Frage stellen, ob Vergleichsangebote anderer Anbieter einzuholen seien. Als besonderer Grund, der ausnahmsweise eine Vergütungsvereinbarung rechtfertigen könne (und ggf. zugleich auch die Einholung von Vergleichsangeboten entbehrlich mache), komme eine besondere fachliche Qualifikation des Rechtsanwalts, ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihm oder eine Vorbeauftragung in einer mit dem vermeintlichen Anspruch tatsächlich zusammenhängenden Angelegenheit in Betracht. Diese Gründe müssten der Ermessensentscheidung der Eigentümerversammlung zugrunde liegen und könnten auch im Beschlusstext benannt werden; jedenfalls müsse der zu beauftragende Rechtsanwalt aus dem Beschlusstext erkennbar sein. Denn insoweit bestehe ein unauflöslicher Zusammenhang zwischen seiner Person und den Gründen für eine Vergütungsvereinbarung.

Quelle | LG Karlsruhe, Urteil vom 4.9.2023, 11 S 68/22

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Mietpreisbremse: Wann verjährt der Auskunftsanspruch des Mieters?

| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in vier Verfahren entschieden, dass der Auskunftsanspruch des Mieters gegen den Vermieter nach den Vorschriften zur sogenannten Mietpreisbremse nach drei Jahren verjährt. Er hat auch klargestellt, wann die Verjährungsfrist beginnt. |

Das war geschehen

In allen Verfahren macht die Klägerin, eine in das Rechtsdienstleistungsregister eingetragene GmbH, aus abgetretenem Recht Ansprüche von Mietern, deren Wohnungen gemäß der Berliner Mietenbegrenzungsverordnung vom 28.4.2015 in einem Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt liegen, wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften zur Begrenzung der Miethöhe gegen die beklagten Vermieter geltend. Sie verlangt, Auskunft über verschiedene für die Berechnung der zulässigen Miethöhe maßgebliche Umstände zu erteilen, die Rückzahlung ihrer Ansicht nach überzahlter Miete und als Schadenersatz die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten. Die Beklagten berufen sich unter anderem auf Verjährung des Auskunftsanspruchs.

So sieht es der Bundesgerichtshof

Der BGH hat entschieden, dass der Auskunftsanspruch selbstständig und unabhängig von dem Anspruch des Mieters auf Rückzahlung überzahlter Miete innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren verjährt. Die Verjährungsfrist beginnt dabei nicht wie noch das Landgericht (LG) angenommen hatte mit der Entstehung des Auskunftsanspruchs im Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses, sondern erst mit dem Auskunftsverlangen des Mieters. Der Auskunftsanspruch kann damit vor dem Rückzahlungsanspruch verjähren.

Bei dem Auskunftsanspruch handelt es sich zwar um einen Hilfsanspruch zu dem auf Rückzahlung überzahlter Miete gerichteten Hauptanspruch des Mieters. Er unterscheidet sich aber von dem Auskunftsanspruch gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 242 BGB, „Treu und Glauben“). Letzterer verjährt grundsätzlich nicht vor dem Hauptanspruch, dem er dient. Besonders wichtig: Der Gläubiger (Mieter) wird nicht erst auf der Grundlage der Auskunft in die Lage versetzt, seinen Zahlungsanspruch zu verfolgen und durchzusetzen. Der Mieter muss in einem Rückforderungsprozess neben einer ordnungsgemäßen Rüge nur die Anwendbarkeit und die Voraussetzungen des Grundtatbestands des § 556d Abs. 1 BGB das Überschreiten der ortsüblichen Vergleichsmiete um mehr als 10 % bei Mietbeginn darlegen und gegebenenfalls beweisen. Hierfür benötigt er die Auskunft des Vermieters in der Regel nicht, welche nur die nicht allgemein zugänglichen preisbildenden Faktoren, vor allem aber die vom Vermieter in einem Rückzahlungsprozess darzulegenden und gegebenenfalls zu beweisenden, eine höhere Miete erlaubenden Ausnahmetatbestände der §§ 556e, 556f BGB umfasst.

Verjährungsfrist von drei Jahren

Die für den Auskunftsanspruch geltende regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt nicht bereits mit dessen Entstehung (Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses), sondern erst mit dem Auskunftsverlangen des Mieters. Der Gesetzgeber hat diesen Anspruch als sog. verhaltenen Anspruch ausgestaltet, bei dem der Gläubiger (hier der Mieter) die Leistung jederzeit verlangen kann, der Schuldner (hier der Vermieter) die Leistung jedoch nicht von sich aus erbringen muss. Für diese Einordnung sprechen der Wortlaut der gesetzlichen Regelung („auf Verlangen des Mieters“) sowie der Sinn und Zweck des Auskunftsanspruchs, der darin besteht, ein durch die strukturelle Unterlegenheit auf angespannten Wohnungsmärkten bedingtes Informationsdefizit des Mieters auszugleichen. Für diese Einordnung spricht außerdem die für verhaltene Ansprüche charakteristische und bei einer Abwägung der beiderseitigen Interessen von Vermieter und Mieter als unbillig empfundene Gefahr einer Anspruchsverjährung infolge des zeitlichen Auseinanderfallens von Entstehung und Geltendmachung des Anspruchs.

Quelle | BGH, Urteile vom 12.7.2023, VIII ZR 375/21, VIII ZR 8/22, VIII ZR 60/22 und VIII ZR 125/22, PM 110/23

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Verbraucherrecht

Auskunftsanspruch: Ein Patient hat das Recht, unentgeltlich eine erste Kopie seiner Patientenakte zu erhalten

| Ein Patient verlangte von seiner Zahnärztin eine Kopie seiner Patientenakte, um gegen sie Haftungsansprüche wegen Fehlern geltend zu machen, die ihr bei seiner zahnärztlichen Behandlung unterlaufen sein sollen. Die Zahnärztin forderte jedoch, dass er, wie nach deutschem Recht vorgesehen, die Kosten für die Zurverfügungstellung der Kopie der Patientenakte übernimmt. „Das geht nicht“, stellte nun der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) fest. |

Bundesgerichtshof rief Europäischen Gerichtshof an

Da der Patient der Ansicht ist, Anspruch auf eine unentgeltliche Kopie zu haben, rief er die deutschen Gerichte an. Unter diesen Umständen hatte der Bundesgerichtshof (BGH) beschlossen, dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Denn nach Auffassung des BGH hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts, nämlich der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), ab.

Erste Kopie muss kostenlos sein

In seinem Urteil sagt der EuGH: In der DSGVO ist das Recht des Patienten verankert, eine erste Kopie seiner Patientenakte zu erhalten, und zwar grundsätzlich, ohne dass ihm hierdurch Kosten entstehen. Der Verantwortliche kann ein solches Entgelt nur verlangen, wenn der Patient eine erste Kopie seiner Daten bereits unentgeltlich erhalten hat und erneut einen Antrag auf diese stellt.

Patient muss seinen Wunsch nicht begründen

Die betreffende Zahnärztin ist als Verantwortliche für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten ihres Patienten anzusehen. Als solche ist sie verpflichtet, ihm eine erste Kopie seiner Daten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Der Patient ist nicht verpflichtet, seinen Antrag zu begründen.

Umfassende Auskunft

Selbst mit Blick auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Behandelnden dürfen die nationalen Regelungen dem Patienten nicht die Kosten einer ersten Kopie seiner Patientenakte auferlegen. Des Weiteren hat der Patient das Recht, eine vollständige Kopie der Dokumente zu erhalten, die sich in seiner Patientenakte befinden, wenn dies zum Verständnis der in diesen Dokumenten enthaltenen personenbezogenen Daten erforderlich ist. Dies schließt Daten aus der Patientenakte ein, die Informationen, wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen enthalten.

Quelle | EuGH, Urteil vom 26.10.2023, C-307/22, PM 161/23

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Haftungsfrage: Hund gerettet und auf Schaden sitzengeblieben

| Wer seinen Hund aus einer Rauferei rettet, handelt auf eigene Gefahr. Für Schäden muss man zum großen Teil selbst aufkommen, entschied jetzt das Landgericht (LG) Lübeck. |

Ein Mann führte seinen Schäferhund spazieren. Eine andere Hundehalterin ging mit ihrem Labrador Gassi. Die Hunde begegneten sich, es kam zur Rauferei. Der Mann wollte die Hunde trennen und ging dazwischen. Er trat einen Hund, kam zu Fall und wurde verletzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte.

Vor dem LG verlangte der Mann Schadenersatz. Seine Begründung: Der Labrador habe knurrend und im Galopp einen Angriff gestartet. Die Hundehalterin entgegnete: Zu Beginn hätten die Hunde spielend gerauft. Durch das Eingreifen des Mannes sei die Situation eskaliert.

Musste die Hundehalterin für die Schäden aufkommen? Nur zum Teil, entschied das LG. Die Hundehalterin sei zwar verantwortlich für ihren Hund. Der Mann habe zu seinen Verletzungen aber selbst beigetragen. Als er versuchte, die Hunde zu trennen, habe er sich selbst in Gefahr gebracht. Das Gericht habe nicht sicher feststellen können, ob dieses Verhalten unbedingt notwendig war. Für Dreiviertel der Schäden könne der Mann daher keinen Ersatz verlangen.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Quelle | LG Lübeck, Urteil vom 9.8.2023, 5 O 146/22, PM vom 22.8.2023

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Reiserücktrittsversicherung: Anspruch auf Ersatz der Stornokosten bei geplatzter Urlaubsreise

| Im Streit um Leistungen aus einem Reiserücktrittsversicherungsvertrag verurteilte das Amtsgericht (AG) München eine Versicherung, die für die Stornierung einer Pauschalreise angefallenen Kosten von 1.128 Euro zu zahlen. |

Das war geschehen

Die Freundin der Klägerin hatte für sich und die Klägerin eine fünftägige Pauschalreise nach Ibiza für September 2021 zu einem Gesamtpreis von 1.410 Euro gebucht und bei der Beklagten für beide eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen.

Die Versicherungsbedingungen der Beklagten enthielten folgende Bestimmungen: „Ihr Service-Plus in der Stornokosten-Versicherung: Ist Ihre Reise aufgrund von Krankheit, Unfall oder aus anderen Gründen gefährdet? Sind Sie sich unsicher, ob Sie Ihre Reise antreten können oder doch stornieren müssen? Unsere telefonische Stornoberatung gibt Ihnen hier die richtige Empfehlung. (…) 2.2 Wir unterstützen Sie bei der Entscheidung, ob und wann Sie ihre Reise stornieren sollten. (…) 14.3 Haben Sie die medizinische Stornoberatung eingeschaltet und A) empfiehlt diese, die Reise zu stornieren? Dann sind Sie verpflichtet, ihre Reise unverzüglich zu stornieren. …“

Bei der seit dem Jahr 2017 an Morbus Basedow leidenden Klägerin wurde kurz vor Reisebeginn ein Knoten im Bereich der Schilddrüse festgestellt und als frühester Termin für die weitere medizinische Abklärung der Tag vor der geplanten Abreise angeboten. Die Ärztin der von der Klägerin daraufhin in Anspruch genommenen Medizinischen Stornoberatung der Beklagten riet telefonisch zur Stornierung der Reise, was beide umgehend taten.

Die Versicherung verweigerte den von der Klägerin geltend gemachten Ersatz der Stornokosten und vertrat die Auffassung, die von ihr angebotene Medizinische Stornoberatung würde nur in Bezug auf den Zeitpunkt der Stornierung beraten. Über die grundsätzliche Frage, ob überhaupt ein versichertes Ereignis vorläge, würde jedoch erst im Rahmen der Schadenbearbeitung befunden und entschieden.

So sah es das Amtsgericht

Das Gericht gab der Klage vollumfänglich statt und begründete dies wie folgt: Die Klägerin hat gegen die Versicherung einen Anspruch auf Erstattung der Stornierungskosten gemäß der zwischen den Parteien geschlossenen Reiserücktritts-Versicherung in Verbindung mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (hier: § 242 BGB). Die Versicherung muss sich an dem festhalten lassen, was die Ärztin der Medizinischen Stornoberatung der Klägerin in dem Telefongespräch am 13.9.2021 geraten hat.

Widersprüchliches Verhalten war hier missbräuchlich

Zwar darf eine Partei ihre Rechtsansicht durchaus ändern, missbräuchlich ist widersprüchliches Verhalten aber, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Es muss objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens vorliegen, weil das frühere Verhalten mit dem späteren unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig sind. Ein Verschulden ist nicht erforderlich. Die Versicherung hat mit ihrer Beratung gegenüber der Klägerin einen Vertrauenstatbestand geschaffen, dass die Stornierung der Reise den vertraglichen Voraussetzungen der Reiserücktrittsversicherung entspricht.

Versicherung hielt sich selbst nicht an die eigenen Empfehlungen

Aus Sicht des Gerichts ist höchst fraglich, warum die Beklagte den Versicherungsnehmern ihre Medizinische Stornoberatung als Entscheidungsgrundlage empfiehlt, wenn sie selbst meint, sich an die Empfehlungen ihrer eigenen Beratung nicht halten zu müssen. Die Empfehlung der Medizinischen Stornoberatung zur unverzüglichen Stornierung der Reise ist mithin unvereinbar mit der späteren Verweigerung der Kostenübernahme durch die Versicherung mit der Begründung, es habe keine schwere unerwartete Erkrankung zum Stornierungszeitpunkt vorgelegen.

Vertrauen gegenüber der Medizinischen Stornoberatung

Das Vertrauen der Klägerin in die Empfehlung der Medizinischen Stornoberatung ist auch schutzwürdig. Die Klägerin konnte und durfte darauf vertrauen, dass die Ärztin der Medizinischen Stornoberatung sie richtig sowohl im Hinblick auf den Zeitpunkt der Stornierung als auch im Hinblick darauf, ob ein Stornierungsgrund vorliegt, berät.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle | AG München, Urteil vom 16.2.2023, 122 C 7243/22, PM 25/23

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Bürgergeld: Hundehaltung gehört nicht zum Existenzminimum

| Das von den Jobcentern ausgezahlte Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) dem sogenannten Hartz IV und jetzigen Bürgergeld soll für die Leistungsberechtigten das Existenzminimum sicherstellen. Was zu dem auch schon durch das Grundgesetz (GG) geschützten Existenzminimum gehört und was nicht, ist dabei immer wieder Gegenstand von Sozialgerichtsverfahren so auch in einem aktuellen Verfahren des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg. |

Hund als Familienersatz beantragt

Dort wollte ein seit 2005 im Bezug von Arbeitslosengeld II stehender Kläger die Kostenübernahme für die Anschaffung und Haltung eines Hundes durch das zuständige Jobcenter erreichen. Er benötige einen Begleithund als soziale Unterstützung während und insbesondere nach der Corona-Pandemie, um die schweren Folgen sozialer und finanzieller Isolation zu kompensieren, Tagesstrukturen zu entwickeln und soziale Kontakte/Teilhabe zu erlangen, die rund um die Uhr im Wohn- und Außenbereich bestünden. Ihm sei daher der dauerhafte Sozialkontakt zu einem Begleithund auf Lebenszeit als Familienersatz zu gewähren. Die Kosten bezifferte er mit 2.000 Euro für die Anschaffung eines Hundes sowie monatlich 200 Euro für laufende Kosten wie Futter und Hundesteuer.

Kein Mehrbedarf wegen Tierhaltung

Damit blieb der Kläger jedoch vor dem LSG wie schon zuvor vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart erfolglos. Denn eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für einen Mehrbedarf wegen Tierhaltung sieht das SGB II nicht vor. Das Gericht stellte nicht infrage, dass die Haltung eines Hundes dem Kläger eine Art soziale Zuwendung bzw. Familienersatz bieten und für die Aufrechterhaltung einer Tagesstruktur hilfreich sein kann. Dies änderte jedoch nichts an dem Umstand, dass Hundehaltung nicht zu dem vom SGB II zu gewährleistenden Existenzminimum gehört.

Keine außergewöhnliche Lebenssituation…

Auch einen besonderen Bedarf, der ausnahmsweise die begehrte Leistung rechtfertigen könnte, vermochte das LSG schon deshalb nicht zu erkennen, weil es in der Hand des Klägers selbst liegt, diesen Bedarf zu steuern: Anders als beispielsweise bei bestimmten Erkrankungen mit dauerhaft erhöhtem Hygienebedarf, die ggf. zwingend anfallen und für die eine Übernahme der Kosten als möglich angesehen wird, kann der Kläger die Kosten einer Hundehaltung dadurch vermeiden, dass er sich eben keinen Hund anschafft. Die Pflege sozialer Kontakte sowohl zu Hunde- als auch zu Nichthundebesitzern in seinem Wohnumfeld ist ihm unabhängig davon, ob er selbst einen Hund besitzt, uneingeschränkt möglich. Der Kläger befindet bzw. befand sich auch unter Berücksichtigung der coronabedingten Isolationsvorschriften nicht in einer außergewöhnlichen Lebenssituation, in der ohne die Bedarfsdeckung (Hundehaltung) verfassungsrechtlich geschützte Güter gefährdet werden.

… und keine Gefährdung der Gesundheit

Eine konkrete und unmittelbare Gefährdung der Gesundheit des Klägers war ebenfalls nicht zu erkennen. Sie wurde auch vom Kläger ausdrücklich nicht geltend gemacht, denn er hat sich bewusst nicht an seine Krankenkasse gewandt, weil er nach seinem eigenen Vortrag keine „medizinische“ Leistung in Form eines „Psychotherapie-Assistenzhunds“ braucht, sondern einen „Begleithund“ als „Sozialkontakt-Hilfe“.

Quelle | LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.6.2023, L 9 AS 2274/22, PM vom 31.7.2023

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Verkehrsrecht

Verhüllungsverbot: Keine Ausnahmegenehmigung zum Tragen eines Gesichtsschleiers im Straßenverkehr

| Das Verwaltungsgericht (VG) Neustadt an der Weinstraße hat die Klage einer Muslimin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Verhüllungsverbot der Straßenverkehrsordnung zum Tragen eines Gesichtsschleiers (Niqab) beim Autofahren als unbegründet abgewiesen. Im Gegensatz zu einem aus religiösen Gründen getragenen Kopftuch (Hijab) verhüllt ein sogenannter Niqab nicht nur die Haare sowie ggf. den Hals-, Schulter und Brustbereich, sondern auch das Gesicht mit Ausnahme der Augenpartie. |

Gesicht darf nicht verhüllt werden

Die Klägerin stellte am 19.7.2021 bei dem Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Verhüllungsverbot (§ 23 Abs. 4 S. 1 StVO). Danach darf, wer ein Kraftfahrzeug führt, sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist. Der Antrag wurde abgelehnt. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren der Klägerin erhobene Klage hat das VG jetzt abgewiesen. Der religiös begründete Wunsch der Klägerin, während des Führens eines Kraftfahrzeugs der Fahrerlaubnisklasse „B“ einen Niqab zu tragen, eröffne keinen Anspruch auf die begehrte straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung von dem bestehenden Verhüllungsverbot.

Verhüllungsverbot mit dem Grundgesetz vereinbar

Das Verhüllungsverbot sei mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Im typischen Anwendungsfall betreffe das Verhüllungsverbot in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 GG) der Fahrzeugführer und Fahrzeugführerinnen. Werde das Tragen einer Kopfbedeckung als religiöses Symbol verstanden, komme daneben zwar auch die Religionsfreiheit in Betracht. Das Verhüllungsverbot führe jedoch nicht zu einer gezielten oder den Schutzbereich der Religionsfreiheit unmittelbar betreffenden Beschränkung. Dadurch, dass § 23 Abs. 4 S. 1 StVO das Tragen eines Niqabs nicht schlechthin verbiete, sondern eine generelle Anordnung nur für bestimmte Bereiche des Straßenverkehrs darstelle, werde die Religionsausübung nur in einer eng begrenzten und für die Religionsfreiheit typischerweise nicht wesentlichen Lebenssituation eingeschränkt.

Keine Beeinträchtigung des Grundrechts auf freie Religionsausübung

Die Voraussetzungen einer Befreiung vom Verhüllungsverbot lägen nicht vor. Insbesondere könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass durch die Ablehnung ihres Antrags überragende Rechtsgüter verletzt würden. Eine schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigung durch die Ablehnung der begehrten Ausnahmegenehmigung sei nicht anzuerkennen. Deren Erteilung stünden im Rahmen der Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen im Gegenteil hochrangige Rechtsgüter in Form der Verkehrssicherheit, des Schutzes von Leib und Leben sowie der körperlichen Unversehrtheit Dritter entgegen. Insbesondere gewährleiste das Verhüllungsverbot die Feststellbarkeit der Identität von Kraftfahrzeugführern bei automatisierten Verkehrskontrollen, um diese bei Rechtsverstößen heranziehen zu können. Die repressive Verfolgung diene zugleich präventiv der Abwehr künftiger Verkehrsverstöße. Durch die Ablehnung des Antrags sei die Klägerin auch nicht in Art. 3 GG verletzt, da das Verhüllungsverbot religions- und geschlechtsunabhängig gelte. Die Ablehnung sei auch verhältnismäßig. Insbesondere sei das Ziel des Verhüllungsverbots angesichts der Missbrauchsmöglichkeiten nicht durch eine Fahrtenbuchauflage oder andere Vorkehrungen zu erreichen.

Gegen das Urteil kann Antrag auf Zulassung der Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz gestellt werden.

Quelle | VG Neustadt, Urteil vom 26.7.2023, 3 K 26/23.NW, PM 16/23

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Verkehrsverstöße: Voraussetzungen einer Fahrtenbuchauflage

| Eine Fahrtenbuchauflage kommt für den Fahrzeughalter nur in Betracht, wenn es nach einem Verkehrsverstoß unmöglich oder unzumutbar ist, den Täter festzustellen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat in zwei Entscheidungen dazu Stellung genommen, wann die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass ein Fahrtenbuch angeordnet werden darf: |

Fahrtenbuchauflage „kassiert“: Ermittlungen waren nicht umfassend genug

In dem einen Fall hat das OVG die Fahrtenbuchauflage aufgehoben. Mit Blick darauf, dass vieles etwa ein klares Tatfoto und die Zeugnisverweigerung der klagenden Halterin des Pkw für einen Täter aus dem Familienkreis gesprochen habe, hätte die Behörde bei der Meldebehörde mögliche, den Tätermerkmalen entsprechende Familienangehörige unter derselben Anschrift wie die Klägerin ermitteln müssen. Auf Grundlage dieser Information hätten dann womöglich deren Lichtbilder aus dem Personalausweisregister für einen Fotoabgleich angefordert werden können. Dies wäre ohne nennenswerten Aufwand möglich gewesen. Es sei in Verfahren dieser Art regelmäßig üblich und hätte im konkreten Fall zu einem Tatverdacht gegen den Sohn der Klägerin geführt.

Keine ausreichende Überzeugung der Täterschaft

In dem anderen Verfahren hat das OVG ausgeführt: Die Feststellung eines Fahrzeugführers ist auch dann unmöglich, wenn die Ermittlungen auf einen bestimmten Täter hindeuten und eine Person ernsthaft verdächtig ist, die Behörde jedoch keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft des Verdächtigen gewinnen konnte. Nichts anderes gilt, wenn zwar die Bußgeldbehörde einen Bußgeldbescheid erlassen hat, dann allerdings im Zwischenverfahren das Verfahren einstellt, da letztlich doch keine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft gewonnen werden konnte.

Abzustellen ist dabei, so das OVG, auf das im Ordnungswidrigkeitenverfahren erforderliche Maß der Überzeugung. Ist die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich, kommt es nicht darauf an, ob der Fahrzeughalter seine Mitwirkungspflicht erfüllt hat, indem er alle ihm möglichen Angaben gemacht hat, oder ob ihn ein Verschulden an der Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers trifft. Denn die Fahrtenbuchauflage hat eine präventive und keine strafende Funktion.

In jedem Fall muss die Bußgeldbehörde alle nach den Umständen des Einzelfalls angemessenen und zumutbaren Maßnahmen treffen. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können.

Es lag eine Verwechslung vor

Das hat das OVG hier wegen einer erkennbaren Verwechslung des Vor- und Nachnamens des vom Fahrzeughalter benannten Fahrzeugführers verneint.

Quelle | OVG Münster, Urteile vom 31.5.2023, 8 A 2361/22, Abruf-Nr. 236227 unter www.iww.de und vom 3.5.2023, 8 B 185/23, Abruf-Nr. 236226 unterwww.iww.de

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Haftung: Wenn der Poser sein Fahrzeugheck ausbrechen lässt …

| Lässt der Fahrer des beim zweispurigen Linksabbiegen links fahrenden Fahrzeugs das Heck mit Absicht driftend ausbrechen, tritt bei der dadurch verursachten Kollision mit dem rechts daneben abbiegenden Fahrzeug dessen Betriebsgefahr vollständig zurück. So entschied es das Amtsgericht (AG) Ulm. |

Der Unfallverursacher hatte zeitnah vor dem Unfallgeschehen auf einem Supermarktparklatz „Burnouts“ gefahren. Dann hatte er den Parkplatz auf die Straße fahrend driftend verlassen. Daraus schloss das Gericht basierend auf einem Sachverständigengutachten auf die Absicht, auch beim Abbiegen das Heck ausbrechen zu lassen.

Quelle | AG Ulm, Urteil vom 22.6.2023, 6 C 1429/22, Abruf-Nr. 236561 unter www.iww.de

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Trunkenheitsfahrt: E-Scooter: Führerschein im Regelfall weg, aber Ausnahmen möglich

| Das Landgericht (LG) Osnabrück hat im Rahmen eines Berufungsverfahrens über die Frage entschieden, ob bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. |

Amtsgericht: fünfmonatiges Fahrverbot

Erstinstanzlich sah das Amtsgericht (AG) Osnabrück von der Entziehung der Fahrerlaubnis ab. Es sprach indes ein Fahrverbot von fünf Monaten aus. Hiergegen richtete sich die Berufung der Staatsanwaltschaft.

Gesamtschau: hohe Anforderung an Ausnahme

Das LG hat nun betont: Nach höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung könne bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis entzogen werden. Dies stelle hierbei den Regelfall dar. Ob eine Ausnahme bestehe, sei durch eine Gesamtschau zu ermitteln. Höchstrichterlich würden an die Annahme einer solchen Ausnahme sehr hohe Anforderungen gestellt.

Ausnahme hier gegeben

Hier lag nach Ansicht des LG ein solcher Ausnahmefall vor. Der Angeklagte habe beabsichtigt, nur eine äußerst kurze Strecke rund 150 Meter mit dem E-Scooter zu fahren. Er habe nicht nur sein Verhalten bereut und sich hierfür entschuldigt, sondern auch seinen Worten Taten folgen lassen, indem er an einem verkehrspädagogischen Seminar teilgenommen und mit medizinischen Gutachten im Rahmen der wissenschaftlichen Erkenntnisse nachgewiesen habe, dass er in den vergangenen Monaten keinen Alkohol getrunken habe. Das LG ging daher davon aus, dass der Angeklagte nun geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr sei, mithin eine Ausnahme vom Regelfall vorliege.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle | LG Osnabrück, Urteil vom 17.8.2023, 5 NBs 59/23, PM 30/23

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Steuerrecht

Zusammenrechnung: Frühere Erwerbe: Festgestellter Grundstückswert ist auch für künftige Schenkungen bindend

| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass ein für Zwecke der Schenkungsteuer gesondert festgestellter Grundbesitzwert für alle Schenkungsteuerbescheide bindend ist, bei denen er in die steuerliche Bemessungsgrundlage einfließt. Das gilt auch für die Berücksichtigung früherer Erwerbe nach dem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (hier: § 14 Abs. 1 ErbStG), d. h. bei einer Schenkung, die innerhalb von zehn Jahren nach der ersten Schenkung erfolgt. |

Das war geschehen

Der Vater hatte seinem Sohn im Jahr 2012 einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück ge-schenkt. Das Finanzamt hatte den Grundbesitzwert festgestellt und der Besteuerung zugrunde gelegt. Schenkungsteuer fiel aber nicht an, weil der Grundstückswert (87.392 Euro) unter dem Freibetrag für Kinder (400.000 Euro) lag.

2017 erhielt der Sohn vom Vater eine weitere Schenkung i. H. von 400.000 Euro. Da mehrere inner-halb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile zusammenzurechnen sind (§ 14 Abs. 1 ErbStG), ermittelte das Finanzamt einen Gesamtbetrag für beide Schenkungen und setzte Schenkungsteuer von rund 10.000 Euro fest. Dabei berücksichtigte das Finanzamt den Vorerwerb mit 87.392 Euro.

Sohn „rührte sich nicht“, da keine Schenkungsteuer anfiel

Der beschenkte Sohn meinte, dass der damals festgestellte Wert zu hoch und deshalb nun nach unten zu korrigieren sei. Bei der Schenkung im Jahr 2012 habe er sich nur deshalb nicht gegen den falschen Grundstückswert gewendet, weil die Schenkungsteuer ohnehin mit 0 Euro festgesetzt worden sei. Erfolgreich war er mit dieser Sichtweise bzw. Begründung aber nicht.

Grundstückswerte sind im Gegensatz zu Werten sonstiger Schenkungsgegenstände (beispielsweise Geld) für Zwecke der Schenkungsteuer in einem eigenen Verfahren gesondert festzustellen.

Die „Quittung“ kam später

Der festgestellte Wert entfaltet Bindungswirkung für alle Schenkungsteuerbescheide, bei denen er in die Bemessungsgrundlage einfließt. Das gilt auch für die Berücksichtigung eines früheren Erwerbs nach § 14 Abs. 1 ErbStG.

Beachten Sie | Hält der Steuerpflichtige den festgestellten Grundstückswert für zu hoch, muss er sich sogleich gegen diese Feststellung wenden. Macht er dies nicht und wird der Bescheid über den festgestellten Wert bestandskräftig, kann der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit bei den nachfolgenden Schenkungsteuerfestsetzungen nicht mehr mit Erfolg geltend machen.

Quelle | BFH, Urteil vom 26.7.2023, II R 35/21, Abruf-Nr. 237663 unter www.iww.de, PM Nr. 39/23 vom 12.10.2023

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Gewinnerzielungsabsicht: Selbstständige: In diesen Fällen sind Verluste in der Anlaufphase anzuerkennen

| Ein selbstständiger Unternehmensberater erzielt Einkünfte aus selbstständiger Arbeit. Nach Ansicht des Finanzgerichts (FG) Münster waren die erklärten Verluste innerhalb der Anlaufphase von fünf Jahren im Streitfall anzuerkennen, weil der Berater ein belastbares und dem Grunde nach geeignetes Betriebskonzept vorgelegt hat, um zukünftig Gewinne zu erwirtschaften. Zudem konnte er darlegen, dass er Maßnahmen zur Erzielung von Gewinnen ergriffen hat. |

Ob Steuerpflichtige mit Gewinnerzielungsabsicht handeln, ist gerade bei Aufnahme einer Tätigkeit nicht immer eindeutig zu erkennen. Gegen die Annahme einer Gewinnerzielungsabsicht spricht das Vorliegen persönlicher Beweggründe zur Fortführung der verlustbringenden Tätigkeit (Steuern sparen) oder wenn Steuerpflichtige eine verlustbringende Tätigkeit aus im Bereich ihrer Lebensführung liegenden persönlichen Neigungen ausüben.

Fehlt es an typischerweise persönlichen Motiven, spricht der Beweis des ersten Anscheins für die Annahme einer Gewinnerzielungsabsicht, wenn die Betriebsführung so eingerichtet ist, dass der Betrieb nach seiner Wesensart und der Art seiner Bewirtschaftung auf Dauer dazu geeignet und bestimmt ist, mit Gewinn zu arbeiten. Bei dauernden Verlusten ist nicht per se von Liebhaberei auszugehen. Zu prüfen ist, ob Steuerpflichtige Maßnahmen zur Steigerung der Rentabilität des Betriebs ergriffen haben.

Beachten Sie | Grundsätzlich werden Verluste während einer Anlaufphase anerkannt, es sei denn, es steht von vornherein fest, dass nachhaltig keine Gewinne erzielt werden können. Die Dauer einer solchen Anlaufphase ist je nach der Eigenart des neu aufgebauten Betriebs festzulegen, wobei ein Zeitraum von weniger als fünf Jahren nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt.

Quelle | FG Münster, Urteil vom 13.6.2023, 2 K 310/21 E, Abruf-Nr. 236810 unter www.iww.de

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Firmenwagen: Ohne arbeitsvertragliche Regelung mindern Garagenkosten den geldwerten Vorteil nicht

| Die vom Arbeitnehmer für seine Garage getragene Absetzung für Abnutzung mindert den geldwerten Vorteil aus der Überlassung eines betrieblichen Arbeitgeber-Fahrzeugs zur außerdienstlichen Nutzung nicht. Dies gilt nach einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zumindest dann, wenn keine rechtliche Verpflichtung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber besteht, das Fahrzeug in der Garage unterzustellen. |

Das Urteil des BFH macht deutlich: Für eine Vorteilsminderung ist es erforderlich, dass Kosten vom Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber „übernommen“ werden, was eine arbeitsvertragliche oder andere arbeits- oder dienstrechtliche Vereinbarung über die Kostentragung erfordert. Der Arbeitgeber muss für eine bestimmte nutzungsabhängige Aufwendung verlangen, dass sie getätigt wird, und der Arbeitnehmer muss sich verpflichten, diese zu tragen.

Quelle | BFH, Urteil vom 4.7.2023, VIII R29/20, Abruf-Nr. 237109 unter www.iww.de

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Außergewöhnliche Belastungen: Kosten für die Unterbringung in einer Pflegewohngemeinschaft

| Aufwendungen für die krankheits-, pflege- und behinderungsbedingte Unterbringung in einer dem jeweiligen Landesrecht unterliegenden Pflegewohngemeinschaft können steuermindernd als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sein. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden. |

Das war geschehen

Im Streitfall wohnte der schwerbehinderte (Grad der Behinderung 100) und pflegebedürftige (Pflegegrad 4) Steuerpflichtige gemeinsam mit anderen pflegebedürftigen Menschen in einer Pflegewohngemeinschaft, deren Errichtung und Unterhaltung dem Wohn- und Teilhabegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (WTG NW) unterfiel. Dort wurde er rund um die Uhr von einem ambulanten Pflegedienst und Ergänzungskräften betreut, gepflegt und hauswirtschaftlich versorgt.

Steuerzahlerfreundliche Urteile

Die Aufwendungen für die Unterbringung (Kost und Logis) in der Pflegewohngemeinschaft machte der Steuerpflichtige in seiner Einkommensteuererklärung als außergewöhnliche Belastungen geltend. Das Finanzamt lehnte das allerdings ab, weil diese Aufwendungen nur bei einer vollstationären Heimunterbringung abzugsfähig seien. Das Finanzgericht (FG) Köln und der BFH beurteilten den Sachverhalt jedoch anders.

Der BFH stellte klar, dass Aufwendungen für die krankheits- oder pflegebedingte Unterbringung in einer dafür vorgesehenen Einrichtung grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig sind.

Versorgungsleistungen müssen in den jeweiligen Räumlichkeiten erbracht werden

Dies gilt nicht nur für Kosten der Unterbringung in einem Heim i. S. des Heimgesetzes (§ 1 HeimG), sondern auch für Kosten der Unterbringung in einer Pflegewohngemeinschaft, die dem jeweiligen Landesrecht unterfällt. Ausschlaggebend ist allein, dass die Pflegewohngemeinschaft (ebenso wie das Heim) in erster Linie dem Zweck dient, ältere oder pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Behinderung aufzunehmen und ihnen Wohnraum zu überlassen, in dem die notwendigen Betreuungs-, Pflege- und Versorgungsleistungen erbracht werden.

Unterkunft und Leistungen müssen nicht „aus einer Hand“ sein

Die Abzugsfähigkeit der Unterbringungskosten knüpft nicht daran an, dass dem Steuerpflichtigen (wie bei der vollstationären Heimunterbringung) Wohnraum und Betreuungsleistungen „aus einer Hand“ zur Verfügung gestellt werden. Ausreichend ist, wenn er als (Mit-)Bewohner einer Pflegewohngemeinschaft neben der Wohnraumüberlassung von externen (ambulanten) Leistungsanbietern (gemeinschaftlich organisiert) Betreuungs-, Pflege- und Versorgungsleistungen in diesen Räumlichkeiten bezieht.

Beachten Sie | Allerdings sind auch krankheits- oder pflegebedingt anfallende Kosten nur insoweit abzugsfähig, als sie zusätzlich zu den Kosten der normalen Lebensführung anfallen. Deshalb waren die tatsächlich angefallenen Unterbringungskosten im Streitfall um eine sogenannte Haushaltsersparnis zu kürzen.

Quelle | BFH, Urteil vom 10.8.2023, VI R 40/20, Abruf-Nr. 237867 unter www.iww.de, PM Nr. 40/23 vom 19.10.2023

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Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht

Gewerbesteuer-Hinzurechnung: Aufwendungen für die Überlassung von Ferienimmobilien

| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat aktuell entschieden, dass Aufwendungen, die ein Ferienimmobilienanbieter tätigt, damit ihm die Eigentümer von Ferienimmobilien diese zur Vermietung an Reisende überlassen, als Mieten zu qualifizieren sein können und somit zu einer gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnung zum Gewinn führen. |

Hintergrund: Ausgangsgröße für die Gewerbesteuer ist der Gewerbeertrag. Dies ist der nach den Vorschriften des Einkommen- oder Körperschaftsteuergesetzes ermittelte Gewinn aus dem Gewerbebetrieb. Für gewerbesteuerliche Zwecke sind jedoch Hinzurechnungen und Kürzungen zu berücksichtigen. Beispielsweise sind dem Gewinn nach dem Gewerbesteuergesetz (hier: §8 Nr. 1 Buchst. e GewStG) anteilig wieder hinzuzurechnen: Miet- und Pachtzinsen (einschließlich Leasingraten) für die Benutzung der unbeweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen.

Das war geschehen

Die Klägerin, eine Verwaltungs- und Beteiligungs-Gesellschaft mbH, war im Streitjahr 2010 zu 100 % an einer Firma beteiligt, die Reisenden Ferienimmobilien über Kataloge, eine Internet-Plattform und über Vermittler, wie zum Beispiel Reisebüros, anbot. Zudem war die Klägerin Organträgerin der Firma, weshalb ihr das Ergebnis der Organgesellschaft steuerlich zugerechnet wurde.

Mit seinen Reisekunden schloss die Firma in eigenem Namen und für eigene Rechnung Ferienhaus- bzw. Ferienwohnungsverträge zu einem Gesamtpreis ab, in dem der an den jeweiligen Eigentümer der Immobile zu zahlende Preis und ein Aufschlag (Marge) für die Firma enthalten war.

Außenprüfung des Finanzamts kam zu richtigem Ergebnis

Das Finanzamt kam nach einer Außenprüfung zu dem Ergebnis, dass es sich bei den von der Firma an die Eigentümer der Objekte gezahlten Entgelten um Mieten gehandelt habe, die dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzuzurechnen seien. Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg wies die dagegen gerichtete Klage zurück und zwar zu Recht, wie der BFH befand.

Mietverhältnis lag vor

Für eine Hinzurechnung muss der Nutzungsvertrag seinem wesentlichen rechtlichen Gehalt nach ein Mietverhältnis im Sinne des bürgerlichen Rechts sein. Dies war im Streitfall gegeben, da die Hauptleistungspflicht der Eigentümer in der Gebrauchsüberlassung der Ferienimmobilien und die Hauptleistungspflicht der Firma in der Zahlung eines Mietzinses bestand.

Zwar kann ein Ferienimmobilienanbieter auch bloß als Vermittler zwischen den Eigentümern und den Reisenden tätig werden. Die Firma war jedoch keine Vermittlerin, da sie eine Vielzahl von Objekten im eigenen Namen anbot, ohne auf den jeweiligen Eigentümer des Ferienobjekts hinzuweisen.

Beachten Sie | Zudem hatte die Firma gegen die Ferienimmobilienanbieter keine Provisionsansprüche, sondern musste umgekehrt den Eigentümern Entgelte für die Überlassung der Objekte bezahlen.

Quelle | BFH, Urteil vom 17.8.2023, IIII R 59/20, Abruf-Nr. 237982 unter www.iww.de; PM Nr. 41/23 vom 26.10.2023

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Betrug: Hackerangriff bei Autokauf: Käufer muss zweimal zahlen

| Ein Autokäufer fiel auf eine gefälschte Mail herein. Infolgedessen zahlte er den Kaufpreis für ein Auto auf ein Konto des Betrügers und nicht auf das des Autohändlers. Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe entschied nun: Will der Käufer das Auto tatsächlich erwerben, muss er noch einmal zahlen. |

Autokauf am Telefon

Der Autokäufer war Geschäftsführer eines Unternehmens. Er kaufte den Pkw telefonisch. Mit dem Autohändler vereinbarte er, dass dieser ihm die Rechnung per E-Mail zusenden sollte.

Käufer bekam zwei E-Mails

Nun bekam der Käufer zwei E-Mails mit derselben Rechnung. Zunächst schickte der Geschäftsführer des Autohauses die Rechnung, wie gewünscht, an den Käufer. Im Kopfbereich der Rechnung sowie in der Fußzeile war ein Konto bei einer Sparkasse als Empfängerkonto angegeben. Kurze Zeit später erhielt der Käufer eine weitere E-Mail von der E-Mail-Adresse des Autohauses mit einer neuen Rechnung im Anhang. Hierin war nur in der Fußzeile, der Kopfbereich wies unverändert das vorgenannte Konto der Klägerin bei der o. g. Sparkasse aus ein anderes Empfängerkonto bei einer anderen Bank eines privaten Kontoinhabers angegeben. Die Beklagte überwies den Kaufpreis auf das letztgenannte Konto.

Rund zehn Tage später forderte das Autohaus den Käufer auf, den Kaufpreis zu zahlen. Da stellte sich heraus, dass die zweite E-Mail aufgrund eines „Hackerangriffs“ von einer unbefugten dritten Person versandt worden war und dass die in der Fußzeile dieser E-Mail angehängte Rechnung sowie die Bankverbindung keine des Autohauses waren. Der Käufer lehnte eine zweite Zahlung ab, daraufhin verklagte ihn das Autohaus.

Falsche Kontoüberweisung: Keine Leistung erbracht

Das OLG: Das Geld floss auf ein Konto, das dem Verkäufer nicht gehörte, und habe dort den sog. Leistungserfolg nicht herbeiführen können.

Autohaus muss keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen treffen

Das OLG sah keine Pflicht des Autohändlers, besondere Vorkehrungen gegen einen Hackerangriff zu treffen.

Das Argument des Käufers, die Zahlung auf das falsche Konto habe letztlich der Autohändler verursacht, ließ es nicht gelten: Der Käufer könne nicht erwarten, dass die die Rechnung enthaltende PDF-Datei verschlüsselt werde. Dies sei im Geschäftsverkehr unüblich. Gleiches gelte für eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung.

Auch darüber hinaus sah das OLG keine Pflichtverstöße des Autohändlers.

Quelle | OLG Karlsruhe, Urteil vom 27.7.2023, 19 U 83/22

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Referentenentwurf: Digitalisierung bei Genossenschaften soll gestärkt werden

| Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat ein Eckpunktepapier eines Referentenentwurfs für ein Gesetz zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform veröffentlicht. |

Die deutschen Genossenschaften stellen mit ihren 23,5 Millionen Mitgliedern einen wichtigen Teil der deutschen Wirtschaft dar. Insbesondere für die weitere Digitalisierung bei den Genossenschaften sollen verbesserte Rahmenbedingungen geschaffen werden. Bereits im letzten Jahr sind zwei wesentliche Rechtsänderungen in Kraft getreten. Durch Regelungen über alternative Formen der General- und Vertreterversammlung wurden bereits rein virtuelle Versammlungen ermöglicht. Darüber hinaus wurden Regelungen über Anmeldungen zum Genossenschaftsregister mittels Videokommunikation im notariellen Online-Verfahren geschaffen.

Der nun geplante Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der genossenschaftlichen Rechtsform soll nach dem Eckpunktepapier folgende drei Regelungsbereiche umfassen:

Förderung der Digitalisierung bei Genossenschaften

Zur Förderung der Digitalisierung sollen insbesondere die meisten Schriftformerfordernisse des Genossenschaftsgesetzes (GenG) zugunsten der Textform abgeschafft werden. Die Schriftform soll nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme sein. Weitere Vorschläge betreffen digitale Sitzungen und Beschlussfassungen sowie digitale Informationsversorgung der Genossenschaftsmitglieder.

Steigerung der Attraktivität der genossenschaftlichen Rechtsform

Zur weiteren Steigerung der Attraktivität der genossenschaftlichen Rechtsform soll die Gründung einer Genossenschaft beschleunigt werden. Dies soll durch die Einrichtung einer Datenbank über genossenschaftliche Prüfungsverbände, die Standardisierung der Gründungsgutachten, die Beschleunigung der Förderungszweckprüfung durch das Registergericht sowie durch eine Frist für Eintragungen im Genossenschaftsrecht erreicht werden. Von den geplanten Änderungen werden insbesondere Start-Ups profitieren.

Maßnahmen gegen unseriöse Genossenschaften

Zudem sind weitere Maßnahmen geplant, um eine missbräuchliche Verwendung der Rechtsform zu verhindern. Gesetzesänderungen in den Jahren 2017 und 2022 haben bereits Wirkung gezeigt. Sie sollen nun durch weitere punktuelle Regelungen ergänzt werden. Vorgesehen wird hier unter anderem eine Ausweitung der Rechte und Pflichten der genossenschaftlichen Prüfungsverbände.

Das Vorhaben dient damit auch der Umsetzung des Koalitionsvertrags, in dem eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, wie zum Beispiel Genossenschaften, Sozialunternehmen und Integrationsunternehmen vorgesehen ist.

Das Eckpunktepapier wurde Ende Juli 2023 den Verbänden und interessierten Kreisen im Bereich des Genossenschaftsrechts zugesandt und auf der Internetseite des BMJ veröffentlicht. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit, bis zum 29.9.2023 Stellung zu nehmen. Nach Auswertung der Stellungnahmen wird das BMJ einen Referentenentwurf vorlegen.

Quelle | BMJ, PM 46/23 vom 28.7.2023

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Abschließende Hinweise

Steuern und Beiträge Sozialversicherung: Fälligkeitstermine in 12/2023

| Im Monat Dezember 2023 sollten Sie insbesondere folgende Fälligkeitstermine beachten: |

Steuertermine (Fälligkeit):

  • Umsatzsteuer (Monatszahler): 11.12.2023
  • Lohnsteuer (Monatszahler): 11.12.2023
  • Einkommensteuer (vierteljährlich): 11.12.2023
  • Kirchensteuer (vierteljährlich): 11.12.2023
  • Körperschaftsteuer (vierteljährlich): 11.12.2023

Bei einer Scheckzahlung muss der Scheck dem Finanzamt spätestens drei Tage vor dem Fälligkeitstermin vorliegen.

Beachten Sie | Die für alle Steuern geltende dreitägige Zahlungsschonfrist bei einer verspäteten Zahlung durch Überweisung endet am 14.12.2023. Es wird an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass diese Zahlungsschonfrist ausdrücklich nicht für Zahlung per Scheck gilt.

Beiträge Sozialversicherung (Fälligkeit):

Sozialversicherungsbeiträge sind spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats fällig, für den Beitragsmonat Dezember 2023 am 27.12.2023.

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Berechnung der Verzugszinsen

| Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten. |

Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Juli 2023 bis zum 31. Dezember 2023 beträgt 3,12 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:

  • für Verbraucher (§ 288 Abs. 1 BGB): 8,12 Prozent
  • für den unternehmerischen Geschäftsverkehr (§ 288 Abs. 2 BGB): 12,12 Prozent*

* für Schuldverhältnisse, die vor dem 29.7.2014 entstanden sind: 11,12 Prozent.

Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).

Übersicht / Basiszinssätze

Zeitraum

Zinssatz

01.01.2023 bis 30.06.2023

1,62 Prozent

01.07.2022 bis 31.12.2022

-0,88 Prozent

01.01.2022 bis 30.06.2022

-0,88 Prozent

01.07.2021 bis 31.12.2021

-0,88 Prozent

01.01.2021 bis 30.06.2021

-0,88 Prozent

01.07.2020 bis 31.12.2020

-0,88 Prozent

01.01.2020 bis 30.06.2020

-0,88 Prozent

01.07.2019 bis 31.12.2019

-0,88 Prozent

01.01.2019 bis 30.06.2019

-0,88 Prozent

01.07.2018 bis 31.12.2018

-0,88 Prozent

01.01.2018 bis 30.06.2018

-0,88 Prozent

01.07.2017 bis 31.12.2017

-0,88 Prozent

01.01.2017 bis 30.06.2017

-0,88 Prozent

01.07.2016 bis 31.12.2016

-0,88 Prozent

01.01.2016 bis 30.06.2016

-0,83 Prozent

01.07.2015 bis 31.12.2015

-0,83 Prozent

01.01.2015 bis 30.06.2015

-0,83 Prozent

01.07.2014 bis 31.12.2014

-0,73 Prozent

01.01.2014 bis 30.06.2014

-0,63 Prozent

01.07.2013 bis 31.12.2013

-0,38 Prozent

01.01.2013 bis 30.06.2013

-0,13 Prozent

01.07.2012 bis 31.12.2012

0,12 Prozent

01.01.2012 bis 30.06.2012

0,12 Prozent

01.07.2011 bis 31.12.2011

0,37 Prozent

01.01.2011 bis 30.06.2011

0,12 Prozent

01.07 2010 bis 31.12.2010

0,12 Prozent

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