Ausgabe 07/2022

Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 07/2022:

Arbeitsrecht

Baurecht

Familien- und Erbrecht

Mietrecht und WEG

Verbraucherrecht

Verkehrsrecht

Steuerrecht

Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht

Abschließende Hinweise

Zum Anfang



Arbeitsrecht

Heimliche Handyaufnahme: Arbeitnehmer muss nicht stets mit Kündigung rechnen

| Arbeitnehmer dürfen ihre Vorgesetzten nicht heimlich aufnehmen. Dies hat aber nicht immer eine wirksame Kündigung zur Folge. So entschied es das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz. |

Ein Kassierer war zunächst mit einer anderen Arbeitnehmerin und später mit seinem Vorgesetzten in Streit geraten. Den Streit mit seinem Vorgesetzten nahm der Kassierer mit seinem Handy auf wie er behauptet hat, spontan. Davon wusste der Vorgesetzte allerdings nichts. Als sein Arbeitgeber von den Aufnahmen erfuhr, kündigte er dem Kassierer.

Der Kassierer wandte ein, sein Vorgesetzter habe sich ihm gegenüber zuvor unsachgemäß, diskriminierend und ehrverletzend geäußert. Da das klärende Gespräch unter vier Augen stattfand, wollte der Kassierer das Verhalten seines Vorgesetzten mit den Tonaufnahmen dokumentieren. Er war, so der Kassierer, davon ausgegangen, dass dies erlaubt sei.

Das LAG: Sowohl die fristlose als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung sind unwirksam. Zwar gelte der Grundsatz, dass Personalgespräche nicht mitgeschnitten werden dürfen und dies zu einer außerordentlichen Kündigung führen könne (Verletzung des Persönlichkeitsrechts). Entscheidend sei hier aber, dass es zu den o. g. beleidigenden Äußerungen des Vorgesetzten gekommen war. Diese verletzten wiederum das Persönlichkeitsrecht des Kassierers. Er war davon ausgegangen, dass man ihm ohne die Aufzeichnungen nicht glauben würde.

Das LAG hob hervor: Selbst, wenn die Tonaufnahme nicht gerechtfertigt war, habe sich der Kassierer in einem sog. Verbotsirrtum befunden. Dies sei hier zu seinen Gunsten zu berücksichtigen gewesen. Ebenso zu seinen Gunsten bewertete das LAG, dass der Kassierer 17 Jahre lang bei seinem Arbeitgeber tätig war, ohne dass es Störungen gegeben hatte.

Diese Bewertung gilt nach dem LAG auch für die ordentliche Kündigung. Auch hier sei eine Kündigung unverhältnismäßig.

Quelle | LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.11.2021, 2 Sa 40/21

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Datenschutz: Schadenersatz bei unzulässigem Detektiveinsatz

| Schadenersatz aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen wegen rechtswidriger Detektivüberwachung setzt keine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung (mehr) voraus. Einen Ausschluss vermeintlicher Bagatellschäden sieht das Gesetz nicht vor. Das bestätigte nun das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG). |

Die Parteien stritten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen sowie um Aufwendungs- und Schadenersatz. Der Arbeitgeber verdächtigte den Arbeitnehmer des Arbeitszeitbetrugs. Er ließ ihn daher durch eine Detektei observieren. Der Arbeitnehmer hielt das für unzulässig. Er fordert Schadenersatz.

Das LAG stellte zunächst fest: Die Observierung durch eine Detektei war hier unzulässig. Nach der Datenschutz-Grundverordnung (Art. 82 Abs. 1 DS-GVO) habe jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden sei, zudem Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen. Gerade bei immateriellen Schäden sei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu berücksichtigen, dass der geschuldete Schadenersatz „eine wirklich abschreckende Wirkung“ haben muss. Die bisherige deutsche Rechtsprechung, die immateriellen Schadenersatz nur bei schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen zugesprochen habe, sei nicht mehr anwendbar. Da der Begriff des Schadens in der DS-GVO ein europarechtlicher sei, dürfe nicht auf nationale Erheblichkeitsschwellen oder andere Einschränkungen abgestellt werden. Einen Ausschluss vermeintlicher Bagatellschäden sehe das Gesetz nicht vor.

Ein immaterieller Schaden könne in einer unzulässigen Observierung durch eine Detektei bestehen. Die Observation einschließlich personenbezogener Datenerhebung seien hier rechtswidrig gewesen. Ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Erhebung personenbezogener Daten im Wege der Observation des Arbeitnehmers, um eine Straftat im Beschäftigungsverhältnis aufzudecken, habe hier nicht vorgelegen.

Zwar sei ein versuchter Prozessbetrug eine Straftat, die auch eine Detektivüberwachung rechtfertigen könne. Hierfür müsse jedoch ein berechtigter Anlass vorliegen. Die Observation habe den Arbeitnehmer auch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Der Detektiv beobachtete ihn an sechs Tagen in seinem Privatleben. Dabei lief er ihm einmal bis in einen Park hinterher.

Quelle | Hessisches LAG, Urteil vom 18.10.2021, 16 Sa 380/20, Abruf-Nr. 228198 unter www.iww.de

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Gleichstellungsgesetz: Entschädigung wegen Transsexualität? – Ende offen!

| In einem laufenden Güteverfahren vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Düsseldorf wurde über die Forderung einer transsexuellen Klägerin nach Entschädigung verhandelt. Ein interessanter Fall, bei dem sich Kundenwünsche und das Recht auf sexuelle Identität gegenüberstanden. |

Die transsexuelle Klägerin hatte sich bei einem Wohn- und Pflegezentrum als Pflegerin beworben. Sie erhielt nach einem Bewerbungsgespräch und einem Probearbeiten eine Absage. Diese wurde mit den Rückmeldungen einiger Bewohner begründet, die sich aufgrund der „Neigung“ der Klägerin nicht von ihr pflegen lassen wollten. Die Klägerin sah sich wegen ihrer sexuellen Identität benachteiligt. Sie verlangt eine Entschädigung wegen der erlittenen Persönlichkeitsrechtsverletzung nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (hier: § 15 Abs. 2 AGG) von etwa vier Gehältern, stellt die Höhe aber in das Ermessen des Gerichts.

Vor dem AG Düsseldorf trug der Rechtsanwalt der Beklagten vor, dass diese die Klägerin nicht habe benachteiligen wollen. Sie sei aber verpflichtet, die Wünsche ihrer Kunden zu berücksichtigen. Folge: Die Absage sei gerechtfertigt gewesen. Eine Entschädigung sei deshalb nicht geschuldet.

Die Beklagte bot aber ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Entschädigung an. Die Parteien kamen überein, eine außergerichtliche Einigung zu herbeiführen zu wollen. Ein neuer Gerichtstermin wurde noch nicht bestimmt.

Quelle | AG Düsseldorf, Urteil vom 25.2.2022, 3 Ca 600/22

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Beamtenbezüge: Zu viel gezahlte Dienstbezüge müssen zurückgezahlt werden

| Erhält ein Beamter nach einem Dienstherrenwechsel vom ehemaligen Dienstherren weiter Dienstbezüge ausgezahlt, sind diese zurückzuzahlen. Dies entschied das Verwaltungsgericht (VG) Koblenz und wies die Klage eines Beamten ab, der die Beträge behalten wollte. |

Das war geschehen

Der Kläger, ein Professor, folgte im Jahr 2020 dem Ruf einer Universität außerhalb von Rheinland-Pfalz und wurde dort mit Wirkung zum 1.9.2020 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Universitätsprofessor ernannt. Gleichwohl zahlte das Land Rheinland-Pfalz dem Kläger für September noch Bezüge in Höhe von rund 5.000 Euro netto aus.

Gegen den sodann ergangenen Rückforderungsbescheid erhob der Kläger erfolglos Widerspruch. Im sich anschließenden Klageverfahren brachte er vor, er habe seinen damaligen Dienstherren bereits im Juni 2020 über seinen Wechsel an die neue Universität informiert. Darüber hinaus sei er nicht verpflichtet gewesen, seinen Kontoauszug auf Zahlungen des Beklagten zu prüfen, da er mit einer weiteren Auszahlung von Dienstbezügen durch diesen nicht habe rechnen müssen. Schließlich habe der Beklagte die Überzahlung ausschließlich selbst zu verantworten, sodass aus Billigkeitsgründen jedenfalls teilweise von der Rückforderung abzusehen sei.

Verwaltungsgericht: Bezüge ohne rechtlichen Grund

Dem folgte das VG Koblenz nicht. Es wies die Klage ab. Es führte aus, dem Kläger seien Bezüge ohne rechtlichen Grund gezahlt worden. Diese seien grundsätzlich nach den entsprechenden Rechtsvorschriften zurückzuzahlen. Der Kläger könne nicht mit Erfolg einwenden, dass er „entreichert“ sei, weil er die Bezüge bereits verbraucht habe. Dies sei bei einer Überzahlung nur anzunehmen, wenn der Empfänger die Beträge restlos für seine laufenden Lebensbedürfnisse verbraucht habe. Zwar könne bei relativ geringen Beträgen monatlicher Überzahlungen über einen langen Zeitraum angenommen werden, dass die zu viel gezahlten Bezüge im Rahmen der normalen Lebensführung verbraucht worden seien. Um einen solchen Fall handle es sich hier aber nicht. Dem Kläger sei vielmehr lediglich einmalig ein mehr als nur geringfügiger Betrag (ein vollständiges Nettogehalt nebst Berufungs- und Bleibeleistungsbezug) ausgezahlt worden. In Anbetracht dessen hätte es dem Kläger oblegen, darzulegen und zu beweisen, dass er den ihm überwiesenen Betrag bereits restlos verbraucht habe.

Überdies sei dem Kläger eine Berufung auf den Entreicherungseinwand verwehrt, da er der verschärften Haftung unterliege. Denn der Mangel des rechtlichen Grundes sei so offensichtlich, dass der Kläger ihn hätte erkennen müssen. Es gehöre aufgrund der beamtenrechtlichen Treuepflicht zu den Sorgfaltspflichten des Klägers, bei besoldungsrelevanten Änderungen im dienstlichen oder persönlichen Bereich erst recht im Falle des Dienstherrenwechsels auf Überzahlungen zu achten. Die vorliegende Überzahlung hätte dem Kläger aufgrund der Gesamtumstände auffallen müssen. Anlass für einen Teilerlass der Rückforderungssumme aus Billigkeitsgründen habe nicht bestanden. Der Beklagte habe zeitnah die Überzahlung erkannt und den Kläger zur Rückzahlung aufgefordert.

Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz zu.

Quelle | VG Koblenz, Urteil vom 22.2.2022, 5 K 1066/21.KO, PM 8/2022

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Baurecht

Bebauungsplan: Wegfall der Wohnruhe kann hinzunehmen sein

| Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat klargestellt: Bei der Bestimmung der Eigenart eines durch Bebauungsplan festgesetzten Gebiets sind die bei der Planung vorgefundenen tatsächlichen Verhältnisse zwar als Kontext der Planung zu berücksichtigen. Zielt der planerische Wille aber gerade auf Veränderung der bisherigen städtebaulichen Situation ab, gebührt ihm bei der Bestimmung der Eigenart des Baugebiets der Vorrang. Diese etwas abstrakt klingende Vorgabe des Gerichts hatte für einen Antragsteller konkrete Folgen. Sie bedeutete, dass er sich gegen den Wegfall der völligen Wohnruhe durch neue Bebauung nicht wehren konnte. |

Der Antragsteller hatte sich gegen eine einem Nachbarn erteilte Baugenehmigung für zwei Mehrfamilienhäuser gewandt, da diese sein benachbartes Wohngrundstück unzumutbar beeinträchtigten. Die Stadt hatte den Bebauungsplan geändert und die rückwärtige Baugrenze, die Vorgabe zur Geschossigkeit und die Geschossflächenzahl aufgehoben. Offene Bauweise und Grundflächenzahl blieben bestehen. Neu festgesetzt wurde eine höhere Gebäudehöhe. Ziel der Planung war eine Nachverdichtung bereits bebauter Wohngrundstücke, um dem Leitbild des Vorrangs der Innenentwicklung Rechnung zu tragen.

Dem Nachbarn wurde im vereinfachten Verfahren die Baugenehmigung zur Errichtung von zwei Mehrfamilienhäusern auf dem Vorhabengrundstück erteilt. Insgesamt zwölf Stellplätze sollten entstehen. Die Zufahrt zu einigen dieser Stellplätze war entlang der östlichen, dem Antragstellergrundstück zugewandten Grundstücksgrenze vorgesehen. Das wollte der Antragsteller nicht hinnehmen.

Das OVG: Die Anordnung der Stellplätze auf dem Vorhabengrundstück verletzt nicht das Gebot der Rücksichtnahme. Zwar können solche Vorhaben unzulässig sein, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebiets in diesem selbst oder in seiner Umgebung unzumutbar sind. Hierbei sei insbesondere die örtliche Situation zu betrachten, in die ein Gebiet „hineingeplant“ worden ist. Wichtig sei auch der jeweilige Planungswille der Gemeinde, soweit dieser in den zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans unter Berücksichtigung der hierfür gegebenen Begründung zum Ausdruck gekommen ist. Dabei sind die bei der Planung vorgefundenen tatsächlichen Verhältnisse zwar als „Kontext“ der Planung zu berücksichtigen. Zielt der in den Planfestsetzungen zum Ausdruck gekommene planerische Wille wie hier aber gerade auf Veränderung der bisherigen städtebaulichen Situation ab, gebührt ihm bei der Bestimmung der Eigenart des Baugebiets der Vorrang. Einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme erkannte das Gericht unter Berücksichtigung dieser Vorgaben daher hier nicht.

Quelle | OVG Lüneburg, Beschluss vom 24.2.2022, 1 ME 186/21

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Bestandsschutz: Wenn alte Baugenehmigungen nicht auffindbar sind

| Zulassungspapiere sind bei Bauwerken wichtig, vor allem beim Bauen im Bestand. Aber was passiert, wenn alte Baugenehmigungen nicht auffindbar sind? Dann hat der Bauherr ein Problem. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen sagt jetzt: Für das Vorliegen einer Baugenehmigung ist darlegungs- und beweispflichtig, wer sich gegenüber einer Nutzungsuntersagung darauf beruft, diese Nutzung sei genehmigt und deshalb formell baurechtmäßig. |

Das gelte auch für einen behaupteten Bestandsschutz. Beim Bauen im Bestand ist es deshalb wichtig, sich schon in der Leistungsphase 1 alte Baugenehmigungen vorlegen zu lassen. Die Genehmigungsbehörden, die in der Vergangenheit Baugenehmigungen von Amts wegen dauerhaft aufbewahren mussten, sind seit Kurzem in einigen Bundesländern nicht mehr dazu verpflichtet. Ohne Klärung des Bestandsschutzes drohen Honorarverluste.

Quelle | OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9.2.2022, 2 B 1964/21, Abruf-Nr. 227658 unter www.iww.de

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Straßenbauarbeiten: Ausfahrt aus Tiefgarage endet in Baugrube: Bauunternehmen haftet für den Fahrzeugschaden

| Wer Straßenbauarbeiten ausführt, muss dafür sorgen, dass Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werden. Er muss deutlich vor den Gefahren warnen. Wird im Bereich einer Tiefgarage ein Leitungsgraben ausgehoben, müssen besondere Vorkehrungen gerade für die Autofahrer getroffen werden, die aus der Tiefgarage ausfahren wollen. Es genügt dabei nicht, die Hausverwaltung von den Arbeiten zu unterrichten und irgendwo auf der Straße Warnschilder aufzustellen. Das hat jetzt das Landgericht (LG) Frankenthal verdeutlicht. |

Ein Bauunternehmen hatte im Rahmen von Straßenbauarbeiten vor einem Wohnhaus einen Graben zwischen Bürgersteig und Straße ausgehoben. Normalerweise war dieser im Bereich der Ein- und Ausfahrt der Tiefgarage mit Stahlplatten abgedeckt, über die man den Graben gefahrlos überfahren konnte. An einem Tag im Februar 2021 jedoch hatten Arbeiter die Stahlplatten anlässlich von im Graben stattfindenden Arbeiten entfernt. Eine Bewohnerin bemerkte dies nicht, als sie mit ihrem Pkw aus der Tiefgarage herausfuhr, und landete mit den Vorderrädern ihres Pkw in dem Graben. Am Fahrzeug entstand ein Schaden in Höhe von rund 6.000 Euro, den sie von der Baufirma ersetzt verlangte.

Das LG gab der Pkw-Fahrerin Recht. Es verurteilte die Baufirma dazu, den Schaden zu ersetzen. Deren Arbeiter hätten die Pflicht zur umfassenden Sicherung der Baustelle verletzt, als sie die Stahlplatten entfernten, ohne eine anderweitige Absicherung vorzunehmen. Der Graben sei für die aus der Tiefgarage hochfahrende Frau nicht sichtbar gewesen. Zwar habe sie als Anwohnerin von den Bauarbeiten gewusst und sei auch durch die Hausverwaltung über die Arbeiten informiert worden. Doch sei es nicht ihre Sache gewesen, sich zu vergewissern, dass sie wie bisher ja auch gefahrlos aus der Tiefgarage herausfahren könne. Vielmehr sei es Sache des Bauunternehmens gewesen, deutlich auf die Gefahr durch den geöffneten Graben hinzuweisen, der noch keine Fahrzeuglänge von der Ausfahrt entfernt gewesen sei. Die üblichen Warnschilder an der Baustelle reichten insoweit nicht aus. In der Verhandlung hatte sich das Bauunternehmen noch damit verteidigt, dass ein Mitarbeiter vor der Garagenausfahrt positioniert worden sei, um die Ausfahrenden zu warnen. Dieser hatte jedoch nach den Feststellungen des LG kurz vor dem Unfall seinen Posten verlassen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann Berufung beim Pfälzischen Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken eingelegt werden.

Quelle | LG Frankenthal, Urteil vom 25.3.2022, 9 O 32/21, PM vom 29.4.2022

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Familien- und Erbrecht

Pflichtteilsstrafklausel: Korrektur eines Nachlassverzeichnisses zu verlangen, bedeutet nicht, den Pflichtteil zu fordern

| Setzen sich Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben und ihre Kinder zu Schlusserben des Längstlebenden ein, wird häufig eine sog. Pflichtteilsstrafklausel vereinbart. Danach verliert ein Schlusserbe seinen Erbanspruch nach dem Längstlebenden, wenn er schon nach dem Tod des Erstverstobenen seinen Pflichtteil fordert. Er erhält dann auch nach dem Tod des Längstlebenden nur seinen Pflichtteil. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat nun entschieden: Eine solche Pflichtteilsstrafklausel ist nicht bereits erfüllt, wenn der Schlusserbe nach dem Tod des Erstversterbenden eine Korrektur des ihm vorgelegten Nachlassverzeichnisses fordert. |

Das war geschehen

Die Erblasserin war Witwe. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, von denen eines vorverstorben war und seinerseits zwei Kinder hinterließ. Einige Jahre vor dem Tod des erstverstorbenen Ehemanns errichteten die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und ihre Kinder, ersatzweise deren Abkömmlinge, zu Schlusserben des Längstlebenden beriefen.

„Berliner Testament“

Für den Fall, dass einer der Schlusserben nach dem Tod des Erstverstorbenen seinen Pflichtteil fordert, bestimmten die Eheleute, dass er dann auch nach dem Längstlebenden nur seinen Pflichtteil erhalten solle (sog. Pflichtteilsstrafklausel). Nach dem Tod des Ehemanns forderte die Schlusserbin die Erblasserin auf, ihr ein Nachlassverzeichnis vorzulegen und verlangte nach dessen Zusendung eine Nachbesserung sowie die Vorlage eines Wertgutachtens betreffend einer in den Nachlass fallenden Immobilie. Zu einer Auszahlung oder einer gerichtlichen Geltendmachung des Pflichtteils kam es nicht.

Als auch die Erblasserin gestorben war, beantragte die Antragstellerin als eine der Schlusserben einen gemeinschaftlichen Erbschein auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute. Sie berücksichtigte dabei allerdings nicht die Schlusserbin, da diese ihren Erbanteil verwirkt habe. Das Nachlassgericht kündigte mit dem angefochtenen Beschluss den Erlass des beantragten Erbscheins an. Hiergegen legte die Schlusserbin Beschwerde mit dem Argument ein, sie habe nicht ihren Pflichtteil nach dem Tod des Erstverstobenen von der jetzigen Erblasserin gefordert.

Pflichtteilsstrafklausel war hier nicht erfüllt

Das OLG gab ihr Recht. Die Pflichtteilsstrafklausel sei nicht erfüllt. Auch wenn das Einfordern des Nachlassverzeichnisses und die hieran geübte Kritik zu einer Belastung der überlebenden Ehegattin geführt habe, sei darin allein noch kein Fordern des Pflichtteils zu sehen. Dies sei zunächst nur das Verlangen einer Auskunft über den Wert des Nachlasses. Auf eine solche Auskunft sei der Pflichtteilsberechtigte angewiesen, um eine für ihn sinnvolle Entscheidung treffen zu können. Eheleute, die bereits den überlebenden Ehegatten vor einem Auskunftsverlangen der Schlusserben schützen wollten, müssten dies im Rahmen der testamentarischen Pflichtteilsstrafklausel deutlich zum Ausdruck bringen.

Der Beschluss ist rechtskräftig.

Quelle | OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 1.2.2022, 21 W 182/21, PM 26/2022 vom 28.3.2022

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Pflegeheim: Kein Einfluss pandemiebedingter Beschränkungen auf das Heimentgelt

| Bewohner einer stationären Pflegeeinrichtung müssen trotz Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie das volle Heimentgelt zahlen. So hat es der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt entschieden. |

Die Klägerin schuldete der Beklagten ein Zimmer sowie Pflege- und Betreuungsleistungen nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz in Verbindung mit dem Pflegevertrag. Diese Kernleistungen konnte sie trotz der angeordneten Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen voll erbringen. Eine Entgeltkürzung wegen Nicht- oder Schlechtleistung scheidet daher aus.

Das Heimentgelt war auch nicht wegen Störung der Geschäftsgrundlage herabzusetzen. Durch die Beschränkungen hat sich die Geschäftsgrundlage des Pflegevertrags nicht schwerwiegend geändert. Diese Beschränkungen dienten primär dem Gesundheitsschutz der (vulnerablen) Heimbewohner und der Mitarbeiter, ohne den Vertragszweck infrage zu stellen.

Die Schlussfolgerung des BGH: Der Beklagten war es zuzumuten, am unveränderten Vertrag festzuhalten. Er wies darauf hin, dass der Lockdown das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben erfasste, also auch Nichtheimbewohner.

Quelle | BGH, Urteil vom 28.4.2022, III ZR 240/21, PM 78/2022 vom 1.6.2022

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Adoptionsverfahren: Gutes Verhältnis zu einem leiblichen Elternteil? Das kann einer Adoption entgegenstehen!

| Ein Volljähriger kann als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt ist. Das ist der Fall, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Volljährigen ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits besteht, oder dies zu erwarten ist. Hat der Volljährige aber eine ungestörte, intakte Beziehung zu einem leiblichen Elternteil, können Zweifel am o. g. Eltern-Kind-Verhältnis berechtigt sein. So hat es das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe nun entschieden. |

Oberlandesgericht: Soziale Prägung zu leiblichen Eltern hat besondere Qualität

Das OLG betont, dass das natürliche Kindschaftsverhältnis zwar keine rechtliche Exklusivität für sich beanspruchen kann. Es entspräche jedoch grundsätzlich keiner Lebenserfahrung, dass derjenige, der auf der Grundlage seiner in der Kindheit erfahrenen sozialen Prägung weiterhin durch ein echtes Eltern-Kind-Verhältnis mit seinen leiblichen Eltern verbunden ist, eine Beziehung von vergleichbarer Qualität zu entfernteren Verwandten oder gar zu familienfremden Personen aufzubauen vermag.

Beziehung zur leiblichen Mutter war intakt

Im vorliegenden Fall hatte das OLG solche Zweifel wegen der ungestörten und intakten Beziehung des Anzunehmenden zu seiner leiblichen Mutter, auch wenn das OLG betont, dass gute Beziehungen zu den leiblichen Eltern der Annahme eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen dem Annehmenden und dem Volljährigen nicht per se entgegenstehen. Sie sind aber geeignet, Zweifel am Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses zu begründen.

Beachten Sie | Die Begründung eines Eltern-Kind-Verhältnisses kommt daher regelmäßig schon dann nicht in Betracht, wenn eine ungestörte intakte Beziehung des Anzunehmenden zu mindestens einem leiblichen Elternteil besteht, soweit nicht dieser Elternteil Lebensgefährte oder Lebensgefährtin des Annehmenden ist.

Quelle | OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.5.2022, 18 UF 60/21

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Impfpflicht: Masernimpfung: Einzelimpfstoff aus der Schweiz reicht aus

| Das Verwaltungsgericht (VG) Ansbach hat dem Eilantrag gegen eine Betretungsuntersagung von Kindertageseinrichtungen mangels Nachweises eines ausreichenden Impfschutzes gegen Masern jetzt stattgegeben. |

Das war geschehen

Der dreijährige Antragsteller sollte von der Kinderkrippe in die Kindertageseinrichtung wechseln. Seine Eltern wiesen nach, dass er zweimal mit einem in der Schweiz, nicht aber in Deutschland zugelassenen Einzelimpfstoff gegen Masern geimpft worden war. In Deutschland gibt es nur Kombinationsimpfstoffe (z. B. gegen Masern, Mumps und Röteln). Das Gesundheitsamt untersagte dem Antragsteller den Wechsel bis zum Nachweis eines ausreichenden Masernimpfschutzes.

Das VG gab dem dagegen gerichteten Eilantrag statt: Der Antragsteller sei ausreichend gegen Masern geimpft. Das Infektionsschutzgesetz sieht keine Einschränkung auf nur in Deutschland zugelassene Impfstoffe vor.

Masern-Impfstoff: Keine Vorgaben wie bei Covid-19-Impfstoff

Im Gegensatz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht gegen Covid-19, die ausdrücklich die Zulassung des Impfstoffs durch die EU oder das EU-Ausland bei identischer Formulierung vorschreibt, hat der Gesetzgeber bei der Masern-Impfpflicht auf diese Einschränkung verzichtet. Der verwendete Impfstoff durfte von deutschen Apotheken importiert werden und stand damit deutschen Verwendern entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes „zur Verfügung“. Nicht ersichtlich sei, dass der Wirkstoff aus der Schweiz weniger sicher und wirksam sei als in Deutschland zugelassene Wirkstoffe.

Gegen den Beschluss kann Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) eingelegt werden.

Quelle | VG Ansbach, Beschluss vom 5.5.2022, AN 18 S 22.00535, Abruf-Nr. 229337 unter www.iww.de, PM vom 6.5.2022

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Mietrecht und WEG

Wohnraummietverhältnis: Unerlaubte Untervermietung an Touristen: Fristlose Kündigung

| Das Amtsgericht (AG) München verurteilte einen Mieter dazu, seine Wohnung zu räumen und an die Klägerin herauszugeben. Grund: Er hatte seine Wohnung unerlaubt u. a. an Touristen weitervermietet. |

Was war geschehen?

Der Beklagte war seit 2009 Mieter einer Dreizimmerwohnung in München-Pasing. Die monatliche Miete betrug 800 Euro. Im Vertrag war unter anderem geregelt: „Untervermietung oder sonstige Gebrauchsüberlassung der Mieträume oder Teilen davon an Dritte darf nur mit Einwilligung des Vermieters erfolgen.“ Noch im Jahr 2009 genehmigte der Vermieter die teilweise Untervermietung an eine Mitbewohnerin zur Gründung einer Wohngemeinschaft.

Im Frühjahr 2020 stellte die Klägerin fest, dass die Wohnung bzw. Teile davon über verschiedene Internetplattformen für 45 Euro pro Person und Nacht für Touristen angeboten wurden. Einer solchen gewerblichen Nutzung hatte die Klägerin zu keinem Zeitpunkt zugestimmt. Sie mahnte den Mieter daraufhin schriftlich ab. Trotzdem vermietete der Beklagte im Winter 2020 erneut zwei Zimmer an Mitbewohner, ohne die Vermieterin zu informieren oder sich deren Erlaubnis einzuholen. Nachdem der Hausverwalter feststellte, dass sich am Klingelschild mehrere Namen befanden, kündigte die Vermieterin den Mietvertrag fristlos.

So verteidigte sich der Mieter

Der Mieter trug vor, er habe die Wohnung von Beginn an unter der Voraussetzung angemietet, dass die dort bereits vorhandene Wohngemeinschaft bestehen bleibe. Ihm stehe daher ein grundsätzliches Recht auf Untervermietung zu, ohne dass er dies im Einzelfall gegenüber der Vermieterin begründen oder von dieser genehmigen lassen müsse. Eine Vermietung per Internet an Touristen habe er nicht vorgenommen. Er habe auf den Internetseiten lediglich ein Nutzerkonto erstellt, um auf diesem Weg einen dauerhaften Mitbewohner zu finden. Er habe nur einmal einen festen Untermieter gesucht. Weder stamme der Text des Angebots von ihm noch könne er sich die dort abgegebenen Bewertungen erklären.

So sah es das Gericht

Das Gericht schenkte dem Beklagten keinen Glauben: Unstreitig zeigen die Lichtbilder des Angebotes (…) die Wohnung des Mieters. Auch ist die Adresse der Wohnung angegeben. Der Text, mit dem die Wohnung angeboten wurde, richtet sich nicht an potenzielle dauerhafte Untermieter, sondern an Touristen für die tageweise Anmietung. So wurden ausdrücklich die Nähe zu diversen Touristenattraktionen angepriesen wie auch die Sprachkenntnisse des Gastgebers sowie die Möglichkeit gemeinsamer Unternehmungen. Das Gericht war darüber hinaus auch davon überzeugt, dass Vermietungen an Touristen tatsächlich stattgefunden haben. Das Angebot war am 31.3.2020 mit 13 Kundenbewertungen versehen.

In dem bewussten Hinwegsetzen über den Willen und das Interesse der Vermieterin sah das Gericht eine erhebliche Rechtsverletzung, die zur fristlosen Kündigung berechtigte. Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle | AG München, Urteil vom 13.10.2021, 417 C 7060/21, PM 14/2022 vom 8.4.2022

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WEG: Aufwendungen eines ausgeschiedenen WEG-Eigentümers

| Befreit ein Mitglied einer Eigentümergemeinschaft dieselbe von einer Verbindlichkeit, indem er für sie in Vorlage tritt, kann er nach seinem Ausscheiden nicht den einzelnen Miteigentümer für die Erstattung seiner Kosten in Anspruch nehmen, sondern nur die Gemeinschaft als solche. Das hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt. |

Eine Zweiergemeinschaft ohne Verwalter war zerstritten. Kosten zahlte mal der eine, dann wieder der andere Eigentümer. In solchen Fällen forderten sie dann jeweils die Hälfte der verauslagten Beträge von dem anderen zurück. Ein Eigentümer veräußerte später sein Eigentum. Anschließend forderte er von seinem ehemaligen Miteigentümer rund 7.000 Euro. Dieser rechnete mit knapp 4.000 Euro auf. Sowohl das Amtsgericht (AG) als auch das Landgericht (LG) bejahten die gegenseitigen Ansprüche. Der Kläger akzeptierte die Aufrechnung nicht und verfolgte seinen weiteren Anspruch vor dem BGH mit Erfolg: Der ausgeschiedene Eigentümer hat keinen Anspruch auf Aufwendungsersatz gegen seinen ehemaligen Miteigentümer, sondern nur gegen die Eigentümergemeinschaft. Eine Aufrechnung scheidet mangels Aufrechnungslage aus. Der ehemalige Eigentümer sei für die Gemeinschaft und nicht für den Miteigentümer in Vorlage getreten und habe diese von einer Verbindlichkeit befreit. Daher hafte er auch nicht gegenüber dem ausgeschiedenen Gemeinschaftsmitglied, sondern nur gegenüber einem Außenstehenden.

Quelle | BGH, Urteil vom 25.3.2022, V ZR 92/21, Abruf-Nr. 229031 unter www.iww.de

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Sozialrecht: Vermieter kann keine Miete vom Jobcenter einklagen

| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass ein Vermieter trotz der Möglichkeit der Direktzahlung der Miete keine eigenen einklagbaren Ansprüche gegen das Jobcenter hat. |

Ein Mann vermietet Wohnungen an Grundsicherungsempfänger und lässt sich dabei von den Mietern die Zustimmung zur Direktzahlung geben. Nachdem eine Mieterin die Nebenkosten für die Jahre 2018 und 2019 schuldig blieb, verlangte er die Zahlung der Rückstände vom Jobcenter. Dieses lehnte eine Direktüberweisung ab, da der Vermieter keine eigenen Ansprüche aus dem Sozialgesetzbuch (SGB II) habe. Demgegenüber hielt der Mann es für nicht hinnehmbar, dass das Jobcenter zwar die Kosten des Energieversorgers direkt zahle, er jedoch erst prozessieren müsse. Hierdurch sei der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Er werde vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Neben den rückständigen Kosten seien inzwischen auch Mietschulden aufgelaufen. Der Gesamtbetrag summiere sich auf über 4.000 Euro. Hierfür müsse das Jobcenter im Wege der Amtshaftung zahlen.

Das LSG hat die Rechtsauffassung des Jobcenters bestätigt. Es bestehe keine Anspruchsgrundlage für eine Schuldübernahme. Trotz der im SGB II vorgesehen Möglichkeit der Direktzahlung von Miete an den Vermieter entstehe keine Rechtsbeziehung zwischen Vermieter und Jobcenter. Der Vermieter habe somit keine eigenen einklagbaren Ansprüche. Die Direktzahlung diene nämlich allein der Sicherstellung der zweckentsprechenden Verwendung der Unterkunftsleistungen. Sie erfülle nicht den Zweck einer vereinfachten Durchsetzung von Mietforderungen durch Schaffung eines weiteren solventen Schuldners in Form des Jobcenters. Die Eintreibung von Schulden sei ein objektiv eigenes Geschäft des Vermieters.

Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 3.2.2022, L 11 AS 578/20, PM vom 7.3.2022

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Verbraucherrecht

Grundsicherungsleistungen: Jobcenter muss keine Privatschule bezahlen

| Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass der Bedarf an Schulbildung durch öffentliche Regelschulen ausreichend gedeckt wird. |

Das war geschehen

Ausgangspunkt war ein Eilverfahren einer selbstständigen Kampfsportlehrerin, die ergänzende Grundsicherungsleistungen bezieht. Ihren ältesten Sohn ließ sie auf einer Waldorfschule einschulen. Wegen psychischer Probleme und regelmäßiger körperlicher Auseinandersetzungen wechselte das Kind nach einem Jahr auf eine andere Privatschule. Das dortige Schulgeld zahlte die Frau zunächst selbst. Im Jahr 2021 beantragte sie die Übernahme beim Jobcenter, da sie wegen der Corona-Pandemie ihre selbstständige Tätigkeit aufgeben musste und sich das Schulgeld nicht mehr leisten konnte.

Jobcenter: Regelschulen decken den Ausbildungsbedarf

Das Jobcenter lehnte die Kostenübernahme ab, da öffentliche Regelschulen den Ausbildungsbedarf decken würden und eine Ausnahme nur bei schwerwiegenden persönlichen Gründen möglich sei. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Junge nicht gleich auf eine öffentliche Schule gewechselt sei.

Argumente der Mutter

Die Frau hielt einen weiteren Schulwechsel aus psychischen Gründen jedoch für unzumutbar. Eine Anmeldung auf der Regelschule sei absurd, da dort der Migranten- und Gewaltanteil überdurchschnittlich hoch sei.

Landessozialgericht: Schulgeldfreiheit an Regelschulen

Das LSG hat die Rechtsauffassung des Jobcenters bestätigt. Das Schulgeld sei kein unabweisbarer Mehrbedarf, denn durch die gesetzliche Gewährleistung der Schulgeldfreiheit an öffentlichen Regelschulen entstehe kein Bedarf im Rahmen des notwendigen Lebensunterhalts.

Keine glaubhaften Gründe: Vermutungen reichen nicht

Es seien auch keine Umstände ersichtlich, die ausnahmsweise einen Anspruch begründen könnten. Die Frau habe keine Gründe glaubhaft gemacht, aus denen ein Wechsel auf die Regelschule unzumutbar sei. Zu dem Argument des hohen Migranten- und Gewaltanteils habe sie keine konkreten Angaben gemacht. Ebenso wenig habe sie genaue Gründe dargelegt, weshalb ein Schulwechsel bei ihrem Sohn zu Depressionen führe und seine Entwicklung gefährde. Bloße Vermutungen würden gerade nicht ausreichen.

Quelle | LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 16.2.2022, L 11 AS 479/21 B ER, PM vom 21.3.2022

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Gutachter: Darf ein Chirurg orthopädische Diagnosen erstellen?

| In sozialgerichtlichen Angelegenheiten entzündet sich häufig Streit an der Frage, ob ein Gutachter auf seinem Fachgebiet sachkundig genug ist. Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg sagt: Ein Chirurg kann kompetent orthopädische Krankheitsbilder beurteilen. Schon 2005 wurden beide Fachrichtungen vereinigt. |

Die Klägerin wollte eine höhere Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund eines Arbeitsunfalls erhalten. Der vom Sozialgericht (SG) beauftragte chirurgische Sachverständige stellte fest: Die aktuellen Einschränkungen des rechten Kniegelenks der Klägerin waren eine Unfallfolge. Keine Unfallfolge hingegen erkannte es bei verschleißbedingten Veränderungen an den Hüftgelenken. Die Klage wurde abgewiesen. Auch die Berufung der Klägerin zum LSG blieb erfolglos.

Die Klägerin hatte zwar eingewandt, der Sachverständige sei nur Chirurg, jedoch kein Orthopäde. Dies überzeugte das LSG aber nicht. Beide (früher getrennten) Facharztgruppen seien fachlich ähnlich. Bereits 2005 wurden der Facharzt für Orthopädie und jener für Unfallchirurgie zu einer Facharztausbildung zusammengefasst. Beide sind auf den menschlichen Stütz- und Bewegungsapparat spezialisiert, müssen entsprechende Krankheiten erkennen, behandeln und Nachsorge sowie Rehabilitation sicherstellen. Auch ihre Weiterbildungsordnungen seien gleich.

Daher war auch der hier beauftragte und zudem sehr gerichtserfahrene Gutachter in der Lage, orthopädische Beurteilungen abzugeben. Er kam nachvollziehbar und in Auseinandersetzung mit weiteren Befundberichten zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin keine Versteifung des Kniegelenks vorliege, bzw. dass sich der gesundheitliche Zustand der Klägerin nicht verschlechtert habe.

Quelle | LSG Hamburg, Urteil vom 6.10.2021, L 2 U 7/21, Abruf-Nr. 228069 unter www.iww.de

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Reisemangel: Ein Reiseunternehmen haftet nicht für allgemeines Lebensrisiko

| Das Landgericht (LG) Köln hat über einen Fall entschieden, in dem ein Ehepaar mit dem Verlauf seiner Pauschalreise nicht zufrieden war und sich die Ehefrau schließlich noch das Handgelenk gebrochen hatte. Es stellte klar: Für bloße Unannehmlichkeiten und Verletzungen eines Reisenden, die sich durch das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht haben, haftet ein Reiseunternehmen nicht. |

Das war geschehen

Der Kläger macht für sich und für seine Frau Ansprüche auf Schadenersatz und Minderung geltend, weil deren Reise nach Mauritius nicht ihren Erwartungen entsprach und sich seine Frau während eines Schnorchelausflugs das Handgelenk brach.

Unzufriedenheit und Verletzungspech

Das Ehepaar buchte eine Pauschalreise bei dem beklagten Touristikunternehmen nach Mauritius für rund 12.000 Euro. Während ihres Aufenthalts dort war der Service nicht zu ihrer Zufriedenheit, die Ehefrau des Klägers wurde von einer Wespe gestochen und musste im Krankenzimmer des Hotels behandelt werden. Zuletzt rutschte sie beim Aussteigen aus einem Boot an Bord aus und brach sich das Handgelenk. Der Kläger verlangt von dem beklagten Reiseunternehmen Schadenersatz in Höhe von 18.750 Euro sowie Schmerzensgeld für seine Frau von mindestens 6.000 Euro. Schließlich verlangt er die Feststellung, dass die Beklagte für alle weiteren Schäden seiner Frau aufkommen muss.

Landgericht: Hinzunehmende Unannehmlichkeiten…

Das Gericht hat die Klage nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung abgewiesen. Es lägen keine Mängel der gebuchten Reise vor. Es handle sich lediglich um Unannehmlichkeiten im Ablauf der Reise, die hinzunehmen seien. Insbesondere sei die vom Kläger bemängelte Wartezeit seit ihrer Ankunft im Hotel am Anreisetag um 8.00 Uhr bis zum Bezug ihres Zimmers um 15.00 Uhr als bloße Unannehmlichkeit hinzunehmen. Die Zimmer seien üblicherweise sowieso erst um 14.30 Uhr bezugsfertig, dies habe sich wegen der Hauptsaison lediglich um 30 Minuten verzögert. Kulanterweise habe das Hotel ein amerikanisches Frühstück angeboten, um die Wartezeit zu verkürzen. Auch eine als verspätet wahrgenommene Reinigung des Zimmers, nachdem dem Kläger eine Flasche Rum zerbrochen sei, müsse toleriert werden und stelle keinen Mangel dar. Ebenso sei die gerissene Kette an einem im Hotel geliehenen Fahrrad während einer Fahrradtour des Ehepaars über die Insel hinzunehmen.

… und allgemeines Lebensrisiko

Der Wespenstich der Ehefrau im Hotel unterfiele dem allgemeinen Lebensrisiko, auch wenn sich das Wespennest in einem Baum neben der Terrasse des Hotelrestaurants befunden habe.

Schließlich habe sich auch bei dem Unfall der Ehefrau des Klägers das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht, für das der Reiseveranstalter nicht verantwortlich sei. Ausrutscher bei Wassersportaktivitäten unterfielen dem privaten Unfall- und Verletzungsrisiko. Auch hätte die Ehefrau des Klägers die Gefahr des nassen Bootsrandes selbst erkennen und sich davor schützen können. Sie hätte sich zumindest beim Aussteigen vom Guide helfen lassen können, wie dies bereits beim Einsteigen geschehen war.

Das Landgericht hat die Klage daher insgesamt abgewiesen. Sie ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle | LG Köln, Urteil vom 8.3.2022, 32 O 334/20, PM 3/2022

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Haustürgeschäfte: Handwerkerverträge an der Haustür: Widerrufsrecht beachten

| Hin und wieder bieten Handwerker „einfachere“ Arbeitsleistungen unaufgefordert an der Haustür an. Die Reinigung und Versiegelung von Dachpfannen und Pflastersteinen oder Malerarbeiten an Holz und Fassade werden so oft handschriftlich vereinbart. Eine ausreichende Belehrung über das Widerrufsrecht, das Verbrauchern in Fällen solcher Haustürgeschäfte zusteht, erfolgt dabei häufig nicht. Oft kommt es später zum Streit, wenn sich der Kunde vom Vertrag lösen will und seine Anzahlung zurückfordert. Einen solchen Fall hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Celle entschieden. |

Das war geschehen

Vereinbart waren die Reinigung und Versiegelung von Dachpfannen und Pflastersteinen sowie die Sanierung von Holz zu einem Preis von 21.000 Euro. Nachdem die Arbeiten teilweise erbracht waren, hatte der Kunde seine Vertragserklärung widerrufen und seine Anzahlung von 12.500 Euro zurückgefordert. Der Handwerker hat dem einen vermeintlichen Anspruch für erbrachte Leistungen in Höhe von 8.050 Euro entgegengehalten. Das Landgericht (LG) hatte dem Kunden in erster Instanz Recht gegeben. Die hiergegen eingelegte Berufung des Handwerkers hat das OLG jetzt zurückgewiesen.

Unterschied: Verbrauchervertrag und Verbraucherbauvertrag

Maßgeblich für diese Entscheidung war die genaue rechtliche Einordnung des Vertrags: Bei einem Verbraucherbauvertrag sind die gegenseitigen Leistungen im Fall eines Widerrufs zurückzugewähren, für erbrachte Arbeiten ist deren Wert zu ersetzen. Bei einem „schlichten“ Verbrauchervertrag schuldet der Kunde demgegenüber nur dann Wertersatz, wenn er ausreichend über sein Widerrufsrecht belehrt worden war, woran es hier fehlte. Ein Verbraucherbauvertrag liegt bei Arbeiten an einem bestehenden Gebäude nur vor, wenn diese Arbeiten „erheblich“ sind. Nach Auffassung des OLG müssen sie in ihrem Umfang einem Neubau gleichkommen und mehrere Gewerke umfassen. Einen solchen Umfang hatten die im vorliegenden Fall vereinbarten Arbeiten nicht.

Anhaltspunkte dafür, dass die Rückforderung der Anzahlung hier ausnahmsweise gegen Treu und Glauben verstoßen könnte, hatte das OLG nicht.

Quelle | OLG Celle, Beschluss vom 26.4.2022, 6 U 6/22, PM vom 3.5.2022

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Immobilienkaufvertrag: Zustimmung des Ehegatten zu Grundstücksgeschäft

| Ein im gesetzlichen Güterstand lebender Ehegatte hatte sich im Rahmen der Veräußerung eines sein wesentliches Vermögen bildendes Wohnungserbbaurechts verpflichtet, bei der Finanzierung des Kaufpreises durch den Käufer zulasten des Kaufgegenstands mitzuwirken. In solchen Fällen kann die Zustimmung des anderen Ehegatten zum Vertrag auch die vom Erwerber unter Ausnutzung einer Belastungsvollmacht im Namen des Veräußerers erklärte Bewilligung der Eintragung einer Grundschuld erfassen. Das hat jetzt das Kammergericht (KG) Berlin entschieden. |

Das KG hob hervor: Der aktuelle Bestand der Ehe muss dem Grund-buchamt nicht nachgewiesen werden, wenn sich die Eheschließung aus einer dem Grundbuchverfahren genügenden älteren Eheurkunde ergibt und nicht ersichtlich ist, dass der veräußernde Ehegatte mit einer anderen als der dort aufgeführten, die Zustimmung erklärenden Person verheiratet sein könnte.

Quelle | KG Berlin, Beschluss vom 1.3.2022, 1 W 471/21

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Verkehrsrecht

Trunkenheitsfahrt: E-Scooter: Eher einem Fahrrad als einem Kfz gleichzusetzen

| Darf bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis (vorläufig) entzogen werden? Das ist noch nicht abschließend geklärt. Aber das Amtsgericht (AG) Essen hat jetzt abgelehnt, einen solchen Einziehungs-Beschluss zu erlassen. |

Der Beschuldigte war nachts gegen 2:31 Uhr in Essen mit einem E-Scooter alkoholisiert auf einem Gehweg gefahren. Die Blutalkoholkonzentration betrug 1,68 Promille. Das AG: Hinsichtlich der Gefährlichkeit ist ein E-Scooter eher einem Fahrrad als einem Kraftfahrzeug gleichzusetzen. Zudem führte der Angeklagte den E-Scooter nachts, sodass eine Gefährdung anderer weniger wahrscheinlich war.

Quelle | AG Essen, Urteil vom 12.1.2022, 43 Cs-39 Js 1578/21-422/21, Abruf-Nr. 227067 unter www.iww.de

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Fiktive Abrechnung: Versicherung log bei Verweisungswerkstatt

| Eine Versicherung war bei der fiktiven Abrechnung wegen Alters und Wartungsstatus des unfallgeschädigten Fahrzeugs einfallsreich. Sie verwies auf eine Werkstatt, die es gar nicht mehr gab. Das Amtsgericht (AG) Coburg sagte nun: „So nicht!“ |

Die Werkstatt, auf die die Versicherung verwiesen hatte, gab es zum Verweisungszeitpunkt seit Monaten nicht mehr. Das hatte der Anwalt des Geschädigten im Rechtsstreit offengelegt, was ohne Widerspruch geblieben war.

Doch die Versicherung scherte das wenig: Sie trug vor, die Werkstatt gebe es zwar nicht. Aber deren Gleichwertigkeit sei ja nicht bestritten worden. Daraus folge, dass sie deshalb als gleichwertig anzusehen sei. Das ließ das AG nicht durchgehen. Und es hob hervor, dass dem Geschädigten auch im Rahmen der ihm obliegenden Schadensminderungspflicht eine etwaige eigene Recherche nicht abverlangt werden kann.

Quelle | AG Coburg, Urteil vom 16.2.2022, 12 C 1956/21, Abruf-Nr. 227696 unter www.iww.de

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Betäubungsmittelgesetz: Kokainabhängigem Busfahrer ist Fahrerlaubnis zu entziehen

| Bei der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetztes (BtMG) entfällt die Fahreignung nach der Fahrerlaubnisordnung. Das entschied jetzt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig-Holstein. |

Dieser Grundsatz gelte unabhängig von der Häufigkeit des Konsums und der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration. Folge: Auch ein kokainabhängiger Busfahrer, der noch im berauschten Zustand unabhängig von Ausfallerscheinungen am Straßenverkehr teilnimmt, ist fahruntüchtig. Es ist also schon dann gerechtfertigt, ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn ihm einmalig harte Drogen im Körper nachgewiesen wurden oder er deren Einnahme eingeräumt hat. Das gilt aber nicht für die Einnahme von Cannabis.

Quelle | OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 11.2.2022, 5 MB 2/22

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Verkehrsunfall: Urteil wegen fahrlässiger Tötung infolge von Textnachrichten am Steuer rechtskräftig

| Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat die Verurteilung eines Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung bestätigt. Es hat zwar die ursprüngliche Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf ein Jahr und neun Monate herabgesetzt. Die Vollstreckung der Strafe wurde jedoch nicht, wie es der Angeklagte erstrebt hatte, zur Bewährung ausgesetzt. Die Verurteilung ist damit rechtskräftig. |

Das war geschehen

Der Angeklagte befuhr eine Straße, bei der die Geschwindigkeit auf 70 km/h beschränkt war. Während er mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr, las er auf seinem Mobiltelefon zwei Textnachrichten, schrieb eine sehr kurze Antwort und legte das Telefon anschließend in der Mittelkonsole ab. Infolgedessen hatte er nicht bemerkt, dass sich in einer langgezogenen Rechtskurve drei Personen auf Fahrrädern näherten: eine Mutter mit ihrer dreijährigen Tochter auf dem Fahrradkindersitz und die davor mit ihrem Kinderrad fahrende sechsjährige Tochter. Als er wieder aufschaute, bemerkte er die Familie zu spät. Er versuchte noch zu bremsen, kollidierte aber mit einer Geschwindigkeit von 82 km/h oder mehr mit den Fahrradfahrern. Dabei wurden die Mutter getötet und die beiden Mädchen schwer verletzt.

Das Landgericht (LG) hat bei der Strafzumessung das umfassende Geständnis des Angeklagten, das auch den Kindern eine belastende Aussage in der Hauptverhandlung ersparte, und Schmerzensgeld von 10.000 Euro, für das der Angeklagte einen Kredit aufnahm, sowie mehrere Entschuldigungen des Angeklagten berücksichtigt. Außerdem hat es zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er zuvor weder strafrechtlich noch verkehrsrechtlich belastet war.

Erhebliche Sorg- und Verantwortungslosigkeit

Zu seinen Lasten hat es gewürdigt, dass der Angeklagte die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mindestens 15 km/h überschritt und während der Fahrt sein Mobiltelefon bediente. Vor allem das Verfassen der Textnachricht stelle eine massive Ablenkung vom Verkehrsgeschehen dar, sodass ihm insgesamt eine erhebliche Sorg- und Verantwortungslosigkeit vorzuwerfen sei.

Verbreitete Einstellung: „Handyverbot“ wird nicht ernst genommen

Eine Strafaussetzung zur Bewährung kam nicht in Betracht, da die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten sei. Insbesondere der vorsätzliche Verstoß gegen das Verbot, elektronische Geräte, wie Mobiltelefone, aufzunehmen und zu bedienen, stelle sich hier als besonders schwerwiegend dar. Der Angeklagte habe sich für einen belanglosen Austausch von Textnachrichten über dieses Verbot und die dadurch geschützten Sicherheitsinteressen anderer Verkehrsteilnehmer ohne Bedenken hinweggesetzt. Die Tat sei dabei auch Ausdruck einer verbreiteten Einstellung, die eine durch einen erheblichen Unrechtsgehalt gekennzeichnete Norm nicht ernst nehme und von vornherein auf die Aussetzung einer etwaigen Freiheitsstrafe zur Bewährung vertraue.

Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 8.3.2022, III-4 RVs 13/22, PM vom 8.3.2022

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Verkehrsunfall: Schnell zum Arzt bei Verletzung der Halswirbelsäule

| Wer sich bei einem Verkehrsunfall verletzt, muss das auch aktenkundig machen. Die Klage eines Autofahrers gegen einen prominenten Fußballspieler vor dem Landgericht (LG) München I wegen eines Auffahrunfalls blieb aufgrund nicht mehr zu beweisender Verletzungen ganz überwiegend erfolglos, da sich der Patient nicht zeitnah zum Arzt begab. |

Hintergrund: Der Kläger konnte seine behaupteten, unfallbedingten Verletzungen nicht beweisen. Bei einem Streitwert von rund 50.000 Euro hat das Gericht dem Kläger lediglich etwa 4.500 Euro für die Reparatur seines Pkw sowie ein Ersatzfahrzeug und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zugesprochen. Verdienstausfall und Schmerzensgeld wegen einer vom Kläger vorgetragenen Sensibilitätsstörung seiner rechten Hand und einem sog. Schleudertrauma (HWS-Distorsion) erhielt er hingegen nicht.

Das war geschehen

Der Kläger hatte einen Spurwechsel mit seinem Maserati durchgeführt. Der Beklagte war im weiteren Verlauf mit seinem Mercedes aufgefahren. Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass der Beweis des ersten Anscheins gegen den Auffahrenden hier zum Tragen komme und somit der Beklagte dem Grunde nach für den Verkehrsunfall verantwortlich sei. Deshalb seien dem Kläger die Reparaturkosten, die Kosten für ein Ersatzfahrzeug und die Einschaltung eines Rechtsanwalts zuzusprechen.

Landgericht: Verletzungen nicht mehr beweissicher feststellbar

Dem Kläger stehe gegen den Beklagten jedoch weder ein Schmerzensgeldanspruch noch ein Anspruch auf Ersatz von Erwerbsschaden, bzw. entgangenem Gewinn zu, da der Kläger den Eintritt unfallbedingter Verletzungen nicht habe beweisen können. Eine HWS-Distorsion beim Kläger sei nicht beweissicher feststellbar, ebenso wenig die vom Kläger geltend gemachten Sensibilitätsstörungen der rechten Hand. So komme zum einen das eingeholte biomechanisch und orthopädisch/unfallchirurgische Gutachten zu dem Ergebnis, dass die vom Kläger vorgetragenen Sensibilitätsstörungen der rechten Hand nicht dem streitgegenständlichen Unfall anzulasten seien. Sowohl aus biomechanischer als auch medizinischer Sicht sei nach dem Unfallhergang schon nicht eindeutig, dass der Kläger die unfallkausal geltend gemachten Beschwerden sicher erlitten habe.

Unverzüglicher Arztbesuch blieb aus

Zum anderen habe sich der Kläger nach eigener Einlassung erst ca. ein Monat nach dem Unfall in ärztliche Behandlung begeben, dies jedoch nicht wegen Beschwerden an der Halswirbelsäule, sondern wegen der Einschränkung der Funktionsfähigkeit der Hand. Hätte der Kläger entsprechende HWS-Distorsionsbeschwerden unfallbedingt erlitten, wäre zu erwarten gewesen, dass er sich unverzüglich zum Arzt begeben und dort die entsprechenden Symptome geschildert hätte, was nicht geschehen sei.

Dem Kläger stehe deshalb gegen den Beklagten mangels eindeutig unfallbedingter Verletzung weder ein Schmerzensgeldanspruch noch ein Anspruch auf Ersatz von Erwerbsschaden/entgangenem Gewinn zu.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Quelle | LG München I, Urteil vom 11.3.2022, 19 O 16989/20, PM 8/2022 vom 18.3.2022

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Steuerrecht

Einkommensteuer: Erstattungen für ein erweitertes Führungszeugnis sind kein Arbeitslohn

| Erstattet ein kirchlicher Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern die Kosten für das Einholen eines erweiterten Führungszeugnisses, handelt es sich nicht um Arbeitslohn. Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) Münster liegt vielmehr steuerfreier Auslagenersatz im Sinne des Einkommensteuergesetzes (§ 3 Nr. 50 EStG) vor. Gegen diese Entscheidung ist bereits die Revision anhängig. |

Das Einholen der erweiterten Führungszeugnisse erfolgte im Streitfall vor dem Hintergrund eines überwiegend betrieblichen Interesses der Kläger (Arbeitgeberkreis des Generalvikariats des Bistums X-Stadt). Hierfür spricht bereits, so das FG Münster, dass sich die Regelungen der „Ordnung zur Prävention gegen sexualisierte Gewalt an Minderjährigen und schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen für die Diözese X-Stadt“ (PrävO) an die Kläger und nicht an die Beschäftigten richten.

Nach der PrävO (§ 5 Abs. 1) trifft den Arbeitgeber die Verpflichtung, sich im regelmäßigen Abstand von fünf Jahren ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen zu lassen und nach den hierzu ergangenen Ausführungsbestimmungen die insoweit anfallenden Kosten hierfür zu tragen. Die Kläger sind nicht in der Lage, sich dieser Verpflichtung zu entziehen. Soweit die Arbeitnehmer diese Aufwendungen zunächst selbst tragen, tun sie dies im unmittelbaren Interesse der Kläger.

Das FG berücksichtigte u. a. auch, dass die Arbeitnehmer kein bedeutsames eigenes Interesse am Einholen eines Führungszeugnisses hatten. Die mit der Kostenerstattung einhergehende „Bereicherung“ stufte es als sehr gering ein.

Quelle | FG Münster, Urteil vom 23.3.2022, 7 K 2350/19 AO, Rev. BFH, VI R 10/22, Abruf-Nr. 229208 unter www.iww.de

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Außergewöhnliche Belastungen: Kosten für Rückentraining nicht absetzbar? Endgültige Entscheidung vertagt!

| Aufwendungen für ein Ortho-Training, für nicht verschreibungspflichtige Medikamente und für die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises sind laut dem Finanzgericht (FG) Münster nicht als außergewöhnliche Belastungen in der Einkommensteuererklärung absetzbar. Noch ist aber „nicht aller Tage Abend“. Denn der Bundesfinanzhof (BFH) muss sich dieser Frage bald in einer Nichtzulassungsbeschwerde eines Steuerzahlers annehmen. |

Das FG Münster hatte in erster Instanz die Aufwendungen mangels entsprechender ärztlicher Verordnungen nicht anerkannt. Doch der Betroffene argumentierte wie folgt: Bei den Kosten für Medikamente handle es sich auch ohne Vorliegen entsprechender ärztlicher Verordnungen um ständig erforderliche Einkäufe, die nicht nur gelegentlich und damit zwangsläufig seien. Außerdem seien die Aufwendungen für das „Ortho-Training“ ebenfalls zwangsläufig. Dies ergebe sich aus dem vorgelegten fachärztlichen Gutachten sowie der amtsärztlichen Bescheinigung.

Quelle | FG Münster, Urteil vom 17.1.2022, 9 K 1471/20 E, Abruf-Nr. 228066 unter www.iww.de; BFH, VI B 12/22

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Geänderte BFH-Rechtsprechung: Werden Sportvereine umsatzsteuerpflichtig?

| Der Bundesfinanzhof (BFH) hat seine Rechtsprechung geändert: Bei einer aus dem deutschen Recht folgenden Umsatzsteuerpflicht können sich Sportvereine nicht auf eine aus der europäischen Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) abgeleitete Steuerfreiheit berufen. |

Das war geschehen

Ein Golfverein vereinnahmte u. a. allgemeine Mitgliedsbeiträge. Hierfür verlangte das Finanzamt (FA) keine Umsatzsteuer (nicht steuerbare Leistungen). Darüber hinaus erbrachte der Verein aber auch eine Reihe von Leistungen gegen gesondertes Entgelt: Berechtigung zur Platznutzung, leihweise Überlassung von Golfbällen für das Abschlagtraining mittels eines Ballautomaten, Durchführung von Golfturnieren und Veranstaltungen, bei denen der Verein Startgelder für die Teilnahme vereinnahmte etc. Diese Leistungen behandelte das FA als umsatzsteuerbar und -pflichtig.

So sahen es Finanzamt und die gerichtlichen Instanzen

Die für den Veranstaltungsbereich mögliche Steuerfreiheit nach dem Umsatzsteuergesetz (§ 4 Nr. 22 Buchst. b UStG) versagte das FA, da es den Verein nicht als gemeinnützig ansah. Es fehle an einer hinreichenden Vermögenszweckbindung für den Fall der Vereinsauflösung. Das Finanzgericht (FG) München sah das anders: Es ging wegen der bisherigen Rechtsprechung davon aus, dass sich der Verein auf eine weiter gefasste Steuerfreiheit nach MwStSystRL (Art. 132 Abs. 1 Buchst. M) berufen könne.

In der Folge rief der BFH den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an, der eine Berufung auf die Steuerfreiheit nach der MwStSystRL ablehnte. Dem hat sich der BFH nun angeschlossen.

Für die eigentlich unter das Umsatzsteuergesetz (§ 4 Nr. 22 Buchst. b UstG) fallende Durchführung von Golfturnieren und Veranstaltungen, bei denen der Verein Startgelder für die Teilnahme vereinnahmte, war keine Steuerbefreiung möglich. Denn für den EuGH setzt die Steuerfreiheit im Sportbereich voraus, dass das Vereinsvermögen im Auflösungsfall nur zweckgebunden verteilt werden kann, woran es hier fehlte.

Die Entscheidung des BFH betrifft unmittelbar nur Leistungen, die Sportvereine gegen gesonderte Vergütung erbringen. Aber: Nach der langjährigen Rechtsprechung sind Leistungen, die Sportvereine an ihre Mitglieder gegen allgemeine Mitgliedsbeiträge erbringen entgegen der gelebten Praxis der Finanzverwaltung weiterhin umsatzsteuerbar, sodass es durch die nunmehr versagte Steuerbefreiung zu einer Umsatzsteuerpflicht kommt.

Sportvereinen droht Umsatzsteuerpflicht

Sportvereine müssen jetzt, so der BFH, damit rechnen, dass die Rechtsprechung ihre Leistungen auch insoweit als steuerpflichtig ansieht, als sie derartige Leistungen an ihre Mitglieder erbringen und es sich dabei nicht um eine sportliche Veranstaltung im Sinne des UStG (§ 4 Nr. 22 Buchst. b) handelt.

Beachten Sie | Die Problematik kann nach Ansicht des BFH nur der Gesetzgeber lösen, indem er die nach der Richtlinie bestehende Möglichkeit ergreift, Leistungen im Bereich des Sports weitergehend als bisher von der Umsatzsteuer zu befreien.

Kleinunternehmerregel als „Rettungsanker“

Ferner gibt es noch die Kleinunternehmerregel gemäß UstG (§ 19): Danach wird keine Umsatzsteuer erhoben, wenn der Umsatz im vorangegangenen Kalenderjahr 22.000 Euro nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 Euro voraussichtlich nicht übersteigen wird.

Quelle | BFH-Urteil vom 21.4.2022, V R 48/20, Abruf-Nr. 229145 unter www.iww.de; BFH PM Nr. 20/22 vom 12.5.2022

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Kapitalanleger: Finanzverwaltung äußert sich zur Besteuerung von virtuellen Währungen

| Virtuelle Währungen wachsen ständig. Das gilt für die Anzahl, das Volumen und die Zahl der Investoren. Daher wartete man auf ein Verwaltungsschreiben, das u. a. darlegt, in welchen Fällen Gewinne zu versteuern sind. Bereits im Juni 2021 veröffentlichte das Bundesfinanzministerium (BMF) ein Entwurfsschreiben, das nun auf 24 Seiten finalisiert wurde. |

Das Schreiben behandelt „Einzelfragen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token“. Auf den ersten Seiten werden beispielsweise Begriffe, wie Mining, Token und Blockchain definiert. Die folgenden Seiten setzen sich mit den ertragsteuerlichen Dimensionen (differenziert nach Privat- und Betriebsvermögen) auseinander.

Das BMF stellt u. a. heraus, dass Tätigkeiten im Zusammenhang mit Einheiten einer virtuellen Währung und mit sonstigen Token zu Einkünften aus allen Einkunftsarten (z. B. Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus nichtselbstständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen) führen können.

Interessant sind insbesondere die Ausführungen unter der Rz. 53. Danach sind Einheiten einer virtuellen Währung und sonstige Token ein „anderes Wirtschaftsgut“ im Sinne des Einkommensteuergesetzes (§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG). Daher können Gewinne aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Einheiten einer virtuellen Währung und sonstigen Token Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften darstellen, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt.

Beachten Sie | Gewinne bleiben allerdings einkommensteuerfrei, wenn die Summe der aus allen privaten Veräußerungsgeschäften im Kalenderjahr erzielten Gewinne weniger als 600 Euro beträgt.

Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. So ist z. B. beim Bundesfinanzhof (BFH) ein Verfahren anhängig, in dem es um die Ausführungen der Finanzverwaltung unter der Rz. 53 geht.

Quelle | BMF-Schreiben vom 10.5.2022, IV C 1 – S 2256/19/10003 :001, Abruf-Nr. 229317 unter www.iww.de; Rev. BFH IX R 3/22

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Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht

Dokumentenversand: Abmahnschreiben als Dateianhang einer E-Mail: Wann gilt es als „zugegangen“?

| Wird ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es in der Regel nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat. Das hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Hamm klargestellt. |

Das war geschehen

Die Parteien sind Internetversandhändler. Am 19.3.2020 versandte der Prozessbevollmächtigte des einen Händlers (Kläger) eine E-Mail an den anderen Händler (Beklagter) mit der Betreffzeile „Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU“. Die E-Mail enthielt folgenden Text: „Sehr geehrter Herr B, bitte beachten Sie anliegende Dokumente, die wir Ihnen situationsbedingt zur Entlastung der angespannten Infrastruktur im Versandwesen nur auf elektronischem Wege zur Verfügung stellen.“ Unterhalb dieses Textes befanden sich die Kontaktdaten des Prozessbevollmächtigten des A. Als Dateianhänge waren der E-Mail zwei PDF-Dateien beigefügt: Eine PDF-Datei mit dem Dateinamen „2020000067EU12984.pdf“ enthielt ein auf den 19.3.2020 datiertes anwaltliches Abmahnschreiben wegen der im vorliegenden Verfahren verfahrensgegenständlichen lauterkeitsrechtlichen Vorwürfe. Die andere PDF-Datei mit dem Dateinamen „Unterlassungs.pdf“ enthielt den Entwurf für eine strafbewehrte Unterlassungserklärung.

Am 1.4.2020 versandte der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine weitere E-Mail mit der Betreffzeile „Unser Zeichen: A ./. B 67/20-EU“ an den Beklagten. Diese E-Mail enthielt folgenden Text: „Sehr geehrter Herr B, zur Erfüllung diesseitiger Ansprüche setzen wir eine Nachfrist bis zum 3.4.2020.“

Auf Antrag des Klägers erließ das Landgericht (LG) dann eine einstweilige Verfügung gegen den Beklagten mit einer Kostenentscheidung zu dessen Nachteil. Nach der Zustellung dieser einstweiligen Verfügung an den Beklagten gab dieser eine sog. Abschlusserklärung ab, wobei er sich die Erhebung eines Kostenwiderspruchs vorbehielt.

Von diesem Vorbehalt hat der Beklagte auch Gebrauch gemacht und Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung erhoben. Er hat behauptet, er habe von den beiden o. g. E-Mails keine Kenntnis erlangt. Er könne nicht ausschließen, dass diese im Spam-Ordner seines E-Mail-Postfachs eingegangen seien, könne dies allerdings nicht mehr überprüfen, weil E-Mails in diesem Ordner bereits nach zehn Tagen wieder gelöscht würden.

Landgericht bestätigt einstweilige Verfügung

Das LG Bochum hat die einstweilige Verfügung bestätigt und dem Beklagten auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Hiergegen hat sich der Beklagte mit einer sofortigen Beschwerde zum OLG Hamm gewandt.

Oberlandesgericht gibt Beklagtem Recht

Das OLG gab nun dem Beklagten Recht: Die Kosten des Rechtsstreits sind dem Kläger aufzuerlegen. Denn der Beklagte hat dem Kläger durch sein Verhalten keine Veranlassung zu dessen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben. Dem Beklagten kann in diesem Zusammenhang insbesondere nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe auf die Abmahnung des Klägers nicht reagiert.

Dateianhang: erst nach Öffnen zugestellt

Denn das anwaltliche Abmahnschreiben vom 19.3.2020 ist dem Beklagten nicht zugegangen: Wird wie im vorliegenden Fall ein Abmahnschreiben lediglich als Dateianhang zu einer E-Mail versandt, ist es nur und erst dann zugegangen, wenn der E-Mail-Empfänger den Dateianhang auch tatsächlich geöffnet hat. Denn im Hinblick darauf, dass wegen des Virenrisikos allgemein davor gewarnt wird, Anhänge von E-Mails unbekannter Absender zu öffnen, kann von dem Empfänger in einem solchen Fall nicht verlangt werden, den Dateianhang zu öffnen.

Eidesstattliche Versicherung überzeugte

Es sei fraglich, ob die in Rede stehenden E-Mails überhaupt im E-Mail-Postfach des Beklagten (dort möglicherweise im Spam-Ordner) eingegangen sind. Der Beklagte hat durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung jedenfalls glaubhaft gemacht, dass er von den beiden E-Mails des ihm zuvor nicht bekannten Prozessbevollmächtigten des Klägers keine Kenntnis erlangt und dementsprechend auch den Dateianhang mit dem Abmahnschreiben nicht geöffnet hat.

Quelle | OLG Hamm, Beschluss vom 9.3.2022, 4 W 119/20

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Lieferstopp: Schadenersatzklage eines Automobilindustrie-Zulieferers abgewiesen

| Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat jetzt eine Schadenersatzklage eines Automobilzulieferers gegen einen Fahrzeughersteller (Mercedes Benz Group AG) abgewiesen. Der Zulieferer hatte dem Fahrzeughersteller mit einem Lieferstopp gedroht. Das war widerrechtlich. |

Das war geschehen

Der Zulieferer (Kläger) belieferte den Hersteller (Beklagten) seit dem Jahr 2010 mit Kfz-Sitzbezügen, die in Slowenien produziert wurden. Aufgrund gestiegener Kosten hielt der Kläger die Fortsetzung dieser Geschäftsbeziehung zu den bisherigen Bedingungen nicht mehr für wirtschaftlich und kündigte am 13.12.2013 sämtliche Lieferverträge außerordentlich zum 31.1.2014. Der Beklagte wies die Kündigung zurück.

Nachdem die in der Folgezeit geführten Verhandlungen zu keinem Ergebnis führten, teilte der Kläger am 31.01.2014 mit, dass er ab dem Folgetag bis zu einer vertraglichen Einigung keine Sitzbezüge mehr liefern werde. Hierauf schlossen die Parteien am 4.2.2014 eine Vereinbarung, die u. a. eine Verlagerung der Produktion sowie eine dreijährige Abnahme- und Preisgarantie und eine monatliche Ausgleichszahlung für den Kläger vorsah. Anfang August 2014 focht der Beklagte diese Vereinbarung wegen widerrechtlicher Drohung an und verweigerte in der Folgezeit die Abnahme weiterer Sitzbezüge. Der Kläger hielt die Anfechtung für unwirksam und forderte vom Beklagten Schadenersatz, insbesondere entgangenen Gewinn, in Höhe von rund 40 Mio. Euro.

So entschied das Gericht

Das OLG: Zum Zeitpunkt des angekündigten Lieferstopps habe die ursprüngliche Vertragsbeziehung zwischen den Parteien fortbestanden, da der Kläger diese nicht zum 31.1.2014 habe kündigen können. Bei der Ankündigung des Lieferstopps, der sich massiv auf den Produktionsprozess des Beklagten ausgewirkt hätte, habe es sich daher um eine widerrechtliche Drohung gehandelt. Die unter dem Druck dieser Drohung zustande gekommene Vereinbarung vom 4.2.2014 habe der Beklagte wirksam angefochten, sodass der Kläger aus ihr keine Pflicht zur Abnahme von Sitzbezügen und daher auch keine Schadenersatzansprüche wegen Verletzung dieser Pflicht herleiten könne.

Das OLG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen steht dem Kläger die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) offen.

Quelle | OLG Stuttgart, Urteil vom 7.4.2022, 2 U 3/21, PM vom 7.4.2022

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Wegfall der Geschäftsgrundlage: Möbelhaus: Gewerbemiete trotz Corona-Schließung?

| Während des Lockdowns Ende 2020 mussten viele Geschäfte schließen. Die Mietverträge liefen trotzdem weiter, obwohl häufig kein Gewinn mehr erwirtschaftet werden konnte. Der Gesetzgeber hat darauf reagiert: Es gibt ein neues Gesetz, nach dem ein „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ vermutet wird, wenn die gemieteten Räumlichkeiten wegen des Lockdowns nicht oder nur noch mit erheblichen Einschränkungen verwendet werden können. So steht es im deutschen Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (hier Art. 240 § 7 EGBGB). Hierauf berief sich auch ein Möbelhaus, dem das Landgericht (LG) zunächst Recht gab: Die Miete für die angemietete Lagerhalle könne reduziert werden. Das sah das Oberlandesgericht (OLG) aber anders. |

Das OLG: Es besteht kein Anspruch auf eine Anpassung der Miete. Denn die Lagerhalle sei in der Lockdown-Zeit durchaus nutzbar gewesen. Die Firma habe die Möbel nämlich online vertrieben und auch stationäre Verkäufe über „click & collect“ getätigt. Die Lagerhalle sei in ihrer Funktion durch den Lockdown daher gerade nicht betroffen gewesen. Etwas anderes könne gegebenenfalls für das Ladengeschäft selbst gelten.

Das OLG hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen, weil die Sache grundsätzlich Bedeutung hat und noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob die neue Gesetzesregelung auch auf Lagerhallen anzuwenden ist.

Quelle | Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 29.3.2022, 2 U 234/21

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Datenschutz: Wenn ein Bewertungsportal ungefragt ein Basisprofil anlegt

| Ein Arzt, dessen Basisdaten ungefragt vom Bewertungsportal Jameda übernommen wurden, hat keinen Löschungsanspruch nach DS-GVO gegen den Anbieter. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun klargestellt, dass für die Speicherung ein berechtigtes Interesse besteht. |

Der BGH sieht das berechtigte Interesse, das bei jeder Verarbeitung von Daten vorliegen muss, darin, dass das Bewertungsportal Jameda aktiven Nutzern dadurch die von der „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ geschützte Abgabe und Verbreitung einer Meinung ermöglicht und passiven Nutzern die Möglichkeit verschafft, davon Kenntnis zu nehmen. Die Verarbeitung der personenbezogenen Daten ist zur Verwirklichung der berechtigten Interessen auch „erforderlich“.

Quelle | BGH, Urteil vom 15.2.2022, VI ZR 692/20

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Abschließende Hinweise

Berechnung der Verzugszinsen

| Für die Berechnung der Verzugszinsen ist seit dem 1. Januar 2002 der Basiszinssatz nach § 247 BGB anzuwenden. Seine Höhe wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres neu bestimmt. Er ist an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz (DÜG) getreten. |

Der Basiszinssatz für die Zeit vom 1. Januar 2022 bis zum 30. Juni 2022 beträgt -0,88 Prozent. Damit ergeben sich folgende Verzugszinsen:

  • für Verbraucher (§ 288 Abs. 1 BGB): 4,12 Prozent
  • für den unternehmerischen Geschäftsverkehr (§ 288 Abs. 2 BGB): 8,12 Prozent

Nachfolgend ein Überblick zur Berechnung von Verzugszinsen (Basiszinssätze).

Übersicht / Basiszinssätze

Zeitraum

Zinssatz

01.07.2021 bis 31.12.2021

-0,88 Prozent

01.01.2021 bis 30.06.2021

-0,88 Prozent

01.07.2020 bis 31.12.2020

-0,88 Prozent

01.01.2020 bis 30.06.2020

-0,88 Prozent

01.07.2019 bis 31.12.2019

-0,88 Prozent

01.01.2019 bis 30.06.2019

-0,88 Prozent

01.07.2018 bis 31.12.2018

-0,88 Prozent

01.01.2018 bis 30.06.2018

-0,88 Prozent

01.07.2017 bis 31.12.2017

-0,88 Prozent

01.01.2017 bis 30.06.2017

-0,88 Prozent

01.07.2016 bis 31.12.2016

-0,88 Prozent

01.01.2016 bis 30.06.2016

-0,83 Prozent

01.07.2015 bis 31.12.2015

-0,83 Prozent

01.01.2015 bis 30.06.2015

-0,83 Prozent

01.07.2014 bis 31.12.2014

-0,73 Prozent

01.01.2014 bis 30.06.2014

-0,63 Prozent

01.07.2013 bis 31.12.2013

-0,38 Prozent

01.01.2013 bis 30.06.2013

-0,13 Prozent

01.07.2012 bis 31.12.2012

0,12 Prozent

01.01.2012 bis 30.06.2012

0,12 Prozent

01.07.2011 bis 31.12.2011

0,37 Prozent

01.01.2011 bis 30.06.2011

0,12 Prozent

01.07 2010 bis 31.12.2010

0,12 Prozent

01.01.2010 bis 30.06.2010

0,12 Prozent

01.07 2009 bis 31.12.2009

0,12 Prozent

01.01.2009 bis 30.06.2009

1,62 Prozent

01.07.2008 bis 31.12.2008

3,19 Prozent

01.01.2008 bis 30.06.2008

3,32 Prozent

01.07.2007 bis 31.12.2007

3,19 Prozent

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Steuern und Beiträge Sozialversicherung: Fälligkeitstermine in 07/2022

| Im Monat Juli 2022 sollten Sie insbesondere folgende Fälligkeitstermine beachten: |

Steuertermine (Fälligkeit):

  • Umsatzsteuer (Monatszahler): 11.07.2022
  • Lohnsteuer (Monatszahler): 11.07.2022

Bei einer Scheckzahlung muss der Scheck dem Finanzamt spätestens drei Tage vor dem Fälligkeitstermin vorliegen.

Beachten Sie | Die für alle Steuern geltende dreitägige Zahlungsschonfrist bei einer verspäteten Zahlung durch Überweisung endet am 14.07.2022. Es wird an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass diese Zahlungsschonfrist ausdrücklich nicht für Zahlung per Scheck gilt.

Beiträge Sozialversicherung (Fälligkeit):

Sozialversicherungsbeiträge sind spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden

Monats fällig, für den Beitragsmonat Juli 2022 am 27.07.2022.

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